Analyse zur WM-Qualifikation Oranje braucht van Gaal

Düsseldorf · Die Niederlande haben auf die peinliche 0:2-Niederlage in der WM-Qualifikation in Bulgarien reagiert und am Sonntag Bondscoach Danny Blind entlassen. Hollands Fußball liegt einmal mehr in Trümmern.

Niederlande: Kandidaten für die Nachfolge von Danny Blind
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Kandidaten für das Amt des Bondscoaches

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Foto: dpa, pf ms nic hak

Am Tag nach dem Debakel holte Danny Blind noch einmal ganz groß aus. Gerade erst hatte die niederländische Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation beim 0:2 in Bulgarien den nächsten Tiefpunkt der jüngeren Oranje-Geschichte erlebt, da sagte der zu diesem Zeitpunkt Noch-Bondscoach tatsächlich: "Ich hatte das Gefühl, wir sind auf dem richtigen Weg. Bulgarien war ein Ausrutscher."

Diese Meinung hatte Blind indes ziemlich exklusiv. Denn der niederländische Fußball-Verband beriet sich zuerst stundenlang und setzte den Trainer nach der peinlichen Pleite in Sofia auf die Straße. Am Dienstag im Testspiel gegen Italien wird Assistenztrainer Fred Grim, einst Ersatztorhüter bei Ajax Amsterdam, auf der Bank sitzen. Dann soll ein neuer Bondscoach gesucht werden.

Rufe nach van Gaal werden laut

In den Niederlanden ist angesichts des freien Falls der einst so stolzen Oranje-Mannschaft der Katzenjammer groß. Laut sind die Rufe nach einer Rückkehr von Louis van Gaal. Der führte die Niederlande mit seiner berühmt-berüchtigten harten Hand schon 2014 zum dritten Platz bei der Weltmeisterschaft in Brasilien — mit einer Mannschaft, die qualitativ schon zu diesem Zeitpunkt weit entfernt von Halbfinal-Tauglichkeit war. Doch mit einer defensiven Spielweise und taktischen Kniffen kaschierte er die Mängel. Etwas, das Blind, der nach Punkten nun zweitschlechtester Trainer der Oranje-Historie ist, zu keinem Zeitpunkt gelang.

"Die Mannschaft ist sehr jung und nicht selbstbewusst. Da haben sie einen Trainer wie Louis van Gaal nötig, der autoritär mit den Spielern umgeht und ihnen klare Befehle gibt. Mit kommunikativen Trainern wie Guus Hiddink und Danny Blind kommen sie nicht zurecht. Diese Spieler brauchen eine harte Hand", sagte Ex-Nationalspieler Pierre van Hooijdonk. Van Gaal trainierte zuletzt Manchester United, musste dort aber im vergangenen Mai gehen.

Weitere Kandidaten auf die Blind-Nachfolge sind Frank de Boer oder Ronald Koeman. Letzterer sagte bereits ab. Dabei war Koeman nach der WM in Brasilien der Top-Kandidat für das Nationaltrainer-Amt. Er hatte Feyenoord Rotterdam aus dem Dornröschenschlaf geweckt, galt als kommender Spitzentrainer und wollte sehr, sehr gerne Oranje trainieren. Und das Volk wollte Koeman. Der damalige KNVB-Direktor Bert van Oostveen, in den Niederlanden als Totengräber des Fußballs verschrien, hatte jedoch zum Entsetzen der Fans und Experten eine andere Idee: 2014 installierte er den Trainer-Altmeister Guus Hiddink mit einem Assistenten Blind, der dann 2016 sein Nachfolger werden sollte.

Blind verspielt letzte EM-Chance

Eine Fehlentscheidung, die im Nachgang von "Voetbal International" als wahnwitzig verschrien werden sollte: Hiddink, der vor seinem Engagement eigentlich schon im Ruhestand war, stolperte sich durch die EM-Qualifikation und musste vier Spiele vor Schluss gehen. Blind brachte dann als sein Nachfolger das Kunststück fertig, auf erbärmliche Art und Weise gegen Island, die Türkei und Tschechien zu verlieren und so mit drei Pleiten in vier Spielen die Europameisterschaft zu verpassen.

Weitermachen durfte der Coach, dessen Lebenslauf bis dahin genau ein durchwachsenes Jahr als Cheftrainer bei Ajax Amsterdam beinhaltete, trotzdem. Mit schwerwiegenden Folgen. Nach der Pleite in Bulgarien ist auch die Weltmeisterschaft in Russland weit weg: Die Niederlande können noch maximal auf 22 Punkte kommen, angesichts der wahrscheinlichen Niederlage in Frankreich sind wohl maximal 19 Zähler drin. Ob das reicht, um zu den besten Gruppenzweiten zu gehören und dann Play-offs spielen zu dürfen, ist fraglich. Und so droht Oranje das zweite große Turnier in Folge zu verpassen — das gab es seit 1986 nicht mehr.

Die Gründe für Blinds Scheitern sind vielschichtig, die wahrscheinlichste Erklärung ist aber, dass er einfach kein guter Trainer ist. Das erkannte zumindest Ajax innerhalb eines Jahres und setzte das frühere Abwehr-Idol auf die Straße. Hollands Fußball-Funktionäre (von denen die wenigsten selbst als Profi aktiv waren) brauchten deutlich länger bis zur Erleuchtung. Die Folgen sind katastrophal: Blinds Personalentscheidungen gaben einem ohnehin schon nicht mehr mit überschäumendem Selbstbewusstsein ausgestatteten Oranje-Team den Rest. In kürzester Zeit machte er gleich vier Torhüter abwechselnd zur Nummer eins, verbrannte in Bulgarien einen 17-Jährigen als Innenverteidiger. Matthijs de Ligt, der gerade sieben (Kurz-)Einsätze für Ajax absolviert hatte, ging in der ersten Hälfte in Sofia gnadenlos unter und wurde dann zur Pause ausgewechselt. "Ich hätte gedacht, er packt das", sagte Blind. Dabei hatte er in Wesley Hoedt einen Abwehrspieler auf der Bank, der in dieser Saison Stammspieler bei Lazio Rom in der italienischen Serie A ist.

Russisches Roulette

Es war nicht seine einzige Fehlentscheidung. Blind spielte mit Oranje ein russisches Taktik- und Personal-Roulette, wechselte ständig die Spielsysteme und tauschte die Spieler beliebig und ohne erkennbares Muster aus. Er vergraulte Routiniers wie Klaas-Jan Huntelaar oder Robin van Persie. Blind pokerte — siehe de Ligt — immer wieder hoch. Und scheiterte jedes Mal. Dabei benötigt der niederländische Fußballstolz gerade in Zeiten, in denen Arjen Robben der einzige und letzte Spieler von großer internationaler Klasse ist, eine ruhige Hand. In Holland machen sie sich jedenfalls nichts vor: Die großen Oranje-Zeiten sind vorerst vorbei. Der Niedergang des Klubfußballs wirkt sich nun auch auf das Nationalteam aus. Große Talente sind nicht zu sehen, die meisten Spieler übersteigen das überschaubare Niveau der heimischen Eredivisie nicht mehr.

Und so wird ein Trainer gebraucht, der dem mittelmäßig talentierten Nationalteam wenigstens neuen Lebensmut einimpft. Koeman, der aktuell bei Everton in der Premier League sehr erfolgreich ist, wäre der perfekte Kandidat dafür gewesen. Nun muss es ein anderer versuchen, van Gaal wäre wahrscheinlich sogar die beste Lösung. Um den Job ist zwar keiner zu beneiden — doch eins ist angesichts der vergangenen Monate sicher: Es schlechter zu machen als Danny Blind wird sehr, sehr schwierig.

(asch)
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