Chronische Schulphobie Warum Kinder die Schule schwänzen

Düsseldorf · Fast jeder hat es einmal getan: Schulschwänzen. Experten schätzen die Zahl der Schüler, die hierzulande die Schule gefährlich oft sausen lassen auf zehn bis 20 Prozent. Das kann Bußgeldforderungen nach sich ziehen. Doch disziplinarische Maßnahmen helfen an dieser Stelle wenig. Sie beseitigen nicht das wirkliche Problem: eine angeschlagene Psyche. Wird den Kindern nicht zügig geholfen, kann das lebenslange Folgen haben.

Schulschwänzen – Was Eltern tun können
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Schulschwänzen – Was Eltern tun können

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Foto: Shutterstock/Golden Pixels LLC

60 Prozent der Schüler weiterführender Schulen haben in ihrem Schulleben mal blau gemacht. Dahinter steckt vielleicht eine Mutprobe, der Wunsch, mal ausschlafen zu wollen, Langeweile durch Unterforderung in der Schule. Doch in manchen Fällen ist es weit mehr als das.

Bei vielen Kindern und Jugendlichen, die die Schule meiden, bestehen psychische Störungen, zeigt eine Übersichtsarbeit, an der auch Dr. Volker Reissner von der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des LVR-Klinikums Essen mitgewirkt hat. Hinter dem Fernbleiben vom Unterricht versteckt sich eine Krankheit. Sie allerdings zeigt sich nicht immer nur in körperlichen Symptomen, sondern in der unüberschaubaren Anzahl der Fehlstunden. Was es so schwierig macht, diese Fälle unter den Gelegenheitsschwänzern aufzuspüren ist, dass sich die Null-Bock-Haltung in Sachen Schule langsam anbahnt, schleichend wächst und sogar zum chronischen Problem werden kann.

Ursachensuche zwischen Schulangst und Schulphobie

Schulangst ist eine Ursache für Schulverweigerung, es kann aber sogar eine Schulphobie entstehen. Ähnlich wie bei anderen übersteigerten Ängsten, ist es Kindern mit einer Schulphobie tatsächlich kaum möglich, das Schulgebäude zu betreten, ohne in eine furchtbare Panik zu verfallen, die sich auch in körperlichen Symptomen wie Zittern, Schweißausbrüchen, Kreislaufproblemen, rasendem Herzen und ähnlichem zeigt. Der Begriff allerdings ist irreführend, denn es sind nicht die Schule oder das Lernen, die diese Reaktionen hervorrufen. Oft würden die Kinder liebend gerne lernen und sind auch motiviert, es zu tun. Aber sie plagt die übermächtige Angst vor Trennung. Diese kann so stark werden, dass die Heranwachsenden das Elternhaus nicht einmal mehr verlassen, um bei Freunden zu übernachten.

Bei dauerschwänzenden Kindern wegzuschauen und zu hoffen, dass das seltsame Verhalten von selbst wieder vergeht, ist nicht nur aussichtslos, sondern zudem gefährlich. Denn Schulverweigerer haben nach Ergebnissen verschiedener Studien ein höheres Risiko drogenabhängig zu werden, straffällig oder dauerarbeitslos. Den Eltern droht im schlimmsten Falle ein Sorgerechtsentzug.

Disziplinarische Schritte

Diesen letzten Schritt behalten sich die Behörden vor, wenn es massive Probleme in der Familie gibt und die Fehltage sich beginnen zu türmen. Dem vorausgegangen sind dann in der Regel bereits Elternbriefe, Gespräche mit der Schulaufsicht, Bußgeldverfahren und Anhörungsverfahren bei der Bezirksregierung. Denn Schule ist Ländersache und Schuleschwänzen kein Kavaliersdelikt.

Mit ihrer Initiative "Schulverweigerung — Die 2. Chance" gab es jedoch auch von Seiten des Bundesfamilienministeriums Bemühungen, Schulschwänzer herauszufiltern und dazu anleiten, den Unterricht wieder regelmäßig zu besuchen. Denn jedes Jahr verlassen rund acht Prozent der Schüler ihre Schule ohne einen Abschluss. Politisch erklärtes Ziel von Bund und Ländern ist es, diese Quote bis zum Jahr 2015 zu halbieren.

Welche Kinder besonders dazu neigen

Dazu aber ist es notwendig, Schulangst oder Schulphobie als solche zu identifizieren. In wenigen dazu existierenden Studien haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass vor allem junge Menschen mit Störungen des Sozialverhaltens dazu neigen. Es sind überproportional oft Trennungskinder oder solche, die kranke Eltern zu Hause haben. Jungen sind gegenüber Mädchen doppelt so häufig betroffen. Notorisches Blaumachen kommt in allen Bildungsschichten vor, auf Hauptschulen zwar häufiger, aber auch in Real- und Gesamtschulen und Gymnasien.

Bei einer Forschungsarbeit des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung gaben die befragten Teenager in 59 Prozent der Fälle an, Probleme mit Lehrern zu haben. Bei anderen stecken andere schulische Probleme dahinter oder Ärger mit Mitschülern. In manchen Fällen führt die Schwänzerei auf dauerhafte Überforderung zurück, die schließlich in einer Schulangst mündet, Depressionen können Auslöser dafür sein oder ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Häufig spielen jedoch Angststörungen eine. Dazu zählt nach Angaben der Berufsverbände und Fachgesellschaften für Psychiatrie zum Beispiel die Angst vor sozialen Kontakten.

Das führt zu Schulverweigerung

Hinter Schulverweigerung kann zudem der Druck stecken, den Leistungsanforderungen auslösen, die die eigenen Möglichkeiten überschreiten. Da sich das besonders anfänglich auch in körperlichen Symptomen wie Kopf- oder Bauchschmerzen oder auch Fieber zeigen kann, ist eine Odyssee von Facharzt zu Facharzt nicht ungewöhnlich. Krankschreibungen oder Mutter-Kind-Kuren, die in guter Absicht verordnet werden, wirken sich dann allerdings kontraproduktiv aus und verstärken das schulvermeidende Verhalten. Die Hoffnung der Eltern, ihrem Kind mit einem Schulwechsel zu helfen, stellt sich darum nach kurzer Zeit meist als falsch heraus.

Wo man Hilfe findet

Die Risiken von Langzeitfolgen für ein Kind, das mit ständigen Ängsten lebt und keine adäquate Hilfe bekommt, sind groß. Denn sie geraten in einen immer stärker werdenden Sog aus schulischen und sozialen Nachteilen. Aus diesem Grund raten die Experten dazu, schnell zu handeln, sich Hilfe bei Beratungsstellungen der Sozialeinrichtungen oder Jugend- und Schulämter zu holen. Mit ins Boot gehört dann auch ein Kinder- und Jugendpsychiater und die Bereitschaft der Eltern, zur Kooperation mit dem Therapeuten. Das ist besonders wichtig, wenn bei Kindern mit Schulphobie eine Familientherapie oder eine teilstationäre Behandlung empfohlen wird. Anlaufpunkt sind in akuten Fällen auch die Psychiatrischen Landeskliniken. In vielen Städten gibt es Fachstellen für Schulverweigerer oder Selbsthilfegruppen.

Sie helfen dabei, dass Kinder und Familien irgendwann wieder ein geregeltes Leben führen können, nachdem es aus den Fugen geraten ist. Dennoch heißt es für alle Beteiligten danach, ein Leben lang wachsam für neuerliche Probleme zu bleiben. Denn selbst nach einer Therapie ist das Risiko um ein Drittel höher, im späteren Leben wieder mit psychischen Problemen zu tun zu haben.

Wenn Sie wissen möchten, wie Sie als Eltern sinnvoll vorgehen, wenn Sie das Schulschwänzen bemerken, lesen Sie hier weiter.

(wat)
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