Kommunalpolitische Änderungen angedacht NRW-Regierung plant mehr Rechte für Bürger

Das Zurückdrehen schwarz-gelber Reformen geht weiter. Nach der Abschaffung der Kopfnoten und der Studiengebühren will die rot-grüne Landesregierung noch bis zur Sommerpause umfangreiche kommunalpolitische Änderungen auf den Weg bringen. Die Möglichkeit zur Abwahl von Bürgermeister und Landrat gehört dazu.

Fakten: Rot-Grün in NRW
Infos

Fakten: Rot-Grün in NRW

Infos
Foto: Timur Emek

So soll zunächst bei der Wahl der Hauptverwaltungsbeamten — das sind die Ober- und Bürgermeister sowie die Landräte — der Stichentscheid zwischen den beiden bestplazierten Bewerbern wieder eingeführt werden, den die Vorgängerregierung abgeschafft hatte.

Zudem sollen die Bürger die Möglichkeit erhalten, den von ihnen gewählten Hauptverwaltungsbeamten auch wieder absetzen zu können. Allerdings muss dies von einem Drittel der Wahlberechtigten beantragt werden. Bei der Abstimmung soll dann die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausreichen.

Darüber hinaus will die Landesregierung die Möglichkeiten für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide deutlich ausweiten. Abgesehen von Fragen des Haushalts, der Finanzen sowie der Planfeststellung dürfen dann auch bisherige "Tabu-Bereiche" (sogenannte Ausschlusstatbestände) von den Bürgern angefochten werden. Dazu zählen nach Angaben der Kommunalexperten Marc Herter (SPD) und Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) vor allem die Bereiche Flächennutzungsplan und Bebauungsplan.

Das bedeute, dass die Bürger zum Beispiel gegen ein städtisches Bauvorhaben zu Felde ziehen könnten oder Einfluss auf die Aufstellung des Flächennutzungsplans nehmen können. Die Mindestteilnehmerzahl (Quorum) soll dafür deutlich gesenkt werden. Bei Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern sollen zehn Prozent der Stimmberechtigten ausreichen; bei Städten zwischen 50.000 und 100.000 wären es 15 Prozent, und für kleinere Städte würde das Quorum 20 Prozent der Abstimmungsberechtigten betragen.

Quroum für Bürgerbegehren soll gesenkt werden

Für die Kostenermittlung des Alternativvorschlags soll künftig die Kommunalverwaltung zuständig sein. Ein unzureichender Deckungsvorschlag der Initiatoren soll künftig nicht mehr als Grund angeführt werden können, das Bürgerbegehren für unzulässig zu erklären. Zudem wird die Frist für die Unterschriftensammlung um die Zeitspanne verlängert, die die Verwaltung für die Ausarbeitung ihres Kostendeckungsvorschlags benötigt. Kommt der Stadtrat dem Bürgerbegehren nicht nach, findet ein Bürgerentscheid statt. Er gilt bisher als angenommen, wenn mindestens 20 Prozent der Bürger zustimmen. Auch dieses Quorum soll nach dem Willen von Rot-Grün gesenkt werden.

Bislang gab es in Nordrhein-Westfalen seit 1994 rund 500 Bürgerbegehren. Allein im Jahr 2009 waren zehn Bürgerbegehren erfolgreich, zum Beispiel für den Erhalt von Sportanlagen in Mönchengladbach, gegen die Umgestaltung des Marktplatzes in Xanten und gegen eine neue Beigeordneten-Stelle in Wesel. Im Ländervergleich machen nur die Bayern noch häufiger von dieser Form der direkten Demokratie Gebrauch.

Noch rot-grüne Zukunftsmusik in Nordrhein-Westfalen ist das Vorhaben, die Wahl der Stadträte und Bürgermeister wieder zu koppeln. Derzeit beträgt die Amtszeit der Bürgermeister sechs, die der Räte fünf Jahre. Rein rechnerisch fallen erst nach 30 Jahren beide Wahlen wieder auf einen Termin zusammen. So lange wollen SPD und Grüne zwar nicht warten, aber sie wollen auch nicht vorpreschen. Zunächst sollen Gutachten dazu eingeholt werden, wie die Koppelung von Rats- und Bürgermeisterwahl rechtlich "wasserdicht" wiederhergestellt wird.

Dasselbe gilt auch für die Wiedereinführung einer "moderaten Sperrklausel" (Herter), um "Funktionsstörungen" bei der Arbeit von Räten zu vermeiden. Als Beispiel nennt Mostofizadeh die Stadt Werl, in der es zwar eine Mehrheit gegen den Kommunalhaushalt gibt, aber keine für einen alternativen Etat.

Motto "Stärkung der kommunalen Demokratie"

Die geplanten rot-grünen Änderungen stehen unter dem Motto "Stärkung der kommunalen Demokratie". Zudem will die Regierung von Hannelore Kraft (SPD) auf Landesebene Volksbegehren und Volksentscheide erleichtern sowie das Wahlalter bei Landtagswahlen von 18 auf 16 Jahre senken. Die Landesverfassung legt das Fundament zur repräsentativen und zur direkten Demokratie. Artikel zwei lautet: "Das Volk bekundet seinen Willen durch Wahl, Volksbegehren und Volksentscheid."

Die Bundesverfassung, das Grundgesetz, kennt hingegen die direkte Form der Volksherrschaft (Demokratie) lediglich in dem Fall einer geplanten Neugliederung des Bundesgebietes, wodurch etwa aus zwei Bundesländern eins werden soll. Hier hätten laut Grundgesetz-Artikel 29 die stimmberechtigten Einwohner beider Länder das letzte Wort. Volksbegehren beziehungsweise Volksentscheid sind in einem eigenen Landesgesetz detailliert geregelt. Volksbegehren sind darauf gerichtet, Gesetze zu erlassen, zu ändern oder aufzuheben. Sie sind unzulässig, wenn es zum Beispiel um Finanzfragen, Abgabengesetze oder Landesbesoldungs-Angelegenheit geht.

Ein Volksbegehren muss von mindestens acht Prozent (rund einer Million) der deutschen Stimmberechtigten in NRW (Mindestalter: 18 Jahre) gestellt werden. Entspricht der Landesgesetzgeber (Landtag) einem zulässigen Volksbegehren nicht, kann das Volk das von ihm gewünschte Gesetz im Wege des Volksentscheids in Kraft setzen. Die Volksentscheid-Mehrheit liegt bei mindestens 15 Prozent der Stimmberechtigten (rund zwei Millionen NRW-Bürger).

Auch die Landesregierung kann ein von ihr eingebrachtes Gesetz zum Gegenstand eines Volksentscheids machen, wenn der Landtag das Gesetz zuvor abgelehnt hat. Wie bei der Landtagswahl wird über den Volksentscheid an einem von der Landesregierung festgelegten Tag abgestimmt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort