Düsseldorf Julia Fischer: Geigen ohne Lampenfieber

Düsseldorf · Die 1983 in München geborene Künstlerin gilt längst als eine der bedeutendsten Violinistinnen der Gegenwart. Im Februar tritt sie mehrfach in der Düsseldorfer Tonhalle auf. Sie behauptet von sich, nie unter Nervosität zu leiden.

Die Kritiker waren hingerissen und irritiert zugleich. Sie spiele wie ein Mann, meinte ein Rezensent. Trotzdem fühlte er sich von der expressiven Hingabe und magnetischen Wucht ihres Geigenspiels wie ein Insekt angezogen. Sogar Karajan riss sich um sie. Alt wurde Ginette Neveu nicht: Sie kam 1949 — 30-jährig — bei einem Flugzeugabsturz über den Azoren ums Leben. Sie war fraglos eine der größten Begabungen des 20. Jahrhunderts.

Die Neveu, obschon von französischer Eleganz, war eine Amazone. Die jungen Geigerinnen von heute sind Elfen. Sie betreten das Podium nicht, sie schweben ein. Fesch geschminkt, gymnastisch trainiert, von besten Schneidern gewandet, unterm Arm mindestens eine Guarneri und im Geigenkoffer vielleicht noch ein Teddybär. Oft verbündet sich spätkindlicher Liebreiz mit keimend lasziver Attitüde. Bei genauer Zählung handelt es sich um ein Fünferpack von der Talentbörse, alle zwischen 1978 und 1983 geboren: die Holländerin Janine Jansen, die Georgierin Lisa Batiashvili, die US-Amerikanerin Hilary Hahn, die Lettin Baiba Skride, die Münchnerin Julia Fischer, daneben ein paar andere, jedoch von geringerer Bedeutung. Kein Quartal, in dem nicht eine von ihnen eine neue Platte in die Umlaufbahn schießt.

Julia Fischer ist im deutschen Damengeigenwunderquartett die Jüngste — hinter Anne-Sophie Mutter (Jahrgang 1963), Isabelle Faust (Jahrgang 1962) und Carolin Widmann (Jahrgang 1976). Während Mutter die weltgewandte Grande Dame der Branche ist, Faust die spröde Intellektuelle und Widmann die neugierige Feuerzauberin, ist Julia Fischer eine charmante Mischung aus Zirkusprinzessin und Doktorandin, die an geigerischer Reife enorm gewonnen hat.

Auch für sie gibt es, von der Konkurrenz im Geigenzirkus abgesehen, harte Orientierungsaufgaben. Sie muss zum einen das romantische Teufelszeug draufhaben (Tschaikowski, Paganini, Sibelius, Bruch, Brahms), sie muss bei Mozart stilsicher sein, und Bach ist auch nicht unwichtig. Modernes zählt zur Imageaufwertung zwingend dazu.

In Kürze wird sie in Düsseldorf in einer besonderen Konzertsituation stehen: Im Düsseldorfer Symphoniekonzert wird sie die beiden Konzerte von Mendelssohn und Schumann an einem Abend spielen und damit an eine finstere deutsche Episode erinnern — als die Nazis Mendelssohn verbannten und Schumann bevorzugten. Julia Fischer ist jetzt genau so alt wie Ginette Neveu damals — und ebenso auf dem Gipfel ihrer Kunst. Aber anders als die Neveu ist Julia Fischer immer noch eine gewisse Unbekümmertheit eigen, nie gibt sie die Priesterin des Mondänen oder der garderobenfähigen Musikschaustellung. Und ein vibrierender, parfümierter Ton, wie er Anne-Sophie Mutter zuweilen entfährt, ist bei ihr nie zu hören. Julia Fischer verfügt über eine automatische Kitsch-Resistenz. Zeitgleich verblüfft sie mit einer radikalen Haltung. Für eine 30-Jährige opponiert sie heftig gegen jegliche Popularisierung der Klassik (und klingt dann doch wie die jüngere Schwester von Faust und Widmann): "Wenn ich ein Schostakowitsch-Konzert spiele", sagt sie, "ist es nicht Sinn der Sache, dass sich das Publikum dabei amüsiert."

Aber sie kann auch anders. Bei ihrer Aufnahme des Tschaikowski-Konzerts ist ihr beispielsweise ein großer Wurf gelungen. Sie hat alles für das Werk, was es braucht; und wie sie die Musik manchmal geradezu schlürft, das ist hinreißend. Auch ihre Mozart-Aufnahmen, in denen keine geigende Lerche in elektrischen Zäunen hängenbleibt, lassen für die Zukunft Schönstes hoffen. Zuweilen merkt man, dass Fischer sich auch für historisch informiertes Musizieren interessiert.

Die gebürtige Münchnerin lebt neben ihrer Karriere ein ganz normales Leben, macht keine Zicken und macht auch als Lehrerin großen Eindruck. 2006 wurde sie Professorin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main, damals war sie mit 23 Jahren die jüngste Professorin an einer deutschen Hochschule. 2011 wurde sie auf eine Professur in München berufen. Das passte geografisch: Sie lebt mit ihrem Ehemann und den beiden gemeinsamen Kindern im nahen Gauting, halb zwischen München und dem Starnberger See. Da ist die Welt noch überschaubar. Aber der Flughafen ist nicht weit entfernt, denn die Welt ruft.

Wer so lebt, muss gut organisiert sein — und eine Art Urvernunft mitbringen. Bei ihr äußert sie sich in einem elementaren Mangel an Lampenfieber. "Ich bin niemals nervös, bevor ich auf die Bühne gehe. Ich genieße es", sagte die Virtuosin neulich in einem Zeitungsinterview. "Natürlich gibt es Konzerte, da weiß ich schon vorher, dass sie nicht großartig werden." Weil die Proben mit dem Orchester nicht so gut gelaufen seien oder die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten oder dem Pianisten nicht perfekt gewesen sei.

Oder aber auch: "Weil man sich nicht gut genug vorbereitet hat oder weil man mit dem Stück nicht klarkommt", erzählte die Musikerin. Das alles wisse man natürlich schon vorher: "Aber nervös zu werden, hilft ja nicht."

Beneidenswert. Wir werden uns Frau Fischer daraufhin noch einmal besonders anschauen.

(RP)
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