Aus dem EM-Kader gestrichen Bitterer Geburtstag für Seuchenvogel Reus

Düsseldorf · Das Timing war bescheiden - zugleich aber auch eine bittere Pointe der Karriere von Marco Reus. Dass der Dortmunder ausgerechnet an seinem 27. Geburtstag aus dem EM-Kader gestrichen wurde, macht die Story um seine fast schon unglaubliche Verletzungsgeschichte nur noch tragischer.

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Foto: dpa, geb

"Reus hat massive gesundheitliche Probleme", verkündete Löw mit einem angemessen zerknirschten Gesichtsausdruck im Trainingslager im schweizerischen Ascona. "Die Prognosen für ihn waren nicht günstig, aus medizinischen Gründen musste ich ihn streichen. Für uns und für ihn ist das eine bittere Entscheidung, er wäre eine Bereicherung gewesen."

Reus laboriere an einer Schambeinentzündung, er könne momentan nur geradeaus laufen, berichtete Löw. Neben Reus flogen auch die beiden Leverkusener Karim Bellarabi und Julian Brandt sowie der Hoffenheimer Sebastian Rudy aus dem Kader. So traurig die Nicht-Berücksichtigung für das Trio ist, so bitter war sie für Reus. Es war ein Schock aus dem Nichts. Und das mal wieder kurz vor dem Ziel.

Sami Khedira, zuletzt mehrfach Kapitän der DFB-Elf, berichtete, er habe mit Reus kurz gesprochen: "Er wirkte sehr gefasst, obwohl das natürlich ein bitterer Schlag ist. Kurioserweise berichtete Khedira dann von "länger anhaltenden Problemen am Schambein", die im DFB-Camp bis dahin nicht thematisiert wurden. Die Rede war lediglich von Adduktorenproblemen, offenbar eine Folge der ursprünglichen Problematik.

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Foto: dpa, woi lof

Spezielle Geburtstagsgrüße

Am Morgen noch waren die sozialen Medien noch voller spezieller Geburtstagsgrüße. Einige Tweets zu seinem Ehrentag gerieten als Tüpfelchen auf dem I dann noch zu einer peinlichen Farce. So twitterte Bastian Schweinsteiger, der mit Reus kurz vor der Bekanntgabe der Streichliste noch eine individuelle Einheit absolvierte: "Ich wünsche dir zu deinem Geburtstag das Allerbeste. Genieße!" Was (vielleicht nicht von Schweinsteiger selbst) nur nett gemeint war, liest sich angesichts der anstehenden Heimreis des BVB-Stars fast schon wie Hohn.

Auch Mario Götze hatte noch am Morgen getwittert: "Herzlichen Glückwunsch Marco. Kann unser nächstes gemeinsames Turnier nicht erwarten." Der Tweet wurde schließlich eilig gelöscht und durch "Herzlichen Glückwunsch, aber wir sind wirklich traurig. Unglaublich. Das tut mir weh" ersetzt. Dass dabei nicht @woodyinho (Reus) der Adressat war, sondern der völlig unbekannte @marcinho11, ist das Sahnehäubchen bei Götzes Pannen-Tweets.

Reus selbst dürfte das alles komplett egal sein. Bereits seine Premiere in der Nationalmannschaft musste wegen Verletzungen mehrmals verschoben werden. Die WM 2010, wo er als Überraschungskandidat galt, verpasste er. Bei der EM 2012 kam er nur zu zwei Einsätzen. Nach der WM 2014 ist er nun mal wieder nicht bei einem großen Turnier dabei.

Im letzten Spiel vor der WM hatte sich der frühere Gladbacher einen Teilrisses der linken vorderen Syndesmose und einen knöchernen Bandausriss an der Fersenbein-Vorderseite zugezogen und dadurch das Turnier in Brasilien verpasst. Den WM-Triumph seiner Kollegen hatte Reus schweren Herzens vor dem Fernseher verfolgt. Dass Götze bei der Siegerehrung demonstrativ sein Trikot gezeigt hatte, bekam Reus schon gar nicht mehr mit, sein TV-Gerät war da schon längst ausgeschaltet.

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Das ist Marco Reus

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Foto: AP/Martin Meissner

Der hoch veranlagte Mittelfeldspieler kommt so seit seinem verspäteten DFB-Debüt 2011 auf gerade einmal 29 Länderspiele. Zum Vergleich: Kumpel Götze blickt seit 2010 auf 51 Einsätze zurück.

Denn auch nach der WM blieb Reus nie wirklich lange von Beschwerden verschont: Außenbandanriss im Sprunggelenk, Bänder- und Sehnenzerrung sowie Knochenödem im Sprunggelenk, Außenbandriss, einen angebrochenen Zeh und immer wieder Adduktorenprobleme. Er kennt sich also aus mit diesen Momenten. Auch wenn sich die Seuche niemand so richtig erklären kann. Immer dann, wenn Reus wieder an Fahrt aufgenommen, seinen Rhythmus gefunden hatte, warfen ihn die Blessuren zuverlässig wieder zurück.

Rückschläge also, von denen man sich nur schwer erholt. Nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Von Selbstzweifeln oder gar Verzweiflung will Reus aber grundsätzlich nichts hören. "Im ersten Moment kann so ein Gedanke natürlich mal aufkommen. Aber den schiebe ich auch schnell wieder beiseite", hatte er Ende vergangenen Jahres mal über seine Verletzungsseuche gesagt.

"Es bringt nichts, sich im Leben auf Negatives zu fixieren. Das hilft niemanden. Erst recht mir nicht, wenn ich nach einer Verletzung daran arbeite, möglichst schnell wieder auf dem Platz stehen und das machen zu können, was ich am liebsten mag: Fußball spielen", so Reus weiter. Genau das kann er im Moment nicht. Mal wieder nicht.

Neben Reus haben es auch Sebastian Rudy (TSG Hoffenheim) sowie die Leverkusener Karim Bellarabi und Julian Brandt nicht in das Aufgebot geschafft. Ein Umstand, den Bayers Sportdirektor Rudi Völler im Gespräch mit unserer Redaktion versuchte, einzuordnen. "Ich bin schon enttäuscht, aber ich weiß auch, wie schwer das für Joachim Löw ist. Ich habe solche Entscheidungen selbst schon treffen müssen. Ich habe vor vier Wochen noch gedacht, wer außer Karim Bellarabi kann von unseren Jungs noch auf den Zug aufspringen? Jetzt hat es nur Bernd Leno geschafft", bekundete Völler, von 2000 bis 2004 DFB-Teamchef. "Julian Brandt gehört sowieso die Zukunft im deutschen Fußball. Wenn es wieder losgeht, wird er sofort Gas geben und alles dafür tun, nach der EM wieder im Kader dabei zu sein."

(are)
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