Mönchengladbach Das Leid des kleinen Leo

Mönchengladbach · Das Martyrium des getöteten Babys wird seit gestern in Mönchengladbach vor Gericht verhandelt. Der Vater gesteht, sein Kind misshandelt und ermordet zu haben. Die mitangeklagte Mutter wehrt sich gegen die Vorwürfe.

Als Leos Mutter mit 45 Minuten Verspätung zur Anklagebank geführt wird und sich neben ihren Verteidiger setzt, bricht ihre Familie im Zuschauerraum in Tränen aus. Die Mutter des getöteten Säuglings schützt ihr Gesicht mit einer Akte vor den Kameras, ihre Schultern beben, mit der Hand umklammert sie eine Packung Taschentücher. Später an diesem ersten Prozesstag wird die 25-Jährige, die wegen Totschlags durch Unterlassen angeklagt ist, vor dem Mönchengladbacher Landgericht erklären, wie es dazu kommen konnte, dass ihr 19 Tage alter Sohn Leo in der Nacht des 21. Oktober 2015 von seinem Vater gequält, misshandelt, missbraucht und getötet worden ist.

Kurz nach der Mutter wird auch ihr Noch-Ehemann, der wegen Mordes angeklagte Vater des Jungen, in den Saal geführt. Auch er verdeckt sein Gesicht, eine Hand in der Tasche. Ohne jede Regung nimmt er schräg hinter seiner Frau und den Verteidigern Platz. Im Stakkato verliest Staatsanwältin Ina Wolf die Anklage, und der 26 Jahre alte Mann hört sich die Vorwürfe mit geschlossenen Augen regungslos an, während das unfassbare Grauen, das der kleine Junge in der Wohnung der Familie in Mönchengladbach erlebt haben muss, den Menschen im voll besetzten Gerichtssaal die Kehle zuschnürt. Schon vor der fraglichen Nacht soll der Vater seinen Sohn aus Eifersucht um die Zuneigung der Mutter mehrfach malträtiert, geschlagen und mit heißer Milch verbrüht haben. Ihn geschüttelt und gedrückt haben, "wie man eine Zitrone ausquetscht", heißt es im Vernehmungsprotokoll. Ein Polizeibeamter schildert, wie der Vater die Taten in der ersten Vernehmung mit einer Puppe für die Beamten wiederholt hat. "Da habe ich mich auch erschrocken", sagt der erfahrene Ermittler.

In der fraglichen Nacht lag die Mutter im Schlafzimmer, und der Vater malträtierte im Wohnzimmer wieder den Kleinen. Dort beschloss er nach einer Stunde der Misshandlungen, den Schreien Leos ein Ende zu setzen, so liest es die Staatsanwältin aus der Anklageschrift vor. In den Stunden darauf setzte er sich mit seinen 88 Kilogramm minutenlang auf den Kopf des Jungen, schüttelte ihn, schlug ihn, missbrauchte ihn sexuell und schlug zwei Mal den Kopf auf die Kante des Wohnzimmertisches. Und als das Baby bereits tot war, noch ein drittes Mal. Nach Angaben eines Gutachters hatte der Mann bis zur Tat täglich Marihuana oder Cannabis genommen. Der Vater lässt über seinen Verteidiger Michael Rost eine Erklärung vorlesen: "Mein Mandant räumt die Vorwürfe ein, auch wenn geringfügige Details der Anklage nicht zutreffend sind. Er kann es sich selbst nicht erklären, wie es dazu kam, und er bereut diese Handlungen zutiefst." Eine Entschuldigung wird nicht formuliert. "Ihm ist bewusst, dass es keine Worte der Entschuldigung geben kann", liest Rost vor. Mit einem Nicken und einem "Ja" schließt sich der 26-Jährige der Erklärung an. Für den Fortgang des Prozesses will er schweigen.

Anders die Mutter. In einer tränenerstickten Aussage gibt sie an, warum sie von Leos Qualen vorher, aber vor allem auch in der Todesnacht im Schlaf nichts mitbekommen haben will - obwohl ihr Sohn vor Qualen geschrien haben muss. Bei der Vernehmung durch die Polizei hatte sie anders ausgesagt, hält ihr der Vorsitzende Richter Lothar Beckers vor. "Ich habe in der Nacht geschlafen und nichts mitbekommen", wiederholt die Mutter schluchzend, die Augen rot geweint. Bis zur Vernehmung bei der Polizei habe sie an plötzlichen Kindstod geglaubt. Den verbrühten Mund zunächst für Herpes gehalten. Einen Kratzer am Auge für eine selbst zugefügte Verletzung. Schmerzen durch Hämatome für Koliken. Die Beamten hätten ihr dann geschildert, was tatsächlich geschehen sei. "Und es wurde immer schlimmer. Ich wollte einfach, dass es aufhört. Und dann habe ich alles abgenickt", sagt sie. "Ich kann mir nicht erklären, warum ich geschlafen habe. Ich wäre gestorben für mein Kind." Sie habe aber eben geglaubt, dass Leo bei seinem Vater in guten Händen ist. Nun hat sie laut ihrer Verteidiger die Scheidung eingereicht.

Richter Beckers entgegnet: "Ich kann das nicht nachvollziehen und auch nicht glauben." Immer wieder zitiert er die Aussagen der Mutter bei der Polizei. "Wenn er geschrien hat, bin ich nicht gucken gegangen aus Angst, dass mein Mann mir Vorwürfe macht", heißt es in den Protokollen. Und: "Ich habe die Sache ignoriert, weil ich es nicht wahrhaben wollte." Und: "Ich habe schon vermutet, dass er dem Leo wehtut." Ihr Verteidiger kritisiert die Vernehmung bei der Polizei: "Was meine Mandantin in der Situation gesagt hat, ist in eine gewisse Richtung interpretiert worden." Die Aussage sei unter Druck und unter Schock entstanden. Dem widersprechen die als Zeugen gehörten Beamten. Als die Ermittler die Aussage des Vaters wiederholen, bricht die Mutter unter Tränen zusammen. Das Urteil wird für den 31. Mai erwartet.

(RP)
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