Gefahr für Fremdarbeiter in der Atomindustrie Auf Zeitarbeit im Abklingbecken

Berlin (RPO). Sie tauschen Brennelemente aus, reparieren Rohre in stark strahlenden Zonen und reinigen Abklingbecken - und das alles in Zeitarbeit. Mehr als 20.000 Leih- und Werksarbeiter beschäftigt die deutsche Atomindustrie, und die kassieren im Jahr eine doppelt so hohe Strahlendosis wie festangestellte Akw-Beschäftigte, wie am Montag eine Statistik der Bundesregierung zeigte.

"Unter Kontrolle" - Zeitreise in deutsche AKW
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In deutschen Atomkraftwerken werde ein "Strahlenproletariat" nicht nur beim Lohn betrogen, wetterte die Linkspartei. Weil ein internationaler Strahlenpass fehlt, sorgen sich auch die Gewerkschaften um die Gesundheit grenzübergreifend tätiger Atom-Fachleute.

Im Frankreich kämpfen Gewerkschafter und Atomgegner seit längerem für die Rechte der sogenannten Nuklear-Nomaden. Geschätzte 30.000 davon ziehen im Nachbarland von Reaktor zu Reaktor und erledigen gefährliche Wartungsarbeiten in besonders strahlenden Bereichen. Die Leiharbeiter würden zumeist schlecht bezahlt und verrichteten die Drecksarbeit, schimpfte der Gewerkschafter Denis Kuppler kürzlich. Wenn sie die jährlich erlaubte Strahlenhöchstdosis von 20 Millisievert erreicht hätten, verlören sie ihren Job.

24.000 Zeitarbeiter gegen 6000 Festangestellte

Auch in Deutschland handhaben die Atomkraft-Betreiber die Größe ihrer Belegschaft flexibel. Schon seit Jahren beschäftigt die Industrie weit mehr Fremdpersonal als Festangestellte: 24.000 Zeitarbeiter standen 2009 nur 6000 Festangestellten gegenüber. Dafür gibt es auch einen technischen Grund, denn die zusätzliche Arbeitskraft wird vor allem für die sogenannten Revisionen gebraucht, wenn die Werke wochenweise zur Wartung heruntergefahren werden. Fast doppelt so hoch ist dabei im Vergleich zur Stammbelegschaft die Strahlenbelastung, die ein Zeitarbeiter im Schnitt im Jahr aushalten muss.

Auch wenn die Strahlendosis der Fremdarbeiter mit 0,53 Milisievert weit vom erlaubten Grenzwert entfernt liegt, sind diese in den Akw enormem Stress ausgesetzt, wie Henrik Paulitz vom Verein Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges (IPPNW) sagt. Er habe einen Fall erlebt, wo ein Elektriker "völlig ausgepowert" gewesen sei nach dauerhaften zehn-Stunden-Schichten in radioaktiver Umgebung, begleitet von der ständigen Angst, womöglich fatale Fehler zu begehen.

Wartungsfirmen wie Siemens oder die französische Areva entledigten sich durch die Leiharbeit "elegant der Verantwortung für die eigenen Mitarbeiter", kritisiert der Strahlenexperte. Nicht einmal bei manchen Gewerkschaften oder Berufsgenossenschaften könnten die Zeitarbeiter im Fall eines Strahlenunfalls auf Unterstützung hoffen, bemängelt Paulitz. "Bei Schadenersatzklagen werden die Leute völlig alleingelassen." Nur wenige trauten sich Missstände anzuzeigen: "Die Betroffenen stehen der Technologie ja im Grunde positiv gegenüber."

Weniger Geld für Zeitarbeiter

Bei der Gewerkschaft Verdi wird die Saison-Beschäftigung von Akw-Arbeitern ebenfalls kritisch beäugt. Für weniger Qualifizierte gelte auch in der Atomindustrie mitunter ein geringer Mindestlohn zwischen sechs und acht Euro, sagt Verdi-Energieexperte Sven Bergelin. "Da fordern wir natürlich gleiche Bezahlung wie für Festangestellte." Nuklear-Fachleute könnten jedoch lukrative Zuzahlungen erwarten - ihre Dienste werden mittlerweile weltweit nachgefragt.

Genau diese internationale Verfügbarkeit macht der Gewerkschaft Sorgen: "Die Bundesregierung sagt zwar, sie will sich für einen europaweiten Strahlenpass einsetzen. Geschehen ist aber noch nichts", kritisiert Bergelin. Ganz zu schweigen von der Frage, wie etwa in einem Akw in China akkumulierte Strahlenwerte überhaupt nachgehalten werden sollen.

So dramatisch wie in Frankreich, wo die schlecht bezahlten "Nuklear-Nomaden" oft nicht einmal ausreichend ärztlich betreut werden, ist die Lage in Deutschland offenbar nicht: Gerade die Arbeit in sensiblen Bereichen werde von den Genehmigungsbehörden streng kontrolliert, räumt auch der Gewerkschaftsexperte ein.

(AFP/felt)
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