Duisburg Stolze Kruppianer besetzen Villa Hügel

Duisburg · Die Bilder der "Brücke der Solidarität" waren in der gesamten Republik und im Ausland zu sehen.

Vor wenigen Tagen sammelten sich vor dem Werk von Thyssenkrupp Steel im Duisburger Stadtteil Hamborn rund 7000 Stahlarbeiter zum Protest gegen aktuelle und drohende unternehmenspolitische Entscheidungen. Getrieben wurden sie von der Sorge, dass im Norden der Stadt die Stahlküche irgendwann kalt bleiben könnte. An solche Aufmärsche ist die Stadt gewöhnt. Doch keiner reichte bislang auch nur annähernd an den Krupp-Arbeitskampf heran, den Duisburg vor fast 30 Jahren erlebte.

Die Bilder von damals waren in der gesamten Republik, im europäischen Ausland und sogar in Japanund in den Vereinigten Staaten zu sehen. Dass ein Großunternehmen quasi über Nacht beschließt, die Produktion stillzulegen, sorgte 1987 für einen kollektiven Schock in der Stadt. Krupp war eine Institution in der einst selbstständigen Stadt Rheinhausen. Wer dort sein Geld verdiente, war stolzer Kruppianer. Er kaufte im (anfangs) Krupp-eigenen Konsum, ging im Krupp-See baden, schickte seine Kinder in Schulen im Stadtteil, die das Unternehmen förderte, ließ sich im Bertha (Krupp)-Krankenhaus pflegen und wohnte mit der Familie in der Margarethensiedlung oder anderen Firmenimmobilien.

Krupp war Rheinhausen und Rheinhausen war Krupp. Und wenn Krupp hustete, hatte Rheinhausen eine Erkältung, hieß es. Damals unvorstellbar, dass die Krankheit mal tödlich enden sollte.

Kurz vor Jahresende hatte die Konzernspitze 1987 die Aufgabe des Standortes in Duisburg beschlossen. Was bis dahin allenfalls als Gerücht die Runde gemacht hatte, war mit einem Schlag harte Wirklichkeit, die die Kruppianer nicht akzeptieren wollten. Konzernchef Cromme war schlagartig der meist-gehasste Mann in der Stadt.

Und als er vor die Belegschaft trat, um die Zukunftsplanungen zu erläutern, bekam er das auch zu hören: gellende Pfeifkonzerte, fliegende Eier und Tomaten - ihm prallte die geballte Wut der Belegschaft entgegen. An der Spitze des Betriebsrates agierten damals Manfred Bruckschen, später SPD-Landtagsabgeordneter, und Helmut Laakman. Er war der Stratege der Widerstandsaktionen und viel beachteter Redner. Er war auch der letzte, der das Werk verließ und quasi die Türe hinter sich abschloss. Bruckschen übernahm damals vor allem die Rolle des Öffentlichkeitsarbeiters, wenn er an der Seite von Bundes-, Landes, und Kommunalpolitikern die Protestzüge anführte.

Die Bilder von Stahlarbeitern, die Autobahnen, Brücken und den Essener Stammsitz Villa Hügel besetzten, von starken Männern, die wie Kinder weinten, von Frauen, die mit Hungerstreik für die Arbeitsplätze ihrer Männer kämpften, von Pfarrern, die sich solidarisch einordneten - sie alle haben sich in das Gedächtnis eingebrannt. Monatelang zeigten die Duisburger an den Mahnwachen der Rheinhauser Kruppianer ihre Unterstützung und Anteilnahme. Das ging so weit, dass das von den Streikenden zur "Brücke der Solidarität" erklärte Bauwerk über den Rhein zwischen den beiden Stadtteilen Rheinhausen und Hochfeld auch offiziell diesen Namen erhielt.

Unter Federführung des damaligen NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau wurde im Frühjahr 1988 die "Düsseldorfer Vereinbarung" formuliert, die zwar nicht das Werk in Rheinhausen rettete, wohl aber für die Belegschaft berufliche Perspektiven eröffnete - zum Beispiel auf der anderen Rheinseite beim Konkurrenten Thyssen und bei dem zwischenzeitlich gegründeten Gemeinschaftsbetrieb Hüttenwerke Krupp Mannesmann, kurz HKM.

Im August 1993 lief in Rheinhausen der letzte Stahl aus den Konvertern, die Werkanlagen wurden abgebaut oder gesprengt - und auf dem Hüttenwerksgrund wurde Duisburgs neuer Beschäftigungsmotor gebaut: Die Hafengesellschaft duisport drehte die Logport-Drehscheibe an. Heute ist Logistik der wichtigste Wirtschaftszweig und Arbeitgeber der Stadt, auch wenn sie noch damit wirbt, größter Stahlstandort Europas zu sein.

(RP)
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