Sprechstunde Das falsche Geschlecht?

Transsexualität galt lange als Krankheit. Die Hirnforschung weist nach, dass sie nur eine von vielen möglichen Varianten eines Menschen ist.

Unsere Leserin Anna-Kathrin W. (35) aus Düsseldorf fragt: "In meinem engsten Freundeskreis gibt es einen Fall, dass ein Mann sich seit langem als Frau fühlt und sich jetzt auch geoutet hat. Er möchte in Zukunft tatsächlich als Frau leben. Jetzt fragen wir uns: Ist Transsexualität eine Krankheit? Kann man dem Freund, der ja offenbar seit langem und jetzt auch in Wirklichkeit eine Freundin sein möchte, eventuell therapeutisch helfen? Oder sollte man das gar nicht?"

Jürgen Vieten Wir Psychiater und Psychotherapeuten müssen uns entschuldigen. Wir haben Transsexualität - also sich fremd zu seinem äußeren Geschlecht zu fühlen - bisher als Krankheit verstanden, mit krausen Theorien versucht zu verstehen und mit Psychotherapien angeblich zu "heilen". Jetzt sagt die Hirnforschung: Transsexualität ist nur eine Variante der vererbten inneren Abbildung unseres Geschlechtes. Wir kennen "Maps" (Hirn-Landkarten), die uns unser Geschlecht vorstellen lassen, dem dann meist unser Körper entspricht. Bei Transsexuellen tut er dies nicht. Deren Vorstellung von ihrem Geschlecht, sozusagen von ihrem "Gehirngeschlecht", bildet nicht ihre Geschlechtsorgane ab.

An dieser Vorstellung soll man aber nichts ändern, da es genetisch ist. Varianten des "Gehirngeschlechtes" scheint es viele zu geben. Es liegt also keine Erkrankung vor, sondern ein Missverhältnis zwischen unserer Vorstellung von uns selbst und unserer körperlichen Gestalt. Das führt zu psychischen Problemen, wenn es durch Erziehung und Umwelt nicht erkannt und wenn es bestraft oder unterdrückt wird.

Wir Psychiater, Psychologen und Gutachter sind dabei bisher leider eher Teil des Problems und nicht von dessen Lösung. Transsexuelle sind - richtig verstanden - psychisch ebenso gesund wie Homo-und Heterosexuelle. Natürlich können diese Menschen auch Probleme haben, die sich eventuell auch ungünstig kombinieren. Der Wissensfortschritt muss jedenfalls in Zukunft Einfluss auf die Gesetzgebung und natürlich auch auf psychiatrische Konzepte haben.

Der Psychiater sollte aber auch an einem Punkt weiter Gehör finden: Nur er kann zu Beginn der noch unklaren Entwicklung beurteilen, ob sich ihm in der Praxis ein gesunder transsexueller Coming-out-Prozess darstellt oder ob sich möglicherweise eine Erkrankung wie Schizophrenie oder Borderline mit Verzerrung der Geschlechtsidentität zeigt.

Dies alles zu wissen, bleibt notwendig, um zukünftiges Leid vom Gesunden wie vom Kranken fernzuhalten.

(RP)
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