Köln/Düsseldorf Gericht erlaubt Cannabis-Anbau

Köln/Düsseldorf · Chronisch kranke Patienten dürfen als Notlösung ausnahmsweise privat die illegale Droge züchten. Politiker fordern für Cannabis-Medikamente eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen.

Erstmals hat ein deutsches Gericht Privatpersonen den Anbau von Cannabis gestattet. Das Kölner Verwaltungsgericht erlaubte gestern den Anbau zu Therapiezwecken, wenn chronisch Kranken sonst nichts gegen ihre Schmerzen hilft. Die Richter gaben damit den Klagen von Schwerkranken gegen ein behördliches Anbauverbot statt. Der Cannabis-Eigenanbau bleibe im Grundsatz verboten, könne aber unter bestimmten Bedingungen als "Notlösung" erlaubt werden, sagte der Vorsitzende Richter Andreas Fleischfresser.

Zu den Voraussetzungen gehöre, dass der schwer kranke Patient austherapiert sei, es für ihn keine andere Behand- lungsalternative zu Cannabis gebe und Apotheken-Cannabis unerschwinglich sei. Zwei Klagen wies das Kölner Gericht ab, drei waren erfolgreich. Beim Kölner Urteil handelt es sich zwar um Einzelfall-Entscheidungen. Dennoch könnte es weitere Klagen auf eine Erlaubnis nach sich ziehen. Nur ein (abgelehnter) Fall ist rechtskräftig; in vier Fällen wurde Berufung zugelassen.

Zu den möglichen Folgen äußerten sich Experten daher betont vorsichtig. "Das Urteil wird gesellschaftspolitisch nichts verändern. Es betrifft nur sehr schwer chronisch Erkrankte", sagte der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach unserer Zeitung. Er sieht mit der Genehmigung des Eigenanbaus die Probleme nicht gelöst. "Wir sollten die Krankenkassen gesetzlich verpflichten, dass sie künftig Cannabis-Medikamente für die wenigen Einzelfälle der chronisch Schwerkranken erstatten. Es ist ein Armutszeugnis für unser Gesundheitssystem, dass diese Cannabis selbst anbauen müssen, weil die Medikamente für sie zu teuer sind", sagte Lauterbach.

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte "vernünftige Cannabis-Preise" in den Apotheken und eine Kostenübernahme seitens der Kassen. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele äußerte sich erfreut. "Es ist traurig, dass die Gerichte herangezogen werden müssen, weil der Gesetzgeber dazu den Mut bisher nicht aufgebracht hat", sagte er.

Konkret verpflichtet das gestern gefällte Urteil das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), den Cannabis-Eigenanbau in drei konkreten Klagefällen zu erlauben. Die Genehmigungsbehörde mit Sitz in Bonn ist dem Bundesgesundheitsministerium untergeordnet. Sie hatte bisher noch nie einer Privatperson eine Cannabis-Produktion in den eigenen vier Wänden gestattet. Das Kölner Verwaltungsgericht trägt der Behörde nun aber auf, bei dreien der fünf Kläger im Alter von 34 bis 61 Jahren erneut zu prüfen und dann zu genehmigen, wie eine Sprecherin erklärte.

Als "Ermessensspielraum" bleibe dem BfArM nur die Frage der Absicherung. Die Behörde könne nun Auflagen zur Art und Weise des Anbaus machen oder zur besseren Sicherung an Fenstern oder Türen der Wohnungen, in denen das Cannabis angebaut werden soll. Die Droge müsse vor Zugriffen Dritter gesichert werden. Danach müsse die Behörde aber eine Anbaugenehmigung erteilen, betonte die Gerichtssprecherin. Das sei eine Premiere in der deutschen Rechtsprechung, bestätigte sie. Ob die Behörde in Berufung geht, war zunächst unklar.

Die Hamburger Kanzlei, die einen der Kläger vertritt, sprach von einer "liberalen und patientenfreundlichen Entscheidung". Es sei allerdings mit einer Berufung und letztlich einer Klärung beim Bundesverwaltungsgericht zu rechnen.

Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland. Lediglich rund 270 Menschen bundesweit hat das Bundesinstitut ausnahmsweise den Cannabis-Kauf und -Konsum aus der Apotheke gestattet - auch den fünf Klägern. Eine Eigenproduktion hält die Behörde aber für gesundheitlich riskant, unerwünschte Nebenwirkungen seien möglich. Außerdem seien die Wohnungen mangelhaft gesichert, hatten BfArM-Vertreter betont.

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster hatte im Juni ebenfalls entschieden, dass der Anbau zur Selbsttherapie im Einzelfall zulässig sei. Ein Unterschied zum Kölner Urteil ist jedoch, dass das OVG die letzte Entscheidung über eine Genehmigung weiterhin beim BfArM sah.

Zwei Klagen lehnte das Verwaltungsgericht Köln ab: In einem Fall wollte der Schwerkranke die illegale Droge im Schlafzimmer züchten, also nicht in einem separaten Raum. Der andere Kläger sei nicht gesichert austherapiert, begründete der Richter.

(mar)
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