Max Eberl im Interview "Wir sind alle gemeinsam in der Pflicht"

Mönchengladbach · Zum zweiten Mal in seiner Zeit als Sportdirektor bei Borussia Mönchengladbach hat Max Eberl einen Trainer entlassen – Dieter Hecking löste André Schubert ab. Im ersten Teil unseres Interviews spricht der 43-Jährige über diesen Schritt, über unruhige Zeiten und den neuen Druck der Anderen.

Max Eberl: Seine Karriere in Gladbach, Leipzig und München
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Das ist Max Eberl

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Foto: dpa/Uwe Anspach

Zum zweiten Mal in seiner Zeit als Sportdirektor bei Borussia Mönchengladbach hat Max Eberl einen Trainer entlassen — Dieter Hecking löste André Schubert ab. Im ersten Teil unseres Interviews spricht der 43-Jährige über diesen Schritt, über unruhige Zeiten und den neuen Druck der Anderen.

Herr Eberl, war 2016 auch für Borussia Mönchengladbach ein anstrengendes Jahr?

Max Eberl Anstrengend und intensiv war es. Die Rückrunde der letzten Saison wurde getragen von der Chance, sich erneut für Europa zu qualifizieren. An die Champions League haben wir gar nicht konkret gedacht. 55 Punkte reichen normalerweise auch nicht für den vierten Platz, aber wir haben die Chance verdient genutzt. Natürlich hat sich die Auswärtsschwäche durch das Jahr gezogen, gleichzeitig haben wir eine unglaubliche Heimstärke entwickelt. In der Hinrunde haben wir unter unseren Möglichkeiten gepunktet, zu Hause weiter ordentlich, aber eben belastet von den Problemen auswärts. Also: 2016 war intensiv, anstrengend und erfolgreich, mit einem Ende, das wir uns anders vorgestellt hatten.

Das Ende hat dazu geführt, dass Sie ein wenig Ihre Ideale außer Acht lassen mussten mit dem Trainerwechsel.

Eberl Nach achteinhalb Jahren wissen die Leute, was man bekommt, wenn man Max Eberl als Sportdirektor hat. Es ist definitiv nicht meine Intention, andauernd radikale Entscheidungen zu fällen. Aber wir haben den Erfolg des Vereins ein stückweit in Gefahr gesehen, und diesem Erfolg bin ich verpflichtet. Nach intensiven Diskussionen sind wir eben zu dem Entschluss gekommen, dass wir handeln müssen, weil es in eine falsche Richtung geht. Das ist nicht Teil unserer DNA, aber wenn es notwendig ist, müssen wir so einen Schritt gehen.

Ein Schritt, der womöglich etwas zu spät kam. Borussia ist 14. mit 16 Punkten aus 16 Spielen.

Eberl Was heißt "zu spät" oder "zu früh"? Erst die letzten drei Spiele gegen Mainz, Augsburg und Wolfsburg waren sowohl vom Auftreten als auch von den Ergebnissen her nicht gut. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir selbst in dieser Hinrunde gegen Barcelona, in Glasgow oder gegen Manchester fantastische Spiele hatten. Es war ein Wellental, klar. Gegen Hamburg, Frankfurt, Köln und Hoffenheim haben wir nur drei Punkte geholt, aber diese Heimspiele tendierten alle in Richtung Sieg. Die Auswärtsbilanz war immer wieder ein Schlag ins Kontor, was dazu führt, dass wir nur 16 Punkte haben. Aber auch in Zukunft werde ich einen Trainer nicht bei der ersten Krise infrage stellen und entlassen.

Noch nach den Spielen gegen Köln, Hoffenheim und Manchester im der zweiten Novemberhälfte haben Sie sich gegen eine Trainerdiskussion gewehrt. Da gab es zum Beispiel Ihre im ruhigen Ton vorgetragene, aber inhaltlich vehemente Wutrede. Doch dann kippte es sehr schnell nach den Niederlagen gegen Dortmund und Barcelona.

Eberl Unruhe war schon lange da, und meine Wutrede hat sich nicht nur auf das Spiel gegen Manchester bezogen, sondern unterschwellig auf die gesamte Hinrunde. Erinnern wir uns an das Grummeln nach der Niederlage auf Schalke Anfang Oktober — mit einem Sieg hätten wir Zweiter werden können.

Das Grummeln war unter André Schubert fast immer da.

Eberl Diese latente Unzufriedenheit im Umfeld war seit Januar 2016 da. Nach den Niederlagen gegen Dortmund und Mainz zum Auftakt wurde das Spiel gegen Bremen zum Schicksalsspiel für André Schubert ausgerufen. Selbst nach dem Erreichen des vierten Platzes war keine Ruhe da, als der Name Markus Weinzierl herumschwirrte. Wer sagt, dass die Trainer-Entscheidung letztendlich schnell gefällt worden sei, muss die Monate davor mit berücksichtigen. Ich kann nicht mit einem Trainer in die Rückrunde gehen, wenn die Aussicht auf Ruhe nur durch drei Siege gegen Darmstadt, Leverkusen und Freiburg zum Start besteht. Das ist möglich, aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht groß. Es gilt jetzt, diesen Klub wieder stabil zu bekommen.

Welche Rolle spielt Druck von außen?

Eberl Der spielte schon eine Rolle, aber von dem lasse ich mich natürlich nicht leiten. Der Fußball hat so viel mit Psyche und Emotionalität zu tun. Wenn ich die im Umfeld nicht mehr im Griff haben kann, dann wird es problematisch.

Kann man sagen: Auch in Mönchengladbach greifen am Ende die Mechanismen?

Eberl Mir gefällt es nicht, wie schwer es ist, Trainer auch über Widerstände hinweg zu halten. Wir müssen aufpassen, dass dieses "Daumen hoch, Daumen runter" nicht zu sehr Einzug hält. Dann brauchen wir keine Sportdirektoren mehr, sondern nur noch Trainer, die bei Erfolg bleiben dürfen und bei Misserfolg sofort weg sind.

Wie viel hat das mit dem Trainer persönlich zu tun? Lucien Favre hatte auch Krisen zu durchstehen, aber nur bei André Schubert kamen im Umfeld so schnell Ressentiments zum Vorschein.

Eberl Auch mit Lucien Favre haben wir einmal neun Spiele nicht gewonnen nach Platz drei in der Hinrunde — und in dieser Phase den Vertrag verlängert. Auch da gab es Unmut angesichts dieser Entscheidung. Der eine hat mehr Bonus als der andere, aber im Grundsatz ist es sehr ähnlich: Bleibt der Erfolg aus, ist der Trainer Mist. Das meinte ich in meiner Wutrede: Wenn rund um Borussia die Erwartungen so hochgeschraubt werden, dass alles unter Platz sechs nicht mehr akzeptabel ist, dann sind wir auf dem falschen Weg.

Lucien Favre hat das gebetsmühlenartig gepredigt.

Eberl Das ist es, was ich mir vielleicht vorwerfen muss: Dass ich zu wenig gewarnt habe vor dem, was passieren kann, wenn nicht alles optimal läuft.

Hat Sie bei allem Realitätssinn die gesamte Gemengelage in der Bundesliga überrascht? Von den designierten ersten Sechs sind momentan nur Bayern und Dortmund oben drin.

Eberl Wie überraschend die Bundesliga sein kann, haben wir selbst gezeigt vor fünf Jahren. Seitdem sind immer wieder Teams in die Phalanx der Großen gestoßen. Dass es jetzt so viele sind, ist sicher überraschend, aber nicht die Tatsache, dass es in beide Richtungen möglich ist. Siehe Schalke, Wolfsburg, Leverkusen. Wird die Erwartungshaltung nicht erfüllt, bedeutet das negative Stimmung. Negative Stimmung verursacht Druck. Mannschaften wie Köln, Hoffenheim, Hertha, Frankfurt und Leipzig haben es gut ausgenutzt, dass sie völlig befreit in die Spiele gehen konnte. Aber sie haben jetzt auch Druck. Wir starten mit einem Rucksack, den wollen wir nach und nach ablegen — um die Saison im besten Fall doch noch einstellig zu beenden.

Aber der Rucksack ist beachtlich.

Eberl Wir sind ja nicht naiv. Deshalb wollen wir erstmal unsere Probleme lösen, aber weiterhin unsere Ziele verfolgen. Inzwischen ist die Einstelligkeit ein großes Ziel, am Anfang der Saison hat jeder gelacht. Und jetzt soll das unmöglich sein? Was wir gezeigt haben, spiegelt nicht unser Niveau wider. Borussia Mönchengladbach muss sich konstant um Platz 6 bis 10 bewegen — das ist eine realistische Einschätzung. Wir haben in der Hinrunde gesehen, dass nicht immer alles realistisch läuft, am Ende einer Saison aber doch sehr häufig.

Ist die Situation dadurch sogar heilsam, weil sie aus Ihrer Sicht die Verhältnisse gerade rückt?

Eberl Nicht für mich. Es muss sich jeder angesprochen fühlen, der gesagt hat, es sei für uns nicht mehr möglich, in die Zweistelligkeit abzurutschen. In der Bundesliga stellen sich Erfolge nicht automatisch ein, nur weil man sie einmal erreicht hat.

Wie dramatisch wirkt sich so eine Hinrunde auf die Zukunftsplanung aus? In den vergangenen Jahren konnten Sie immer sehr früh Transfers eintüten für die kommende Saison.

Eberl Auch letztes Jahr hatten wir lange keine Gewissheit, europäisch zu spielen. Da kamen dieselben Fragen. Es ändert sich also nichts. Zu sagen, dass wir ganz neu anfangen müssen, wäre arrogant, weil es nie Normalität war, sich im Dunstkreis der fünf finanzstärksten Vereine zu bewegen. Ich muss jedes Jahr neu anfangen.

Zuletzt ging Granit Xhaka für viel Geld.

Eberl Natürlich nehmen wir für Granit 45 Millionen Euro ein, verlieren aber auch einen herausragenden Spieler. Dazu kommen Martin Stranzl, Roel Brouwers und Havard Nordtveit. Das sind keine Ausreden, diese Spieler sind als Führungsspieler nicht so einfach zu ersetzen. 2012 war es genauso, als Marco Reus, Dante und Roman Neustädter gegangen sind. Danach sind wir Achter geworden und haben erst dann wieder einen Schritt nach vorne gemacht. So wird es auch in Zukunft laufen, und vielleicht dauert es sogar mal zwei, drei Jahre.

Vor ein paar Jahren war Ihr Weg mehr ein Alleinstellungsmerkmal als heute. Vereine wie zum Beispiel Hoffenheim scheinen sich an Gladbach zu orientieren.

Eberl Aber stellen wir uns vor, ich hätte im Sommer wie Hoffenheim einen Kevin Vogt und Kerem Demirbay geholt. Da hätten alle geunkt bei uns. Das sind gute Spieler, aber das Phönix-aus-der-Asche-Prinzip spielt bei diesen Vereinen eine große Rolle. Ich bin gespannt, wie es am Ende der Saison aussieht im Hinblick auf Hoffenheim, Köln oder Frankfurt. Da werden sicherlich ein paar Fragen anders beantwortet werden müssen als heute.

Warum ist Dieter Hecking in dieser Situation aus Ihrer Sicht der richtige Trainer?

Eberl Er hat diese Situation in Wolfsburg erlebt, als er eine Mannschaft mit ebenfalls größeren Erwartungen auf Platz 15 übernommen hat. Die hat er wieder in ein sicheres Fahrwasser gebracht. Seine Qualität ist es, Mannschaften Stabilität zu verleihen. Auch Hannover und Nürnberg hat er in solchen Phasen übernommen, und überall hat er mit jungen Spielern gearbeitet. Letzteres ist für mich wichtig, weil wir unsere Philosophie nicht über Bord werfen wollen. Und unterm Strich ist er einfach ein Trainer, der auf seinen Stationen Erfolg hatte.

Allein die kurze Vorbereitung war schon wieder ein Wellental: gutes Trainingslager, grausamer Telekom Cup. Ist die Mannschaft den Aufgaben innerlich gewappnet? Es stellt sich die Charakterfrage.

Eberl Es hat aus meiner Sicht nichts mit Charakter, sondern mit Nerven zu tun. Für viele Spieler ist es die erste Situation dieser Art. Denen gefällt es doch auch nicht, auf Platz 14 zu stehen. Sie wissen, was auf sie zukommt, und natürlich sind sie auch in der Pflicht. Wenn wir von Stabilität sprechen, ist der Kopf ebenso gemeint. Wir müssen ruhig bleiben und dürften nicht erwarten, dass wir Darmstadt aus dem Stadion schießen. Es geht jetzt darum, wieder eine mannschaftliche Geschlossenheit zu finden. Das beginnt bei der Psyche. Es darf niemand meinen, dass ein Trainerwechsel von alleine alle Probleme löst.

Sind Ihre Spieler einfach so veranlagt, dass sie schnell hadern, oder liegt es an den vielen jungen Spielern?

Eberl Wir haben uns diesem Weg mit vielen jungen Spielern verschrieben. Das bedeutet immer Chance und Risiko zugleich. In schwierigen Situationen reagiert ein junger Spieler nervöser und unsicherer als einer, der das schon viermal erlebt hat.

Die Arrivierten sind also in der Pflicht.

Eberl Spieler wie Yann Sommer, Lars Stindl, Oscar Wendt, Fabian Johnson oder Christoph Kramer müssen den Jungen Halt geben. Dafür haben wir solche Spieler. Es wächst nach den Abgängen von Granit Xhaka, Martin Stranzl und Co. eine neue Hierarchie. Das ist ein harter Prozess, weil wir sie in einer schwierigen Phase entwickeln müssen.

War bei André Schubert eine sehr flache Hierarchie ein Problem?

Eberl Das würde ich nicht sagen. Du kannst einem Spieler das Etikett Führungsspieler nicht einfach aufdrücken. Wir haben mündige Spieler, die klar ihre Meinung sagen. Das ist eben ein Kreis von fünf, sechs, die das Zepter in der Hand haben.

Hätten Sie sich von einigen dennoch mehr erwartet?

Eberl 16 Punkte und Platz 14 sind zu wenig, aber die Hinrunde war nicht in Gänze eine Katastrophe. Das schwingt überall mit und dagegen wehre ich mich. In Glasgow bestehst du nicht mit einer Mannschaft, die keine Eier in der Hose hat und nicht Fußball spielen kann. So wie im Heimspiel gegen Barcelona spielst du nicht, wenn du nur Graupen hast. Es muss sich entwickeln, und natürlich ist manch einer besonders gefordert. Aber es hilft nicht, Schuldige herauszupicken. Wir sind alle gemeinsam in der Pflicht.

Das Interview führten Karsten Kellermann und Jannik Sorgatz. Den zweiten Teil lesen Sie am Samstag bei RP ONLINE.

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