San José Mordvideo überschattet Zuckerbergs Show

San José · Auf der Facebook-Entwicklerkonferenz will Konzernchef Mark Zuckerberg in erster Linie über sein Zukunfts-Thema Nummer eins, die "erweiterte Realität", reden. Doch nach dem Schock über ein Mordvideo geht es auch um gesellschaftliche Verantwortung.

Eigentlich wollte Facebook-Chef Mark Zuckerberg auf der Entwicklerkonferenz F8 im kalifornischen San José den Zuhörern seine Zukunftsvisionen skizzieren. Doch das launige Branchen-Treffen wurde vom Hier und Jetzt eingeholt: Ein Mann hatte den Mord an einem 74-Jährigen gefilmt und das Video bei Facebook hochgeladen. Nutzer meldeten den Vorfall, da stand das Video aber schon zwei Stunden im Netz. Das soziale Netzwerk benötigte noch einmal rund 20 Minuten, um das Video zu entfernen und das Profil des mutmaßlichen Täters zu deaktivieren.

"Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen des Opfers", sagte Zuckerberg und gelobte Besserung: Solche Inhalte müssten künftig noch schneller entfernt werden. "Wir müssen uns noch stärker anstrengen, um Tragödien wie diese zu verhindern", betonte der Facebook-Gründer. Der Konzern will nun die Meldeprozesse für problematische Inhalte vereinfachen.

Doch Zuckerberg kam auch ausführlich auf den eigentlichen Anlass der F8 zu sprechen: Wozu einen teuren Flachbildfernseher ins Wohnzimmer stellen, wenn das Fernsehbild auch über eine virtuelle Projektion auf der Wand gezeigt werden kann - sichtbar per Blick durch eine Datenbrille oder noch einfacher über das Smartphone oder Tablet? Wozu in einem Café oder einem Restaurant erst die Empfehlungen im Netz suchen, wenn direkt neben der echten Speisekarte virtuelle Handnotizen von Freunden mit Empfehlungen auftauchen?

Möglich macht diese Vermischungen zwischen echten und virtuellen Objekten "Augmented Reality" ("erweiterte Realität") - das nächste große Thema für Facebook.

Zuckerberg skizziert ein Facebook, das nicht mehr ausschließlich aus Beiträgen, Links, Fotos und Videos von Freunden und Medien besteht. Die Entwickler bekommen Werkzeuge an die Hand, mit denen sie spezielle Anwendungen für die Augmented Reality programmieren können. Im Zentrum steht dabei - anders als beim Konkurrenten Google - die Smartphone-Kamera. "Wir machen die Kamera zur ersten Plattform für Augmented Reality", sagte Zuckerberg. Google war vor einigen Jahren mit seiner Datenbrille "Google Glass" gescheitert. "Wir werden nicht den ganzen Tag mit einem Headset durch die Gegend laufen", sagte auch Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg. In Facebooks Vision entsteht die Augmented Reality in einem ersten Schritt auf dem Smartphone. Auf dem Bildschirm bekommt der Nutzer seine Umgebung gezeigt, die um virtuelle Objekte ergänzt wird.

Durch die rasanten Fortschritte von Rechenleistung und dank der Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz sind bereits jetzt beeindruckende Projekte möglich: In Echtzeit kann ein Raum unter Wasser gesetzt werden, es können Objekte auf einen Tisch projiziert oder in der Größe verändert werden. Facebook setzt auf ein Phänomen, das im vergangenen Sommer Millionen Menschen gefangen nahm: Beim Smartphone-Spiel "Pokemon Go" sammelten Spieler in der echten Umgebung kleine Monster ein.

Facebook ist mit seiner Einschätzung nicht allein: Apple-Chef Tim Cook hat in der Vergangenheit mehrfach betont, dass er die Augmented Reality für extrem zukunftsträchtig hält. Branchen-Beobachter erwarten, dass Apple beim neuen iPhone im Herbst ebenfalls Augmented-Reality-Anwendungen zeigen wird. Ausgerechnet Facebooks Konkurrent Snapchat hat mit seinen beliebten Gesichtsfiltern den Weg geebnet. Die Demos von Facebook, die während der F8 in San José gezeigt wurden, sind aber um einiges mächtiger.

Ein weiteres großes Thema bei der Entwicklungskonferenz war der Kampf gegen Falschnachrichten und Hassreden. Mit mehr als 1,8 Milliarden aktiven Nutzern weltweit bringt die Facebook-Dominanz auch eine gesellschaftliche Verantwortung mit sich, der sich der Konzern stellen muss. Seit einigen Monaten lässt Facebook entsprechende Kritik nicht mehr einfach an sich abprallen. "Wir leben weltweit in einer Zeit, die uns alle herausfordert", erklärte Sheryl Sandberg die neue Offensive. "Wir müssen Verantwortung übernehmen und gegen diejenigen etwas unternehmen, die unsere Plattform missbrauchen." Vor zwei Wochen hat Facebook eine milliardenschwere Initiative mit ins Leben gerufen, die sich mit dem Kampf gegen Falschnachrichten beschäftigen wird.

In diesem Jahr gibt es noch zwei weitere wichtige Themen für Facebook. Entwickler haben neue Möglichkeiten, um Anwendungen für den Facebook Messenger zu entwickeln. So soll in den nächsten Monaten eine Plattform entstehen, auf der Firmen viel einfacher in Kontakt mit den Nutzern treten können. Durch eigene Anwendungen können beispielsweise Kunden des Musik-Streaming-Dienstes Spotify ihre Musik direkt über den Messenger mit Freunden teilen und gemeinsam anhören. Auch andere Stream-Anbieter wollen dem Beispiel folgen. Sogar Gruppenvideo-Anrufe in eine komplett virtuelle Welt sollen möglich werden, denn auch beim Thema "Virtual Reality" macht Facebook Fortschritte. Mit "Facebook Spaces" stellte das Unternehmen eine Chat-Umgebung vor, bei der sich Nutzer einen Avatar im Comic-Stil auswählen. Dann können sie über Facebook mit Hilfe einer Virtual-Reality-Brille in eine beliebige 360-Grad-Welt abtauchen.

(dafi)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort