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Düsseldorf Gehört Pac-Man ins Museum?

Düsseldorf · Das Museum of Modern Art in New York kauft neuerdings digitale Objekte wie Videospiele und Apps. Einige empören sich darüber. Dabei hilft uns eben dieser Umgang mit digitalen Medien, unsere Gegenwart zu verstehen.

Das Museum of Modern Art bekommt gerade Gegenwind, weil es begonnen hat, Objekte aus der digitalen Welt in seine Sammlung aufzunehmen. Genauer gesagt ist es Paola Antonelli, die sich gegen den Vorwurf verteidigen muss, sie entwerte Picasso durch Pac-Man. Die 51-Jährige ist Chefkuratorin der Abteilung für Architektur und Design des New Yorker Hauses, und sie kauft nicht nur Objekte wie den iPod an, sondern auch Videospiele wie "Pong", Zeichen wie das "@" und die Google-Maps-Stecknadel sowie Infografiken und Apps wie die der Sängerin Björk zu ihrem Album "Biophilia". Scheinbar Kleinigkeiten also, die indes die Haken sind, an denen unsere Lebenswirklichkeit hängt.

Im Internet kann man sich Vorträge von Antonelli ansehen, und auf der Homepage ihres Arbeitgebers führt sie ein Blog. Sie begründet stets, warum sie bestimmte Objekte kauft. Sie beurteilt visuelle Qualität, interaktive Elemente, Eleganz des Quellcodes und seine Wirkung. Es gehe ihr darum, Verhaltensveränderungen zu dokumentieren, den Wandel im Ästhetischen - und das könne man am besten über solche "von Kunst unterstützten Innovationen". Man merkt Antonelli an, dass es ihr darum geht, das zu verstehen, was sie umgibt. Hinter die Phänomene zu blicken. Antonelli über die Gegenwart reden zu hören, lässt einem buchstäblich eine Glühbirne über dem Kopf aufgehen. Man bekommt Lust auf die Zeit, in der man lebt. Allerdings sehen das nicht alle so. Leser machen online ausführlich Gebrauch von der Kommentarfunktion. Sie fragen, was das bitteschön soll: Atari-Spiele im Museum. Ein Leitartikler des britischen "Guardian" sieht den Untergang des Abendlands voraus und schreckt nicht mal vor diesem höhnischen Kalauer zurück: "Game Over für das Kunstverständnis".

In der Diskussion - das legt die Schärfe nahe, mit der sie geführt wird - geht es offensichtlich um viel mehr als um die Frage, ob Bestandteile der Unterhaltungskultur in so ein ehrwürdiges Haus gehören. Zu erleben ist eine Auseinandersetzung über die Bewertung von Design und digitalen Medien. Und über die künftige Rolle des Museums. Der iPod etwa ist ja nur auf den ersten Blick ein Designobjekt, das die meisten schön finden und manche eben nicht. Wenn man seine Geschichte erzählt, erkennt man, dass es dieser 2001 erstmals verkaufte Gegenstand war, der die Art, wie wir Musik hören, revolutioniert hat. Der iPod ist ein Symbol, das für die Digitalisierung des Alltags steht. Musik wurde zur Datei, Noten zu jederzeit und allerorten verfügbaren Daten. Als solcher wurde er ins Museum of Modern Art (MoMA) aufgenommen. Dass er ein Produkt des Kapitalismus ist, dass er also erfunden wurde, um damit Geld zu verdienen, schmälert nicht seine Bedeutung als Dokument und vor allem nicht die Wirkung auf uns.

Auch Computerspiele sind mehr als Unterhaltung. Ihre Entstehungsgeschichten sind ähnlich komplex wie die von Kunstwerken. Und einige von ihnen veränderten unsere Wahrnehmung, die Ästhetik von Alltag und Kunst. Die Quellcodes dieser Spiele, die das MoMA übrigens immer mit erwirbt und von den Programmierern kommentieren lässt, sind eigene Erzählungen, deren Möglichkeiten sich uns womöglich erst später vollständig erschließen. Bei einem Objekt wie dem "@", das erstmals im Mittelalter als Maßeinheit unter Kaufleuten benutzt wurde, stellt sich die Frage, wie es Hunderte Jahre später zum Sinnbild der digitalen Kommunikation werden konnte. Der Software-Ingenieur Ray Tomlinson wählte es 1971 als Zeichen für die Verständigung unter Computern und schrieb damit Designgeschichte.

Design wird von vielen als dumme Cousine der Kunst betrachtet, wie eine Zeitschrift im Gegensatz zum Buch. Dabei ist es inzwischen das Design, das von Fortschritt kündet, von Veränderungen in Weltsicht und -verständnis. Indem Paola Antonelli sich von den traditionellen Kriterien für Museen löst und mit Historikern, Rechtsexperten, Konservatoren und Wissenschaftlern diese Dinge aussucht, entspricht sie der Verantwortung, die Museen der Gesellschaft gegenüber haben: Sie sollen Vergangenheit erhalten, Gegenwart erläutern und auf die Zukunft vorbereiten. Diese Verantwortung wächst durch die Digitalisierung immer schneller.

Wie man Objekte sinnstiftend befragt, hat kürzlich Neil MacGregor vorgemacht. Der Leiter des British Museum suchte sich 100 Objekte aus dem Bestand seines Hauses aus: Trinkbecher aus dem Nahen Osten, Scherben vom Strand in Tansania, eine Kreditkarte. Er erzählte anhand dieser zumeist unscheinbare Gegenstände Weltgeschichte und veröffentlichte das Ganze unter dem Titel "Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten". Ein Bestseller. MacGregor weiß, dass nicht die Objekte an sich den Reiz ausmachen, sondern das, was man über sie berichtet. Was sagt ein Gegenstand über seine Zeit? Warum gibt es ihn? Wie hat er das Leben der Zeitgenossen verändert? Inwiefern betrifft uns das?

MacGregor weist nach, dass etwa Hokusai für seinen berühmten Druck "Große Welle" im Jahr 1830 erstmals Preußischblau benutzte, das er von einem chinesischen Händler gekauft hatte. Diese Farbe wird zum Hinweis auf das Ende der jahrhundertelangen Isolation Japans und zum Vorboten der Globalisierung. Am Ende steht nicht Nostalgie, sondern die Erkenntnis, wie Wirklichkeit erzeugt wird.

British Museum und MoMA führen mit ihren Konzepten vor, wie man die Bedeutung von Museen erhalten und steigern kann. Insofern wären auch sie Objekte, an denen unser Zeitenwandel abzulesen ist.

(RP)
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