Jan Weiler "Kein Handy bei den Mahlzeiten!"

Düsseldorf · Der Erfinder und Beobachter des "Pubertiers" rät, Jugendlichen mehr Freiraum zu gönnen - in bestimmten Fragen aber strikt zu sein.

Jan Weiler, 1967 in Düsseldorf geboren, ist berühmt geworden durch Geschichten über seinen italienischen Schwiegervater, der als Gastarbeiter nach Deutschland kam. In seinem ironisch-heiteren Ton hat er auch die Episoden aus dem Leben mit seinen Teenager-Kindern verfasst. Die "Pubertier"-Bücher sind Bestseller und wurden für Kino und TV verfilmt.

Viele Menschen wünschen sich Kinder, aber niemand will ein Pubertier - warum sind die so unbeliebt?

Weiler Weil sie so anstrengend sind. Kinder sind natürlich zu jeder Lebenszeit anstrengend, aber anfangs ist das eher körperlich, man muss sie durch die Gegend tragen oder aus dem Matsch ziehen. Bei den Pubertieren kommt die Psycho-Komponente dazu. Die Kinder bekommen eine eigene Meinung, Haltung, Weltsicht - aber keine Einsicht.

Brauchen Pubertiere vor allem Toleranz oder klare Ansagen?

Weiler Beides. Ich finde es zum Beispiel überhaupt nicht gut, wenn Eltern ihre Kinder ständig darauf hinweisen, dass sie die falsche Kleidung tragen oder schlechte Musik hören und schlimme Schauspieler toll finden. Das sollen doch die Pubertiere selbst entscheiden, sie müssen sich doch ausprobieren! Da sollten Eltern Toleranz zeigen und sich daran erinnern, wie es ihnen früher selbst ging, wenn die Eltern ihnen alles madig machen wollten. Bei den Wertevorstellungen dagegen, wenn es wirklich wichtig wird, brauchen Pubertiere klare Ansagen. Da muss man ihnen sagen: Das geht nicht, das machen wir hier nicht!

Zum Beispiel?

Weiler Es gibt nur wenige Beispiele, bei denen ich mich durchgesetzt hätte. (lacht) Was ich immer schrecklich fand: Wenn zu den Mahlzeiten Handys auf dem Tisch liegen. Das kann ich nicht ausstehen. Auch bei Erwachsenen nicht. Es ist ein Unding, wenn Menschen am Tisch beieinander sitzen und die ganze Zeit auf ihre Handys glotzen. Das ist rücksichtlos gegenüber denen, die gekocht haben, es ist langweilig und mir gefällt schon die Sitzhaltung nicht, die man dann einnimmt. Ich habe also von Anfang an klar gesagt: keine Telefone am Tisch. Auch nicht bei meiner Frau und mir.

Was raten Sie Menschen, die plötzlich feststellen, dass in ihrem Kinderbettchen ein Pubertier liegt?

Weiler Da kann man nichts raten außer: Gelassenheit. Die Gelassenheit, die man selbst natürlich nicht hat. Ich bin weder Pädagoge noch Psychologe, ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen. Und da kann ich sagen: Was am besten hilft bei Konflikten mit dem Pubertier ist: sich ein bisschen zurückziehen, bisschen auf Abstand gehen, bisschen Klappe halten und in Ruhe lassen. Der größte erzieherische Irrtum besteht doch darin, dass Menschen glauben, sie müssten ihren Kindern viel mitteilen. Das ist nicht so. Kinder übernehmen den Wertekanon der Eltern sowieso. Wenn Eltern einigermaßen anständig miteinander umgehen, werden die Kinder das mit anderen auch tun. Man muss ihnen nicht andauernd Vorträge halten. Das endlose Rumgetexte an den Kindern ist eine Seuche. Natürlich hat das auch mit Unsicherheit zu tun. Viele Menschen können Stille nicht ertragen und denken, dass immer etwas gesagt werden muss.

Unsicherheit entsteht ja auch, weil es so viele Meinungen zu Erziehungsfragen gibt. Helikoptereltern werden geschmäht, die Dinge einfach laufen lassen, empfiehlt sich für den Umgang mit Pubertieren aber auch nicht.

Weiler Das hat damit zu tun, dass die Welt so viel unübersichtlicher geworden ist. Kinder haben durch die technologische Entwicklung so unfassbar viele Zerstreuungsmöglichkeiten. Bei uns gab's drei Programme, einen Plattenspieler und ein Kassettendeck. Fertig. Heute gibt es allein sieben verschiedene Spielekonsolen, und Computer, Smartphone, Ipad, Tod und Teufel. Es ist also objektiv schwieriger geworden für Kinder, ihren Weg zu finden. Und für Eltern, ihnen diesen Weg zu zeigen. Früher gab es eine gut betonierte Weltsicht: Wir hier, da die Russen. Dazu noch ein bisschen sauren Regen und Waldsterben, das war's doch eigentlich.

Heute muss man sich wieder fragen, wie man Pubertiere so erzieht, dass sie nicht auf Populisten hereinfallen. Was raten Sie?

Weiler Cool bleiben. Die Jugendlichen sind nicht doof, sie sehen von selber, dass der Opa mit der Försterkrawatte dummes Zeug redet. Außerdem setze ich hier auf die Kraft der Filterblase. Solange die Kinder ihre politischen Informationen von Olaf Schubert, Nico Semrott und der Heute-Show beziehen, mache ich mir keine Sorgen, dass sie nach Rechts abdriften.

Sind Ihre Bücher vielleicht deswegen so erfolgreich, weil Sie weder Pädagoge noch Psychologe sind, also nichts besser wissen, dafür vieles selbst durchleiden? Brauchen Eltern mehr Beistand?

Weiler Viele Menschen reagieren auf meine Lesungen mit dem Satz: Genau wie bei uns! Die Leute sind auch inkonsequent und unsicher und fühlen sich selbst noch nicht alt. Mit 50 ist man heute ja nicht auf dieselbe Art 50 wie vor 30 Jahren. Man ist ja popkulturell sozialisiert, da ist es schwer, die Elternrolle richtig zu finden und auszufüllen. Wenn man diese Unsicherheit selber spürt und den Leuten nicht vormacht, man wisse, wie man richtig erzieht, dann hören sie einem auch zu. Ich blende die großen Kümmernisse in meinen Texten aus. Erzähle eher heiter. Nicht, weil ich um die Katastrophen, die es auch geben kann, nicht wüsste. Ich möchte den Leuten das Gefühl geben, dass das Leben mit einem Pubertier schwierig ist, aber zwischendurch auch lustig.

DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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