Hückeswagen Merken Sie sich die Brüder Wasserfuhr!

Hückeswagen · Aus dem bergischen Hückeswagen kommt eine Nachwuchs-Hoffnung für den deutschen Jazz: Die famosen Brüder Julian (Trompete) und Roman Wasserfuhr (Klavier) hängen einem intimen Klang an, der dem Melodischen huldigt.

Dieses Haus sieht wie importiert aus, aber Hückeswagen ist ein liberales Fleckchen Erde, außerdem liegt das Haus von Familie Wasserfuhr fast versteckt, weswegen der bayerische Landhausstil nicht als lokale Bausünde zu werten ist. Im Gegenteil: Das Haus wirkt wie ein Kleinod, und das liegt am Vater, an Gerald Wasserfuhr, der ein treuer Fan des weißblauen Bundeslands ist und von einer frühen Ausbildung zum Bauzeichner im entscheidenden Moment selbst profitierte. Das Haus war seine Idee.

Es profitierte aber auch die Familie, wie überhaupt bei den Wasserfuhrs das Miteinander wichtig ist. Der Vater wurde dann Klarinettist, in Klassik und Jazz gleichermaßen fit, und seine Söhne Roman und Julian erlangten bereits vorgeburtlich akustisches Infomaterial für ihr Leben. Diese Saat ging auf: Als sie ihre ersten Instrumente bekamen, blieben die Youngsters bei der Stange, obwohl Julian, der Jüngere, eigentlich Basketballer werden wollte und Roman, der Ältere, immerhin bei einem Konzert von Herbie Hancock nach 30 Minuten rausging. Viel geübt haben sie in jungen Jahren nie, aber wie man so sagt: Begabung war überreich vorhanden, und irgendwann begriffen sie, dass das kostbare Material geformt werden musste.

Nun aber sind die Brüder Wasserfuhr als Duo aus der deutschen Jazz-Szene nicht mehr wegzudenken, Julian (26) an der Trompete und Roman (29) am Klavier und als Arrangeur. Sie sind die Nachwuchshelden beim Münchner Label Act, haben unter dem Titel "Running" kürzlich ihre vierte hochgelobte Platte herausgebracht und befinden sich in jener Phase, in der sich das Experimentieren dem Ende nähert. "Running" ist reif und abgeklärt, Klang hat hier zu sich selbst gefunden.

Wohin das führte, konnte man schon bei ihrem CD-Erstling ahnen. Julian Wasserfuhr hatte am Korkenzieher zu den geheimen Quellen des Jazz immer kräftiger gedreht, seit er erstmals eine Platte des Jazztrompeters Chet Baker gehört hatte. Damals wurde er "vom Schlag getroffen", wie er erzählt. Das sei ein Klang, wie er ihm vorgeschwebt hatte: leicht, duftig, rund, voller Wärme, wie ein Diwan für Melodien. Julian hörte und hörte, studierte Alben, spielte Soli nach - und so hieß die erste Platte konsequent "Remember Chet".

Bruder Roman, Julians Kompagnon am Klavier seit Kindestagen, war derweil nicht untätig geblieben. Auch er hatte sich am Piano künstlerisch enorm nach vorne gewuchtet, er ist von den beiden aber eindeutig der Technicus. Er beherrscht nicht nur das Klavier, sondern auch Mischpulte, er weiß, wie ein Klang zu formen und zu verwandeln ist. Aber als Duo waren und sind die Wasserfuhrs unschlagbar, sie arbeiteten sich gemeinsam durch das Real Book, die Bibel der Jazzstandards, sie gewannen bei "Jugend jazzt". Dann folgte ein Stipendium in Boston. Neue Welt für bergische Jungs. Die Welt ihres Klangs bekam mehr und mehr Kontur, doch die Maxime war wie in Granit gemeißelt: "Wir sind Melodiker", trompetet Julian. Das hört man den CDs an.

Roman ist nicht der Typ des mahnenden älteren Bruders, der begütigend die kessen Ausflüge des Jüngeren bremst. Roman ist selbst ein ausgefuchster Kreativer, sein Jazzpiano ist seriös, diskret, rhythmisch blitzsauber, und wenn er sich zu einer Improvisation aufschwingt, hat das die Zartheit von Filigran-Botschaften. Roman ist kein Berserker; dass er früher Michel Petrucciani ("den habe ich sehr verehrt") nachgeeifert hat, kann man noch heute - nicht zum Nachteil - spüren. Auch Julian bringt Töne nur selten zur Explosion, er lässt sie beinahe vornehm an die Luft, oft scheinen sie auf den Samt seines Flügelhorns gebettet. In herrlichem Legato fliegen aber auch seine pfeilschnellen Koloraturen dahin.

Weil solche Musik am besten klingt, wenn der Künstler sie selbst erfunden hat und den Klang authentisch modellieren kann, schreiben die Wasserfuhrs ihre Songs fast immer selbst; sie sind halt auch Brüder im Geiste. Und dass Roman ein gewiefter Arrangeur ist, zahlt sich aus. Das gemeinsame Musizieren unter dem elterlichen Dach in Hückeswagen (mit eigenem Tonstudio-Keller) gleicht einem fortwährenden Befruchtungsvorgang. Nur gelegentlich werden Leihgaben eingeflogen, etwa "Behind Blue Eyes" (von Pete Townshend), aber gleich genialisch anverwandelt: Was einmal in der Hand- und Mundwerkstätte Wasserfuhr gelandet ist, bleibt nicht mehr so, wie es war. Diesen Klang erkennt man wieder.

(RP)
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