Verdacht auf Betrug 86 Kartons Beweismittel bei AOK-Razzia sichergestellt

Düsseldorf · Nach der Durchsuchung von Büros in Hamburg und Düsseldorf wertet die Justiz das sichergestellte Material aus. Es geht um das Codieren von Diagnosen. Die Krankenversicherung weist alle Vorwürfe entschieden zurück.

AOK-Razzia: 86 Kartons Beweismittel sichergestellt
Foto: Fotos: H.-J. Bauer Grafik: Schnettler

Der 27. September war kein guter Tag für die AOK Rheinland/Hamburg. Wie jetzt bekannt wurde, rückte damals die Staatsanwaltschaft Hamburg mit der Polizei an, um Geschäftsräume der Krankenversicherung in Hamburg und Düsseldorf zu durchsuchen. In Düsseldorf ist die Zentrale.

"Hierbei wurden 86 Kartons Beweismittel sichergestellt, die nun ausgewertet werden müssen", sagte Oberstaatsanwältin Nana Frombach unserer Redaktion. "Durch die Auswertung sollen insbesondere auch die konkreten Verantwortlichkeiten und auch die Schadenshöhe geklärt werden."

Die Justiz ermittelt bei der größten gesetzlichen Krankenversicherung in NRW wegen des Verdachts auf Betrug zu Lasten des Gesundheitsfonds und damit zu Lasten der Beitragszahler. Es geht - vereinfacht gesprochen - um die Frage, ob Ärzte dazu angehalten wurden, Diagnosen nachträglich zu korrigieren. Das ist nach Auskunft des Bundesversicherungsamtes, das die Kassen beaufsichtigt, bei technischen oder Übertragungsfehlern auch erlaubt. Aber eben nur dann.

Hintergrund der Codierungsdebatte ist das System des Finanzausgleichs zwischen den gesetzlichen Kassen. Je mehr besonders kranke Versicherte eine Kasse hat, desto mehr Geld bekommt sie über den so genannten "morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich" (Morbi-RSA) aus dem Gesundheitsfonds. Der Gesundheitsfonds ist die Sammelstelle der Kasse, in die Beiträge fließen. Das Ausgleichssystem umfasst derzeit rund 80 ärztliche Diagnosen von Aids über Osteoporose und Folgeerkrankungen bis hin zu Leukämie. Das System soll eigentlich für eine faire Verteilung der Gelder zwischen den Kassen sorgen, die oft unterschiedliche Mitgliederstrukturen haben.

"Es soll zunehmende Bestrebungen der Krankenkassen gegeben haben, möglichst viele Morbi-RSA-Diagnosen vorweisen zu können, um an die entsprechenden Gelder zu gelangen. In diesem Zusammenhang prüfen wir mögliche betrugsrelevante Täuschungshandlungen durch Verantwortliche der AOK Rheinland/Hamburg", sagte die Staatsanwältin.

Geführt wird die AOK Rheinland/Hamburg von einem dreiköpfigen Vorstand: Günther Wältermann (Vorsitzender), Rolf Buchwitz und Matthias Moormann.

Bereits in der Vergangenheit hatte die AOK Rheinland/Hamburg in diesem Zusammenhang Ärger: Das Bundesversicherungsamt (BVA) forderte 5,6 Millionen Euro zurück, die die AOK aus seiner Sicht zu viel erhalten hatte, plus einen Strafzuschlag von 1,4 Millionen. "Das BVA hatte für 2011 von der AOK aus den erfolgten Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds einen Betrag von sieben Millionen Euro zurückgefordert. Nachdem die AOK zunächst gegen diesen Rückforderungsbescheid geklagt hatte, hat sie im November 2016 den Bescheid im Rahmen eines Vergleichs akzeptiert", sagte BVA-Sprecher Tobias Schmidt jetzt auf Anfrage. Doch das ist eine zivilrechtliche Sache. Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt nun wegen möglicher strafrechtlicher Vorgänge.

Die AOK bestätigt die Durchsuchungen vom 27. September, weist jedoch "jeglichen strafrechtlichen Vorwurf entschieden zurück." Zugleich betont sie: "In der Klage ging es nicht um eine etwa unzutreffende Einflussnahme auf Ärzte, nicht richtig zu diagnostizieren und zu kodieren ("Upcoding"). Es ging vielmehr um ein mit der Aufsichtsbehörde abgestimmtes Verfahren zur Sicherstellung der Korrektheit der Codierung von Krankheiten." Ferner sei es um die Frage gegangen, ob die zutreffenden Diagnosen bei der Umsetzung des Risikostrukturausgleichs Berücksichtigung finden dürfen. Diese würden nicht mehr berücksichtigt. Schon 2016 hatte AOK-Chef Wältermann betont, man mache Versicherte nicht kränker, als sie sind, und schicke auch keine Codierungsberater zu den Ärzten.

Wie geht es weiter? "Nun werten wir die Unterlagen aus, das kann wegen der Komplexität einige Zeit dauern. Dann werden wir entscheiden, ob wir Anklage erheben", erklärte die Staatsanwältin.

(anh)
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