Auszeichnung an Amerikaner, Briten und RussenPhysik-Nobelpreis für kalte Kabel
Stockholm (rpo). Die drei Wissenschaftler Alexei Abrikosov, Vitaly Ginzburg und Anthony Leggett sind die diesjährigen Träger des Physiknobelpreises. Das gab die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm bekannt. Die Forscher erhalten den Preis für ihre bahnbrechende Arbeiten zur verlustfreien Leitung von Strom. Ausgezeichnet werden der Russe Vitali Ginsburg, der russisch-amerikanische Forscher Alexej Abrikosow und der angloamerikanische Physiker Anthony Leggett. In Supraleitern fließt Strom bei sehr tiefen Temperaturen ohne elektrischen Widerstand - und damit verlustfrei. In einem ringförmigen Supraleiter kann Strom monatelang kreisen, ohne an Stärke zu verlieren. Entdeckt wurde dieser Effekt bereits 1911, seine Ursache blieb jedoch lange Zeit rätselhaft. "Längst überfällig""Der Nobelpreis für alle Autoren war längst überfällig", sagte Nils Schopohl, Professor für die Theorie der kondensierten Materie an der Universität Tübingen. "Alle drei haben eine Reihe Aufsehen erregender Arbeiten geschrieben, die die theoretische Physik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts revolutioniert haben." Supraleitende Materialien werden derzeit vor allem für leistungsfähige Stromkabel und Magnete sowie Platz und Energie sparende Motoren verwendet. Auch Kernspintomographen zur Diagnose von Organveränderungen nutzen diese Technik. "Die Arbeiten insbesondere von Abrikosow sind heute Basis für eine Milliarden-Dollar-Industrie", sagte Prof. Manuel Cardona vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart. Er würdigte auch die politische Bedeutung des Preises. Während Ginsburg in Russland blieb, sei Abrikosow von den USA abgeworben worden. "Durch den Nobelpreis wird die Forschung in Russland wohl etwas mehr unterstützt werden, um Wissenschaftler zu halten." Multitalent und Patriarch der russischen PhysikforschungAbrikosow (75) arbeitet am Argonne National Laboratory in Illinois. Er formulierte eine Theorie zu so genannten Typ-II- Supraleitern, die Strom auch in starken Magnetfeldern verlustfrei leiten. Basis seiner Berechnungen waren mathematische Modelle Ginsburgs (87) zu Typ-I-Supraleitern. Diese verdrängen Magnetfelder, wie sie bei jedem Stromfluss automatisch entstehen. Ginsburg gilt als Multitalent und Patriarch der russischen Physikforschung. Während Supraleiter schon seit Jahren kommerziell genutzt werden, findet die Forschung Leggetts bislang kaum praktische Verwendung. Der an der University of Illinois arbeitende 65-Jährige entwickelte eine Theorie, die die Supraflüssigkeit eines bestimmten Helium-Typs erklärt. Bei sehr niedrigen Temperaturen von rund 273 Grad Celsius unter Null wird Helium nicht etwa fest, sondern verliert jegliche innere Reibung. Als "Suprafluid" fließt es ohne Widerstand über Oberflächen und sogar die Innenwand eines Becherglases hoch. Der Effekt wird von Physikern genutzt, um Phänomene der Supraleitung zu erforschen. Forschers TraumGrundlage der Supraleitung sind Elektronenpaare, die sich reibungsfrei durch die Gitterstruktur von Metallen bewegen. Mittlerweile sind mehrere Tausend Legierungen und Verbindungen bekannt, in denen der Effekt auftritt. Viele von ihnen werden allerdings nur unter bestimmten Bedingungen wie hohem Druck supraleitend. Traum der Forscher ist die Entdeckung eines Materials, das bereits bei Raumtemperatur und normalem Druck zum Supraleiter wird. Mit ihm ließen sich Stromverluste auch beim Transport über weite Strecken fast gänzlich vermeiden. Bei herkömmlichen Kupferkabeln geht wegen des elektrischen Widerstandes sehr viel Energie verloren. Die höchste Auszeichnung für Physiker ist in diesem Jahr mit umgerechnet 1,1 Millionen Euro (10 Millionen Schwedischen Kronen) dotiert. Die Nobelpreise werden traditionsgemäß am 10. Dezember überreicht, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel (1833 - 1896). Am Mittwoch folgt die Bekanntgabe der Träger der Nobelpreise für Chemie und für Wirtschaftswissenschaften. Die Preisträger: Alexei A. Abrikosov, geb. 1928 (75 Jahre) in Moskau in der ehemaligen Sowjetunion (Bürger der USA und Russlands). Promotion in Physik 1951 am Institute for Physical Problems, Moskau. Distinguished Argonne Scientist, Argonne National Laboratory, Argonne, Illinois, U.S.A. Vitaly L. Ginzburg, geb. 1916 (87 Jahre) in Moskau, Russland (Bürger Russlands). Promotion in Physik 1940 an der Universität in Moskau. Ehemaliger Leiter der Theoriegruppe am P.N. Lebedev Physical Institute, Moskau, Russland. Anthony J. Leggett, geb. 1938 (65 Jahre) in London, Großbritannien (Bürger der USA und Großbritanniens). Promotion in Physik 1964 an der Universität in Oxford. MacArthur Professor an der University of Illinois, Urbana-Champaign, U.S.A.