George Michael ist tot Der introvertierte Superstar

Düsseldorf · Die Pop-Welt hat einen großen Songschreiber und einen besonderen Menschen verloren: Der britische Musiker George Michael ist im Alter von 53 Jahren gestorben.

George Michael ist tot
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George Michaels Leben

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Als Fan ist man in erster Linie ein Beschenkter. Man bekommt Lieder, die einem das Leben verschönern. Lieder, deren roter Faden einen durch den Tag leitet. Und wenn es richtig gute Lieder sind, können sie sogar helfen, die Welt klarer zu sehen, Gefühle ins Wort zu setzen, sich selbst besser kennenzulernen. Popsongs dürfen auf gar keinen Fall als Kunstwerke zweiter Ordnung abgetan werden. Sie sind vielmehr das direkteste und schnellste Medium der Gegenwartsaneignung. Man sollte ihre Wirkung und Bedeutung nicht unterschätzen. Sich das zu verdeutlichen, ist wichtig: Denn einer der größten Künstler des Songschreibens ist jetzt gestorben.

George Michael wurde 53 alt. Er starb laut Medienberichten an Herzversagen, er sei friedlich entschlafen, heißt es in einer Pressemitteilung. Die meisten, die von dieser Nachricht erschüttert wurden, werden George Michael nicht persönlich gekannt haben. Auch das ist ein Beleg für die Macht von Popsongs: Sie stellen Gemeinschaft her, aus ihnen ergibt sich Verbundenheit, Fremde werden zu Freunden.

Was für ein trauriger Zufall: George Michael starb am ersten Weihnachtstag. Jener Zeit also, da so viele Menschen auf der ganzen Welt zusammen sind und sein berühmtestes Lied hören: "Last Christmas". Er wurde 1963 als Georgios Kyriakos Panagiotou in London geboren. Seine Mutter war Britin, der Vater griechisch-zypriotisch. 1981 gründete er mit seinem Schulfreund Andrew Ridgeley das Duo Wham!.

Eine Frisur für geschlossene Räume

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Wer wissen möchte, wie sich die 80er Jahre angefühlt haben, wenn man damals um die 20 war, höre sich den Song "Club Tropicana" an: "Let me take you to the place / Where membership's a smiling face", singt George Michael. Es geht um eine ideale Gesellschaft, um ein Utopia mit Schulterpolstern, wo ein Lächeln der Mitgliedsausweis ist. Und weil es das Jahr 1983 war, trug George Michael dazu eine Frisur, die ebenso viel Mühe gemacht haben muss wie das Songschreiben selbst. Eine Frisur für geschlossene Räume.

Wham! war eine der erfolgreichsten Bands der 80er Jahre, sie verbreitete Unbeschwertheit und Lebensfreude. Die Dekade wäre weniger erinnerungswürdig gewesen, hätte es diese Lieder nicht gegeben. Daran, dass diese Melodien sehr gut gealtert sind, erkennt man ihre Qualität. Das Stück "Blue" etwa, damals die B-Seite von "Club Tropicana", kann heute noch in jedem Club aufgelegt werden.

Zu dem Zeitpunkt war es noch nicht so sehr zu sehen, — man achtete ja mehr auf die Nuancierung der Pastellfarben in George Michaels Hemden als auf andere Dinge — aber er schien damals schon woanders hinzuwollen. Am Ende der zweiten Wham!-Platte fand sich ein großartiges Lied, das er alleine sang. Es heißt "Careless Whisper" und beginnt mit der Zeile "I feel so unsure". In den USA stand "Wham! featuring George Michael" auf dem Single-Cover. Kurz nach der Veröffentlichung löste Michael die Gruppe auf. Er wollte künftig Popmusik für Erwachsene machen.

Ein hadernder Mensch

Wer diesen besonderen, introvertierten Mann in den frühen 80er Jahren kennengelernt hatte, bekam nun Verblüffendes zu hören: "Faith" (1987), das erste Soloalbum, klang bereits härter, und auf der Single "Freedom" hieß es schließlich: "Today the way I play the game is not the same". Im berühmten Video dazu trat er nicht etwa selbst auf, er ließ Supermodels wie Naomi Campbell die Lippen zu seinem Gesang bewegen.

In seinen Liedern gab sich George Michael nun als hadernder Mensch zu erkennen. Erst spät machte er seine Homosexualität öffentlich. Er habe sich nicht outen wollen, solange seine Mutter lebte, sagte er in einem Interview. Der erste Mann, in den er sich verliebte, starb nach wenigen Jahren des Zusammenseins an den Folgen einer HIV-Infektion. George Michael schrieb danach lange nichts. Als er es endlich wieder konnte, komponierte er innerhalb weniger Stunden "Jesus To A Child". Das Lied ist ein epischer Schmerzgesang, ein Klassiker schon jetzt, ein Dokument der Menschlichkeit.

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Das ist ohnehin ein Begriff, der wichtig ist im Werk von George Michael: Menschlichkeit. Schon in den 80er Jahren, als seine Stücke die Atmosphäre jener Tage wie Zeitschriften ins Bild setzten, spürte man den Soul-Ansatz in seiner Musik, den Spirit: Ich erzähle von mir, denn vielleicht geht es dir genauso.

Er sang mit Aretha Franklin im Duett, und es war eine Begegnung auf Augenhöhe. Umso ratloser ließen einen die Nachrichten zurück, die nach und nach über ihn zu lesen waren. Er wurde auf einer öffentlichen Toilette am Sunset Boulevard aufgegriffen. Er fuhr in London mit dem Auto in einen Fotoladen. Er fiel aus einem fahrenden Wagen. Er prozessierte gegen seine Plattenfirma, weil sie seiner Meinung nach zu wenig Werbung für ihn machte, und er deshalb weniger Platten verkaufte.

Er lag wochenlang mit Lungenentzündung in einem Krankenhaus in Wien. Drogen, Depressionen. Zunächst goss er jede neue Wendung in ein Lied, das groovende "Outside" etwa. Diese stets von Einsamkeit umflorten Stücke lasen sich als eine Art Logbuch, ein Bildungsroman des Älterwerdens. Dann kündigte er an, er werde neue Musik nur noch im Internet veröffentlichen. Immer seltener war von ihm zu hören. Ein später Höhepunkt war der Auftritt bei der Schlussfeier der Olympischen Spiele 2012.

Für den Fan gibt es nur begrenzt Möglichkeiten, einem Künstler etwas zurückzugeben. Man kann zu seinen Konzerten gehen, seine Lieder spielen, sich die alten Veröffentlichungen neu erschließen. Aber was, wenn der Künstler sich immer weiter entfernt, schließlich abwesend ist? Briten lassen so etwas nicht zu, sie sind auch deshalb die Nation mit dem größten Pop-Verständnis, weil sie alte Helden nicht fallen lassen. Fast jede Wortmeldung George Michaels haben sie auf Platz eins ihrer Charts gekauft. Egal, was war — bis zum Schluss. Fans machen das so.

George Michael hatte Schwierigkeiten, seinen Status als Superstar mit seinem Privatleben auszutarieren. Nun ist er gestorben. Es trifft einen stärker, weil es an Weihnachten passierte. Man sitzt da und hört seine Lieder, weil es das einzige ist, das man tun kann, und das richtige. In "Jesus To A Child" heißt es: "Heaven sent and heaven stole."

(hols)
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