Nina Hoss "Ich suche nach den Ursachen des Bösen"

Schauspielerin Nina Hoss spielt in der neuen Gesellschaftssatire von Yasmina Reza. "Bella Figura" ist bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen zu erleben.

Recklinghausen Sie machen "Bella Figura" - zwei Paare, die ein Seitensprung unfreiwillig zu einem Abendessen vereint. Wahrheiten kommen ans Licht. Die Autorin des Beziehungsklassikers "Der Gott des Gemetzels", Yasmina Reza, hat den Stoff erfunden. Die Berliner Schaubühne bringt ihn unter Thomas Ostermeier heraus - mit Nina Hoss. Zu sehen bei den Ruhrfestspielen.

Reza ist eine Virtuosin der bissigen Gesellschaftssatire - hatten Sie mal Lust auf Komödie?

Hoss Ja. Allerdings schreibt Reza nie nur Komödien, es geht in einer tieferen Schicht immer um etwas Ernstes. In "Bella Figura" trifft der Zuschauer auf Menschen, die sich hinter Fassaden verstecken, die versuchen, gute Figur zu machen, gute Miene zum bösen Spiel. Die Bourgeoisie ringt immer um Haltung, darunter brodelt es, da gibt es Leidenschaften, Aggressionen, aber nach außen wahrt man die Form. Ich suche auch in Tragödien immer nach komischen Elementen, der Jelena im "Kirschgarten" etwa habe ich etwas Koboldhaftes zu geben versucht. Man kann Tragik nicht aushalten, wenn es darunter nicht auch die komische Schicht gibt. Weinen und Lachen liegen so nah beinander, das eine kippt ins andere, dazu muss man vollkommen offen sein. Darum freue ich mich auf Komödie.

Haben Sie Spaß an Boshaftigkeit?

Hoss Mich interessiert vor allem, woher Boshaftigkeit kommt. Meistens ja aus Verzweiflung oder weil ein Mensch provozieren will, weil er gelangweilt ist. Boshaftigkeit hat immer etwas Herausforderndes. Kein Mensch ist einfach böse, als Schauspielerin interessiere ich mich für die Ursachen von Wesenszügen.

Kennen Sie Yasmina Reza?

Hoss Ja, wir sind uns zwei Mal begegnet, in Paris und Berlin, aber über das Stück haben wir nicht gesprochen. Sie hat etwas sehr Zartes, man sieht aber in ihren Augen, ihrer ganzen Haltung, dass sie etwas will, dass sie etwas zu sagen hat, dass sie etwas erreichen will.

Also ähneln Sie einander?

Hoss (lacht) Ich bin doch nicht zart! Bei mir sagen die Leute immer als Erstes: Mein Gott, sind Sie groß! Ich bin doch eher die germanische Hünin - körperlich.

Auch Sie wissen, was Sie ausdrücken.

Hoss Ja, das stimmt. Schauspieler müssen um etwas ringen, das sie ausdrücken wollen. Sie müssen die eigene Erfahrung einbringen oder zumindest etwas untersuchen, das sie noch nicht begriffen haben. Wenn ich keine Haltung in und zu meiner Figur finde, wird es für mich uninteressant.

Sie haben in jüngster Zeit in einigen internationalen Filmen mitgespielt, in Anton Corbijns "A Most Wanted Man" und in der amerikanischen Serie "Homeland" - bahnt sich da die Hollywoodkarriere an?

Hoss Diese Produktionen haben mir Türen geöffnet - aber nicht so sehr nur für die Karriere, sondern um zu lernen, wie Leute aus anderen Kulturen arbeiten. Das interessiert mich. Das Wort Hollywood suggeriert aber etwas völlig anderes. Für "die Hollywoodkarriere" müsste ich jetzt nach Los Angeles ziehen, Deutschland den Rücken kehren, daran denke ich aber überhaupt nicht. Für mich sind immer Menschen und deren Projekte entscheidend. Natürlich freue ich mich über Angebote in internationalen Produktionen, aber ich bin nicht auf dem Weg nach Hollywood.

Im deutschen Film haben Sie bisher vor allem mit Regisseuren gearbeitet, die man zur Berliner Schule rechnet. Was reizt Sie an deren poetisch-sprödem Realismus?

Hoss Dass sie von der Gegenwart erzählen - von uns. Und das auf eine unprätentiöse Weise, jedoch ohne so zu tun, als sei ein Spielfilm eine Doku. Die Filme der sogenannten Berliner Schule haben eine eigene, oft melancholische Ästhetik, eine besondere Erzählweise - wie Novellen. Ich finde nicht alle Filme großartig, aber wonach sie suchen, das spricht mich sehr an.

Sie haben zahlreiche Filme mit Christian Petzold gedreht, 15 Jahre am Deutschen Theater in Berlin gearbeitet, bevor Sie im vergangenen Jahr an die Schaubühne gewechselt sind. Suchen Sie diese Stabilität?

Hoss Nein, um Stabilität geht es mir nicht, das klingt so fest und eng. Ich denke aber, dass man etwas, das gut funktioniert, ruhig weiterführen sollte. Solange man das Gefühl hat, man kommt auch wirklich weiter, man bleibt nicht stecken, man wiederholt sich nicht. Es geht ja auch um Vertrauen, um das Gefühl, die gleiche Richtung zu verfolgen, das Gleiche zu suchen. Mir geht es um Verlässlichkeit, um Vertrauen in den Geschmack des anderen.

Also werden Sie demnächst wieder mit Christian Petzold drehen?

Hoss Wir machen jetzt erst einmal eine Pause. Wir haben jetzt 13 Jahre miteinander gearbeitet, mit großer Liebe und Zugewandtheit. Jetzt können wir mal ein wenig Luft dazwischen lassen - für uns und für alle anderen. Darum ist erst mal nichts geplant, aber das schließt natürlich nicht aus, dass man sich wieder begegnet.

Sie kommen aus einer engagierten Familie, Ihr Vater war Grünen-Politiker, sehen Sie sich selbst auch als politische Künstlerin?

Hoss Ich kann das gar nicht trennen. Mich würde die Schauspielerei gar nicht interessieren, wenn ich nicht auch über gesellschaftspolitische Dinge nachdenken könnte. Alle Figuren kommen aus etwas heraus, wie im Leben, jeder unterliegt den Einflüssen seiner Umgebung. In welcher Klasse wächst du auf? In welche willst du hinein? Jeder sucht nach seinem Platz in der Gesellschaft. Der politische Kontext wirkt auf jedes Leben, selbst in der Familie werden meiner Meinung nach politische Fragen verhandelt.

Die Ruhrfestspiele werben in ihrer Ankündigung damit, dass Nina Hoss im Zentrum des Gastspiels stehe. Schmeichelt es Ihnen, wenn die Leute Ihretwegen ins Theater kommen, egal, was Sie spielen?

Hoss Darüber versuche ich nicht nachzudenken, weil das ja Druck erzeugt. Allerdings ducke ich mich auch nicht weg, denn natürlich freut es mich, wenn Leute sich auf mich freuen, das ist ja eine schöne Art der Zuwendung. "Bella Figura" aber ist eindeutig eine Ensemblearbeit, da gibt es fünf gleichwertige Rollen, da steh ich nicht im Zentrum. Trotzdem schön, wenn die Leute kommen!

(RP)
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