Gladbach gegen Barcelona Mein Fußballabend vorm Stadion

Mönchengladbach · Du kommst hier nicht rein – der Plan unseres Autors, am Stadion eine Karte für Borussias Jahrhundertpartie gegen Barcelona zu erwerben, scheiterte früh. Doch statt heimzufahren, blieb er. Und bekam mehr mit als die Fans in der Nordkurve.

 Bis hier und nicht weiter. Unser Autor hatte beim Spiel von Borussia Mönchengladbach gegen den FC Barcelona keinen Zutritt.

Bis hier und nicht weiter. Unser Autor hatte beim Spiel von Borussia Mönchengladbach gegen den FC Barcelona keinen Zutritt.

Foto: Sebastian Dalkowski

Du kommst hier nicht rein — der Plan unseres Autors, am Stadion eine Karte für Borussias Jahrhundertpartie gegen Barcelona zu erwerben, scheiterte früh. Doch statt heimzufahren, blieb er. Und bekam mehr mit als die Fans in der Nordkurve.

Ich hatte noch keine Lust, nach Hause zu fahren. Dort drüben standen Beton und Stahl, und dahinter spielte sich Geschichte ab. Dort drüben spielte Borussia Mönchengladbach gegen den FC Barcelona, den FC BARCELONA. Und wenn ich es schon nicht in Stadion geschafft hatte, so wollte ich doch wenigstens so nah wie möglich am Stadion sein. Also blieb ich einfach vorm Eingang Nord stehen.

Die Hoffnung, noch eine Karte zu bekommen, hatte ich früh begraben. Mit dem Fahrrad war ich zum Stadion gefahren, und schon Hunderte Meter vorm Eingang begegneten mir Menschen, die ein Pappstück in die Höhe hielten, auf dem stand: Suche Ticket. Nur ein einziges Mal fragte mich an diesem Abend jemand, ob ich ein Karte bräuchte. 160 Euro. Ich bin nicht verrückt.

So ging ich, um mir die Zeit bis zum Anpfiff zu vertreiben, eine Runde ums Stadion, beziehungsweise um die Zäune, die das Stadion sicherten. Ich sah, wie der Bus mit dem Team vom FC Barcelona eintraf. Fans drängten sich am Zaun, der Bus war hundert Meter entfernt. Eventuell sah ich die Frisur von Neymar, eventuell war das auch nur ein Fleck auf meiner Brille. Ich sah auf jeden Fall, wie Josip Drmic sein Tarnfarben-Auto parkte, und erwischte mich bei der unanständigen Frage, mit welcher Berechtigung Josip Drmic ins Stadion durfte, ich aber nicht.

Der sehr, sehr lange Arm des IS

Was ich eine Viertelstunde vor Anpfiff auch sah, war diese Familie. Vater, Mutter, Kind. Der Vater trug einen Rucksack. Ein Ordner, der bei einem Champions-League-Spiel Steward heißt, machte ihn noch vorm Eingang darauf aufmerksam, dass Rucksäcke im Stadion verboten seien. Ich stand zu weit entfernt, um das Gespräch zu verstehen, aber das Drama verstand ich wohl: Ein Familienmitglied musste nun den Rucksack zum Auto bringen oder zur Gepäckaufbewahrung im weit entfernten Biergarten — jedenfalls würde die Familie nicht vollständig sein, wenn das Spiel angepfiffen wurde. Das ist der sehr lange Arm des IS.

Vielleicht war es auch der IS und seine menschenfeindliche, Menschen vertreibende Ideologie Schuld, dass ich das Spiel vorm Stadion nicht alleine verfolgte. Vor drei Jahren hatte ich bei der Partie gegen Bayern eine Halbzeit lang vorm Stadion gestanden, sehr, sehr alleine. Diesmal nicht. Es gab die paar Geschlagenen, die es wie ich nicht geschafft hatten, noch eine Karte zu kaufen. Sie setzten sich in den Biergarten und aßen Bratwurst. Einige von ihnen schlichen wie Zombies noch immer mit ihrem "Suche Ticket"-Schild am Stadion entlang. Vor allem aber waren da Migranten oder Flüchtlinge oder Verfolgte oder welche Bezeichnung einem je nach politischer Haltung passt, mindestens Hundert. Junge Migranten, meist Araber, soweit ich das mit meinen Arabisch-Kenntnissen beurteilen kann. Kurz: Genau die Leute, vor denen die Rechten immer warnen. Die, die angeblich unser Land fluten und nichts Besseres zu tun haben, als unsere, UNSERE Frauen zu belästigen und UNSER Geld zu verprassen. An diesem Abend verprassten sie höchstens ihr Datenvolumen.

Nichts gesehen, trotzdem viel gelernt

Ich glaube nicht, dass sie darauf gesetzt hatten, noch eine Karte zu bekommen. Sie wollten einfach dabei sein bei so einem Ereignis, vermutlich sogar eher wegen Barcelona als wegen Borussia. So wie ich blickten sie Richtung Stadion, als könnten sie durch den Beton blicken. Das einzige, was es zu sehen gab, war eine Anzeigetafel, auf der der Spielstand eingeblendet wurde. Das aber war nicht nötig. Jedenfalls nicht beim 1:0. Beton versperrt die Sicht, dämpft Geräusche aber nur bedingt. Auch Pfiffe hörte ich. Mein Bruder wusste, dass ich zu seinem Unverständnis nicht in einer Kneipe saß, sondern vorm Stadion stand, und schrieb mir eine SMS: Falls du dich fragst, was der Grund für die Pfiffe ist — Neymar schauspielert.

Als Barcelona den Ausgleich erzielte und kurz darauf den Siegtreffer, und ich mir eingestehen musste, dass Borussia nur für eine halbe Stunde die beste Mannschaft der Welt gewesen war, machte ich mich auf den Heimweg. Obwohl ich nichts gesehen und Borussia verloren hatte, fuhr ich nicht mit dem Gefühl nach Hause, den Abend verschwendet zu haben. Zwei Gedanken begleiteten mich.

Erleichterung darüber, dass ich wegen der Migranten keine Sekunde gedacht hatte: Wo ist denn mein Portemonnaie? Wo ist denn mein Handy? Hat der mich gerade gefährlich angeguckt? Erleichterung deshalb, weil ich zur Ängstlichkeit neige, aber offensichtlich noch in der Lage bin, Flüchtlingen mit der Einstellung zu begegnen: Solange du mir nichts tust, halte ich dich für unschuldig. Und eben nicht mit: Dir unterstelle ich erst mal das Allerschlimmste, bis du mir das Gegenteil beweist. Gewisse politische Kräfte versuchen einem ja gerade einzureden, dass diese Einstellung die angemessenere ist.

Die Gewissheit, dass wir selbstverständlich die Probleme ansprechen müssen, die sich durch Migration ergeben, aber nicht, um daraus die Forderung abzuleiten, dass die alle wieder weg müssen. Denn viele von ihnen werden bleiben und viele auch zurecht, aber wenn wir das nicht anpacken, wenn wir uns nicht um sie kümmern, wenn wir ihnen nichts zu tun geben — dann wird der Frust bei ihnen wachsen. Und dann werden wir alle von den Folgen betroffen sein.

Denn niemand steht darauf, ausgeschlossen zu werden. Niemand steht auf Dauer darauf, dass die anderen im Stadion Fußball gucken, und sie selbst doch wieder nur bis zum Zaun gekommen sind.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version schrieben wir, dass eine Abgabe von Rucksäcken und Taschen am Stadion nicht mehr möglich sei. Richtig ist, dass Borussia dies zu Saisonbeginn einführte. Seit einigen Wochen gibt es allerdings die Möglichkeit, Rucksäcke und Taschen im Biergarten abzugeben.

(seda)
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