Für die Medizin bislang nur ein Fischen im Trüben Mit der Genanalyse der Krankheit auf der Spur

Düsseldorf · Der Traum Leben zu retten, weil man Krankheiten schon kommen sieht bevor sie ausgebrochen sind, beflügelt die Humangenetiker. Doch wie können schon jetzt Genanalysen, die die Wahrscheinlichkeit von Erkrankungen bestimmen, in der Medizin genutzt werden?

Wie funktioniert ein Gentest? Und was verrät er?
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Wie funktioniert ein Gentest? Und was verrät er?

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Foto: AP

Herz-Kreislauf-Leiden, Krebs, Darmerkrankungen, psychiatrische Erkrankungen und Stoffwechselkrankheiten gehören zu den weitverbreiteten Leiden in unserer Gesellschaft. Die Gentechniker arbeiten schon lange daran, möglichst viele Sequenzen des menschlichen Genoms zu entschlüsseln, die Zusammenhänge zwischen Krankheiten und genetischen Variationen aufdecken. Viele verschiedene genetische und umweltbedingte Faktoren bestimmenden Ausbruch und Verlauf der Krankheiten.

Explosionsartige Fortschritte

In den letzten Jahren hat die molekulargenetische Forschung unglaubliche Fortschritte gemacht. Die erste Analyse eines menschlichen Genoms dauerte acht Jahre. Dann erst waren alle 3,3 Milliarden Bausteine entschlüsselt. Verschlungen hat dieses ehrgeizige Projekt damals ungefähr die gleiche Zahl in US-Dollar. 2007 wurde das Genom von James Watson in einem Jahr für 1,5 Millionen Dollar sequenziert. "Heute sind wir ungefähr bei 1.000 US-Dollar für ein menschliches Genom, das innerhalb weniger Tage oder Wochen entschlüsselt werden kann", erklärt Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates. Und schon ist die Rede davon, das menschliche Genom in naher Zukunft mit Hilfe der Nanopore-Technologie in nur 15 Minuten zu entschlüsseln.

Viele hoffen auf neue Anwendungen in der Medizin und Hilfe bei der Aufklärung von Krankheitsursachen und Risikoprognosen, die sich daraus ergeben. Genetische Analysen werden zunehmend zum wichtigen Bestandteil der gängigen klinischen Praxis. Sie mögen Chancen mit sich bringen, doch immer haben sie potenziell weitreichende Konsequenzen, die in ihrer gesamten Reichweite nicht überblickt werden können. Gezeigt hat sich das zum Beispiel in der Diskussion über den pränatalen Test zum Ausschluss von Trisomie 21. Neue Diagnosemöglichkeiten bringen tiefgreifende gesellschaftliche Folgen mit sich. Konkret warf sie hier die Frage danach auf, wie man z. B. mit Behinderung umgehen soll. Steigt vielleicht jetzt die Bereitschaft, Kinder mit Trisometrie 21 abzutreiben?

Zu viele Faktoren beeinflussen die Gesundheit

Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung den Deutschen Ethikrat beauftragt, eine Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik zu erarbeiten. Die Einschätzung des Ethikrates fällt ernüchternd aus: Trotz rasant anwachsender Informationen über die Beteiligung vieler Genvarianten an Krankheitsrisiken sei der medizinische Nutzen dieser Erkenntnisse bislang fraglich. Der Hauptgrund für diese Zweifel ist der Umstand, dass die meisten beteiligten Genvarianten in der Regel nur einen jeweils sehr geringen Einfluss auf das Erkrankungsrisiko haben. Das Gesamtrisiko, an einem Leiden zu erkranken, wird hingegen von vielen Varianten gleichzeitig beeinflusst, die sich zudem auch wiederum gegenseitig beeinflussen. Hinzu kommen vielschichtige Wechselwirkungen der Genvarianten mit umweltbedingten Faktoren.

Die sieben Experten, die den Ethikrat informierten, kommen einhellig zu der Meinung, dass der breite Einsatz von Gentests für die Vorhersage und Früherkennung häufiger Volkskrankheiten auch in Zukunft wenig sinnvoll sei. Der Grund: Wenn auch ein besonderes Erkrankungsrisiko festgestellt werde, laufe der Rat der Experten dann in Ermangelung von neuen Behandlungsoptionen auf die Empfehlung hinaus, einen gesunden Lebenswandel zu führen. Das aber kann man jedem Gesunden und auch Vorerkrankten jederzeit ans Herz legen, ob mit genetischer Bestimmung oder ohne sie.

Für diese Krankheiten gibt es Gentests

Erfolge bei der Krankheitsvorhersage durch Gentests gibt es bisher lediglich in den vergleichsweise seltenen Fällen, in denen nur einzelne oder wenige Genvarianten das Krankheitsrisiko beeinflussen. Das ist bei früh einsetzender Alzheimer-Erkrankung der Fall, bei der nur drei Genvarianten beteiligt sind. Vorhersagen lassen sich auch bei Mutationen des Insulinrezeptor-Gens bei Diabetes oder Mutationen in bestimmten Enzymgenen beim Herzinfarkt treffen. Labore bieten an, das genetische Risiko für verschiedene häufige Tumore wie zum Beispiel Brustkrebs, Eierstockkrebs, Prostatakrebs oder Darmkrebs zu ermitteln, oder die Gefahr von Knochenschwund (Osteoporose).

Fortschritte gibt es bei der Entschlüsselung der genetischen Faktoren, die zum Risiko für die manisch-depressive Erkrankung und Schizophrenie beitragen. Wirklich arbeiten kann man jedoch mit den Erkenntnissen noch nicht. Eine weitere Entwicklung gibt es in der pränatalen Diagnostik. Die soll in naher Zukunft aus Erbmaterial des Fötus aus dem Blut der Mutter möglich sein. Dabei wird aber niemals das gesamte Genom betrachtet. Die spezialisierten Labore befassen sich mit einzelnen Krankheiten und Genomen, die in nur dieser Hinsicht eine Rolle spielen. Es sind also immer nur Ausschnitte aus der "Gesamtkrankenakte" des betroffenen Menschen, die unter die Lupe genommen werden. "Wir haben ca. 30.000 Gene und die Funktion von etwa der Hälfte der Gene ist noch nicht bekannt", erklärt Prof. Dr. Karl Lackner, Direktor des Instituts für klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin der Universität Mainz.

Diese Nüsse muss die Forschung noch knacken

Derzeit könne man die Masse der Daten, die eine Untersuchung ergibt, gar nicht komplett nutzen und interpretieren. Von vielen Gen-Orten wisse man bislang lediglich, dass sie mit der Erkrankung zusammenhängen. Nicht aber weiß man, wie genau. Daraus ergeben sich viele offene Fragen: Welche bekannten Risiken müssten wir kommunizieren, wenn wir solche Daten generieren? Ist ein um zehn Prozent erhöhtes Infarktrisiko über eine Lebensdauer etwas, was man an Patienten kommunizieren müsste? Wie soll man bisher unbekannte Mutationen kommunizieren, deren Funktion man derzeit nicht kennt?

In einem Bereich allerdings sieht der Ethikrat Zukunftspotential: Sinnvoll nutzen könne man das genetischen Wissens in der Pharmakogenetik. Sie befasst sich mit der Analyse von Genvarianten und erschließt, wie sich diese auf Arzneimittel auswirken. Hilfreich ist dieses Wissen im Bereich der personalisierten Medizin: Hier kann man dem Patienten gezielter helfen, wenn man mit den Genvarianten im individuellen Fall gezielter ein bestimmtes Arzneimittel auswählen kann oder die Dosierung persönlich anpassen kann, weil man weiß wie der Patient sie genau verstoffwechselt.

Vorsicht vor Genlaboren übers Internet

Gentests werden über viele Kanäle angeboten — darunter auch über das Internet. Hier warnt das Gremium des Ethikrates: Gentests sind hochkomplexe Verfahren, die angemessen ärztlich ausgewertet und erklärt werden müssen, damit sie richtig eingesetzt werden. Bei den Internet-Angeboten sei das nicht gewährleistet, zumal es manchmal notwendig ist, dass verschiedene Fachleute interdisziplinäre zusammenarbeiten.

(wat)
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