RP Plus Kein Sex ist auch (k)eine Lösung

Berlin · Manchmal ist es besser, nur über Sex zu reden, als wirklich im Bett zu landen. Warum "Nullter Sex" der bessere Sex ist und wieso man trotzdem scheitern kann – ein Gastbeitrag der Romanautorin Clara Ott. Wir verlosen ihr Debüt "Aufrüschbar".

 Clara Ott hat die Theorie vom "Nullten Sex" erfunden.

Clara Ott hat die Theorie vom "Nullten Sex" erfunden.

Foto: Foto: Moritz Thau

Manchmal ist es besser, nur über Sex zu reden, als wirklich im Bett zu landen. Warum "Nullter Sex" der bessere Sex ist und wieso man trotzdem scheitern kann — ein Gastbeitrag der Romanautorin Clara Ott. Wir verlosen ihr Debüt "Aufrüschbar".

 "Aufrüschbar" erscheint am 15. März.

"Aufrüschbar" erscheint am 15. März.

Foto: Schwarzkopf & Schwarzkopf

Kürzlich erwähnte ich in einer Bar gegenüber einem Mann meine Theorie vom "Nullten Sex". Er bat mich, sie zu erläutern. Die Theorie vom "Nullten Sex" erleichtert den komplizierten Umgang mit Banalem wie Sex inmitten unserer schnelllebigen und austauschbaren Konsumgesellschaft. Ich rede nicht vom Sex unter Verliebten, denn das ist eindeutig schon geklärt, romantisiert abgesegnet und in trockenen Bettlaken. Ich wende diese Theorie an, wenn es um Sex geht, um reine Affären oder um diese aktuell so beliebte Konstellation "Friends with Benefit." Es ist doch meistens nur Sex! Deswegen geht es beim "Nullten Sex" nicht um den Sex an sich und schon gar nicht um einen Körperkontakt, sondern um das reine Gespräch über Sex.

"Ich kann dir nicht mehr folgen", entgegnete mir der Mann, der lässig am Tresen lehnte und sich über diese Diskussion zu freuen schien.

"Nullter Sex ist kein Moment, sondern das Gespräch darüber, wie gern man miteinander schlafen würde, aber es gerade deswegen nicht tut", erklärte ich ihm. "Kommunikation statt Action! Guter, aber kurzer Sex versus langanhaltendende Komplikationen.

"Welche Gründe sprechen denn bitteschön gegen Sex? Außer Eheringen?", fragte der Mann. Er war Single, genau wie ich.

Sex verkompliziert Beziehungen

Jeder weiß, dass Sex auf der einen Seite die Betten zum Schwanken und unsere Gefühle ins Rollen bringt. Sex verkompliziert auf intensive Weise die zwischenmenschliche Beziehung zweier Sexualpartner, die danach vielleicht niemals Liebespartner werden. Sex ist eine einfache Sache in der Nacht, die jedoch verzwickte Situationen ans Tageslicht bringt. Deswegen ist Nullter Sex der bessere Sex.

"Ich versteh das nicht. Sex ist doch toll, und umso mehr, je öfter man welchen hat!", empörte sich der Mann. Also erklärte ich ihm die drei Stufen des Sex. Rückwärts.

Die "Theorie vom Nullten Sex" basiert nämlich auf keiner Marketingregel, sondern auf einer ganz simplen Rückrechnung: Beim Sex gibt es das dritte Mal, das zweite Mal, das erste Mal — und das nullte Mal.

Das dritte Mal

Die meisten Frauen verlieben sich nach dem dritten Akt in den Mann. Vertraute Nähe, Wiedererkennen und Gewöhnung an den Körperduft und viel intimer Austausch von Zärtlichkeiten. Da ist sie dann, die viel gefürchtete, oft unterdrückte, aber niemals zu leugnende emotionale Verwicklung. Das verstand der Mann sofort und nippte genüsslich an seinem Wein.

Das zweite Mal

Es war sicherlich nicht minder aufregend als das erste Mal, allerdings gibt es einen Haken: Wenn man zum zweiten Mal miteinander schläft, steigt neben der Kurve der Vertrautheit vor allem die eigene Erwartungshaltung. Und zwar in die Qualität des Bettvergnügens. Wenn der Sex nicht gut war, steht das Wiedersehen — und damit der dritte Sex — gewaltig auf der Kippe. Auch das begriff der Mann. "Wenn der Sex beim ersten Mal gut war und beim nächsten Mal nicht, dann war's das meistens", stimmte er mir zu.

Das erste Mal

Am Anfang steht das erste Mal. Ganz gleich, ob beide Fremde oder Freunde sind, so ist alles nach diesem Mal heikel. Es gibt nämlich am nächsten Morgen nur drei Lösungen:

1. Nur noch Sex.

2. Nie wieder Sex.

3. Sex plus Liebe.

Der Mann war irritiert. "Und was ist mit Liebe ohne Sex? Wäre das nicht eine vierte Lösung?" "Liebe ohne Sex ist traurig, diesen Zustand möchte ich an dieser Stelle mal ausklammern", fand ich. Er nickte.

Und da es selten Sex plus Liebe wird, sondern meist Sex oder nie wieder Sex, sollte man sich an den "Nullten Sex" halten: mit einem Mann nicht zu schlafen, aber offen darüber zu reden, ist viel nachhaltiger, als es wirklich zu tun. Ganz gleich, ob die Nummer super werden würde. Denn im Zweifel ist es nur Sex, und man kann sich stattdessen weiterhin viel respektvoller in die Augen schauen, wenn man es nicht macht.

Unterm romantischen Sternenhimmel

"Hast du das wirklich schon mal versucht?", fragte er irritiert.

"Ja. Ich habe während eines Segelurlaubs mit einem sehr attraktiven Neuseeländer an Deck geschlafen, unter romantischem Sternenhimmel, in einer einsamen, kroatischen Bucht, im Sommer, bei Vollmond. Er wollte Sex, ich nicht. Also schlug ich ihm vor, dass er trotzdem gern neben mir liegen könne und es mit Sicherheit eine großartige Nacht werden würde. Er glaubte mir natürlich kein Wort und so diskutierten wir erst eine Viertelstunde darüber, wieso es besser wäre, dass wir uns nicht küssen. Es lief wirklich nichts, obwohl er nackt neben mir lag. Aber der Moment war perfekt, es war eine romantische Mondnacht, aber ich war fest davon überzeugt, dass Sex alles kaputt gemacht hätte. Am nächsten Morgen war ich glücklich. Ich konnte ihm in die Augen schauen, ohne Zweifel oder Fragen darüber, ob es ein One-Night-Stand war oder eine Affäre wird. Wir wussten, dass wir noch eine Woche auf dem Segelboot sein würden. Wäre etwas gelaufen, so wäre die Zeit niemals so entspannt gewesen. Und außerdem haben wir immer noch Kontakt. Er würde mir nicht mehr schreiben, wenn er damals seinen Jagdinstinkt befriedigt hätte. Es wäre nur Sex gewesen, vielleicht guter, aber eben nur Sex."

Der Mann aus der Bar kniff die Augen zusammen. Er dachte nach. Vielleicht ratterten ihm die letzten Affären durch den Kopf. "Du denkst eindeutig zuviel darüber nach, statt es einfach mal zu machen. Wer sagt denn, dass er sich nicht in dich verliebt hätte? Man muss doch was riskieren im Leben. Und beim Sex." Er verstand mich nicht.

Gefühllose Jäger?

"Das gilt natürlich nicht immer. Aber mit manchen Männern schläft man besser nie, sondern bekommt dafür eine großartige Freundschaft. Denn mit den meisten Männern, mit denen ich nie geschlafen habe, habe ich immer noch Kontakt. Und umgekehrt mit vielen nicht mehr, mit denen was lief."

"Man muss unterscheiden zwischen Sex und Sex mit jemandem, den man mag. Klar können wir Männer das emotional besser trennen als ihr Frauen. Aber wir sind dennoch keine gefühllosen Jäger durch eure Betten." Er grinste. Meine Argumentation geriet ins Wanken.

Ich fuhr fort: "Ich habe zumindest die Erfahrung gemacht, dass es Männer gibt, mit denen man am Anfang nur darüber reden sollte, dass man sich gegenseitig sehr anziehend findet und gern knutschen würde. Und wenn man das nicht tut und sich dennoch weiter trifft, dann kann daraus mehr werden. Der Mann verliert dann nicht so schnell das Interesse."

"Dein "Nullter Sex" ist also nur eine reine Hinhalte-Taktik, um den Mann zu testen, ob er Interesse an einem ersten, zweiten oder dritten Mal hat? Clever. Und viel zu kompliziert."

Der Mann schien sich zu amüsieren.

"Es ist keine Hinhalte-Taktik, sondern ein Selbstschutz. Und es ist ein schönes Kompliment", sagte ich.

"Für dich vielleicht. Als ich 15 Jahre war, hatte ich eine Freundin, mit der nichts außer bravem Händchenhalten lief. Sie redete ständig davon, dass wir uns bald das erste Mal richtig mit Zunge küssen würden. Ich war so heiß darauf und ungeduldig, dass ich bei jedem Treffen schwitzte und stammelte und jedes Mal enttäuscht heimging, weil sie mich wieder nicht geküsst hatte. Nach ein paar Wochen machte ich genervt Schluss. Vielleicht hilft dir die Geschichte, denn ich glaube nicht, dass du Männer mit deiner Theorie dauerhaft überzeugen oder binden kannst. Geschweige denn, dass sie sich in dich verlieben."

Er rief nebenbei den Kellner und zahlte unsere Rechnung.

Nur eine Theorie

"Es ist nur eine Theorie und ich habe nicht behauptet, dass sie in der Praxis immer so einfach anzuwenden ist", sagte ich. Vielleicht dachte ich wirklich zuviel über theoretischen und praktischen Sex nach. Er hielt mir dir Tür auf.

"Und jetzt? Schlafen wir bei dir oder bei mir miteinander?", sagte er und winkte lachend ein Taxi heran.

"Du kannst gerne mit zu mir kommen und bei mir schlafen. Aber es läuft nichts", sagte ich. Der Mann grinste. Und er glaubte mir nicht. An diesem Abend glaubte ich selber nicht mehr so richtig fest an die "Theorie vom Nullten Sex". Er hatte schöne Grübchen.

Clara Ott, Jahrgang 1980, veröffentlicht am 15. März ihren Debütroman "Aufrüschbar" (Schwarzkopf & Schwarzkopf, 320 Seiten, 9,95 Euro). Die Protagonistin Lotte versucht dort, die Theorie vom "Nullten Sex" zu beherzigen. Nicht immer mit Erfolg.

(seeg)
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