Suche nach tatverdächtigem Marcel H. "Gewaltverbrecher schmückten sich schon immer mit ihren Taten"

Düsseldorf · Der mutmaßliche Täter von Herne soll das Internet genutzt haben, um die Tötung eines Neunjährigen bekanntzumachen. Wir haben Gewaltforscher Mirko Allwinn gefragt, ob die Darstellungsmöglichkeiten in den sozialen Medien das Verhalten von Gewaltverbrechern verändern.

Teddybären, Blumen und Kerzen liegen in Herne vor einem Haus in einem Vorgarten, nach der Ermordung eines neunjährigen Jungen.

Teddybären, Blumen und Kerzen liegen in Herne vor einem Haus in einem Vorgarten, nach der Ermordung eines neunjährigen Jungen.

Foto: dpa, mku hpl

Herr Allwinn, der Tatverdächtige Marcel H. soll seine Taten über Internetforen bekanntgemacht haben. Welche Rolle spielt das Internet bei Gewaltverbrechen?

Mirko Allwinn: Sowohl für Täter als auch für Zuschauer eröffnet das Internet und die sozialen Medien neue Möglichkeiten. Alles geht schneller, unmittelbarer, die Reichweite ist größer, und es können andere Medien geteilt werden, wie Fotos oder Videos. Früher mussten Täter Briefe per Post schicken oder haben sie nach ihrem Tod in der Wohnung hinterlassen.

Mirko Allwinn ist Psychologe und Mitarbeiter beim Institut Psychologie & Bedrohungsmanagement in Darmstadt. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die verschiedenen Formen zielgerichteter Gewalt (z.B. School Shootings, Amokläufe durch Erwachsene), Gewaltdrohungen und Psychologie des Betrugs.

Mirko Allwinn ist Psychologe und Mitarbeiter beim Institut Psychologie & Bedrohungsmanagement in Darmstadt. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die verschiedenen Formen zielgerichteter Gewalt (z.B. School Shootings, Amokläufe durch Erwachsene), Gewaltdrohungen und Psychologie des Betrugs.

Foto: Melanie Niesik - Fotografie & De

Erhöhen diese Möglichkeiten die Wahrscheinlichkeit, dass jemand seine Gewaltfantasien auch in die Tat umsetzt?

Allwinn: Nein, das würde ich nicht sagen. Führende Wissenschaftler zeigen auf, dass Tötungsdelikte über die vergangenen Jahrzehnte zurückgegangen sind. Außerdem muss man hier aufpassen: Die technischen Möglichkeiten sind zwar neu, aber das Phänomen als solches nicht.

Wie meinen Sie das?

Allwinn: Gewaltverbrecher schmückten sich schon immer mit ihren Taten und haben das Bedürfnis, einem narzisstischen Drang nachzugehen. Umgedreht gibt es auch schon immer Zuschauer und Gaffer, angefangen von Unfällen bis hin zu Gräueltaten. Früher beobachteten sie Gladiatoren in der Arena oder Hinrichtungen auf dem Marktplatz. Jetzt gibt es technische Möglichkeiten, die eine andere Form der Beobachtung und des Mitteilens zulassen. Neu daran ist, dass man räumlich voneinander getrennt sein kann und damit die Anonymität größer ist.

Aber gerade in speziellen Foren finden die Personen Gleichgesinnte, stachelt das nicht an?

Allwinn: Das ist tatsächlich ein Punkt. Die Community oder das soziale Umfeld spielt eine sehr große Rolle bei der Frage, ob jemand seine Fantasien auslebt. Früher war das der Klassenraum oder die Dorfgemeinschaft, heute sind das eben Foren im Internet. Wenn jemand einen Großteil seiner Zeit unter Gleichgesinnten in einem solchen Forum verbringt, kann es dazu führen, dass es ihm leichter fällt, seine Fantasien in die Tat umzusetzen.

(ham)
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