Salzburg "Don Giovanni": Der ewige Stenz in Salzburg

Salzburg · Sven-Eric Bechtolf inszenierte, Christoph Eschenbach dirigierte Mozarts Oper zur Eröffnung der Salzburger Festspiele.

In "Don Giovanni" hat Mozart - auch darin der Welt voraus - ein psychologisches Phänomen ausgebreitet, das erst 200 Jahre später Einzug in die Wissenschaft fand: das Stalking. In der Oper skizziert Mozart eine zu Hysterie, Klemmsucht, Grenzübertritt und kriminellen Gedanken neigende Dame namens Elvira. Nach kurzer Romanze wird sie von einem liederlichen Herrn verlassen, verwindet die Enttäuschung nicht und sucht das Objekt ihrer Begierde zurückzuerobern. Dazu ist ihr jedes Mittel recht - Elvira stalkt Giovanni. Fürs Strafgesetzbuch taugt ihr Verhalten kaum, denn Giovanni gibt ihr nie den Laufpass. Er hält sie hin, sich vom Leib und doch warm.

In der neuen Salzburger Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf gestaltet sich die Mission der Lady ohnedies schwierig. Der Abend spielt in einem Art-déco-Hotel (Bühne: Rolf Glittenberg), in dem jedermann gleichsam Tür an Tür mit dem Wüstling logiert. Das erhöht die Chance auf schnellen Kontakt, andererseits muss Elvira betrübt erkennen, dass Giovannis Verfügbarkeit reduziert ist; der Herr hat das gesamte weibliche Personal im Visier.

An der Lokalität mit den Zimmern im Obergeschoss, der Doppeltreppe zum Empfangsbereich, der Rezeption und der Sitzgruppe hat man sich rasch sattgesehen. Deshalb hat Bechtolf zahlreiche entbehrliche Munter- und Interessantmacher ins Geschehen gestickt.

Etwa die Flasche mit Hochprozentigem, aus der Elvira alle Ängste vor einer neuerlichen Abfuhr herunterspült. Zur weiteren Unterhaltung treten Teufel mit Hörnchen auf; und der Komtur, Donna Annas Vater, den Don Giovanni zu Beginn erstochen hat, sieht aus wie der nordkoreanische Diktator, dessen Haare mit Gartenschere und Wasserstoffperoxid behandelt wurden.

Weil Giovanni seine Finger nie bei sich behalten kann, kommt es zu der hocherotischen Situation, dass Elvira im zweiten Akt mit Leporello, Giovannis Diener und zwischenzeitlichem Double, herumknutscht, während der Meister selbst ihre Unterschenkel befingert.

Das ist eine Komplexität sinnlicher Zuwendung, die in der Partitur nicht vorgesehen ist, Mozart aber gefallen hätte. Giovanni ist hier der freie Held, der auf alle Konventionen pfeift. Die Damen sind freilich sehr willige, fast statische Opfer, und diese Schieflage legt sich belastend auf Bechtolfs Regie. Es kommt zu pikanten Momenten, aber selten zu vibrierender Atmosphäre.

Gegenüber Elviras Genussfähigkeit verhält sich zudem die Donna Anna kapriziös und fast tantenhaft zugeknöpft. Das zeigt sich auch gesanglich: Während Anett Fritsch (aus dem Rheinopern-Ensemble) ihr Salzburg- und Rollendebüt phänomenal meistert, indem sie die Elvira mit prachtvollem Sopran nicht als schrille Megäre, sondern als aufopferungsvoll um ihre Liebe kämpfende Frau darstellt, reitet Lenneke Ruiten als Donna Anna eher auf der Klinge ihres Soprans. In jeder ihrer Arien bangt man um sie, statt von ihr ergriffen zu werden.

Valentina Lafornita ist eine fast zu dramatische Zerlina, wogegen Alessio Arduini als ihr Bräutigam Masetto ein Schmalhans im Geltungsbereich des Bassschlüssels ist. Andrew Staples gibt einen angemessen sensiblen Don Ottavio; Tomasz Konieczny (ebenfalls Mitglied der Rheinoper) trumpft als bedrohlicher Komtur auf.

Gerettet wird der musikalisch durchwachsene Abend durch Ildebrando D'Arcangelo in der Titelpartie. Er singt belkantisch und beherrscht auch stimmlich die Kunst der Anspielung.

Luca Pisaroni als Diener "Leporello" assistiert ihm prachtvoll. Dass beide in ihrer Körpergröße ein Stockwerk auseinander liegen, erhöht die Komik. Trotzdem zieht sich der zweite Akt doch arg in die Länge, was freilich nicht am Komponisten liegt.

Dirigent Christoph Eschenbach ist weder ein trefflicher Mozart- noch ein Operndirigent; er verschleppt die Tempi, führt die Wiener Philharmoniker in den Rezitativen wiederholt an den Rand von Turbulenzen und gibt dann wieder Gas, als müsse Giovanni zwei durchgebrannte Ladies auf dem Autobahn-Ring um Salzburg einholen.

Das Ende vom Lied: Nach Giovannis vermeintlicher Höllenfahrt erstarren alle zu Salzsäulen. Der Held aber erwacht, drückt allen Damen einen innigen Kuss auf die Wange und springt einem Zimmermädchen hinterher. Der ewige Stenz ist unsterblich. Ist das Bechtolfs Botschaft?

Der Saal ist ratlos und der Beifall nach fünf Minuten vorbei. So wenig Event war hier selten.

(RP)
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