Tagebuch Üble Lektüre zur Konfitüre

In meinem Salzburger Hotel kehre ich nun seit genau 30 Jahren ein. Die Kinder des damaligen Hoteliers sind heute selbst die Chefs, und stets empfangen mich Karli, Caro und Lisi nur noch mit einem "Grüas di!". Ich nehme den Zimmerschlüssel, gehe hinauf, packe den Koffer aus und bin da. Nichts verändert.

Gestern sah ich beim Frühstück den italienischen Bariton Luca Pisaroni, er singt hier den Leporello im "Don Giovanni". Zu Brötchen mit Konfitüre las er die Kritiken der Premiere. Obwohl er selbst überall gut wegkam, fielen sie fürs Team ungünstig aus. Da Pisaroni solidarisch denkt, verging ihm bei den "Salzburger Nachrichten", deren Rezension einer Massenschlachtung glich, der Appetit. Er schimpfte über Kritiker. Natürlich behalten Karli, Caro und Lisi für sich, dass ich dieser Kaste angehöre. Pisaroni, der exzellent Deutsch spricht, hätte mich gewiss in eine quälende Debatte über Mozart, Inszenierungen, Dirigenten, Proben, Bühnenbildner und Kritiker verwickelt. Mein Tee wäre kalt geworden und ich nicht zum Schreiben gekommen. Vielleicht werde ich mich dieser Tage outen und Pisaroni ein Nachtmahl vorschlagen. Abends, nach getaner Arbeit, sind Sänger entspannter und nicht mehr dogmatisch. Das muss ausgenutzt werden.

(RP)
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