Rezension Ein literarisches Puzzle

Düsseldorf · Der neue Roman von Yasmina Reza besteht aus nicht weniger als 21 Kapitel und wenigstens 18 Hauptpersonen. Da ist es tatsächlich manchmal vonnöten, ein paar Seiten zurückzublättern. Die Neugierde drängt, um zu überprüfen, ob die oder der Neue, vielleicht die oder der Alte aus einer der vorherigen Erzählungen ist

Die Protagonisten treten in den Kapiteln als Ich-Erzähler auf, sodass die Leser in die Gedankenwelt eintauchen können. In den Tiefen entdecken sie vor allem eins: Vorurteile über andere und Illusionen über sich selbst. Was der Leser erfährt, mag ihn erschrecken — denn in gewisser Weise wird er wahrscheinlich sich selbst wiedererkennen.

Ob Käse oder Krebs, Beischlaf oder Beerdigung — alles findet seinen Auftritt in dem knapp 200 Seiten starken Buch. Nach wenigen Kapiteln gewöhnt sich der Leser an die schnellen Perspektivenwechsel und unterschiedlichen Themen. Eben noch mit dem Ehepaar Toscano im Supermarkt an der Milchwarentheke, wenige Seiten weiter bei Sohn Vincent und Mutter im Wartezimmer eines Krebs-Spezialisten, und dann eben in Mitten einer Beerdigungsgesellschaft. Der zu schnelle Lesefluss, den die nicht kenntlich gemachte wörtliche Rede und die vielen Nebensätze fördern, lässt den Leser anfangs noch stolpern — ist er warmgelesen, läuft es leichter. Fragt man sich anfangs noch beim Ende eines jeden Kapitels: "Interessant, aber nun?" — entpuppt der Roman auf fortgeschrittener Seite das feine Netz, welches die Charaktere als Freunde, Verwandte oder Bekannte zusammenspinnt.

Den Protagonisten gemein ist, dass sie alle einen scheinbar nicht minder angesehen Beruf ausüben. Das Gesellschaftspanorama der gehobenen Mittelschicht offenbart sich dem Leser wie ein riesiger Tapasteller. Aber wie im Restaurant, so auch in der Lesestube: Alles ist nicht nötig, alles ist zuviel. Doch wer gerne literarisch puzzelt, aber keinen bildlichen Van Gogh erwartet, dem sei "Glücklich, die Glücklichen" ans Herz gelegt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort