Wandern am Niederrhein Wie die Eifel - nur ohne Berge

Ein Wanderführer preist ausgerechnet den flachen Niederrhein als Gebiet für große Touren. Unser Autor ist eine davon gelaufen.

 Berge hat der Niederrhein zwar keine, düstere Wälder hat unser Autor auf seiner Wanderung aber gefunden.

Berge hat der Niederrhein zwar keine, düstere Wälder hat unser Autor auf seiner Wanderung aber gefunden.

Foto: Markus van Offern

Menschen, die ihm im Dorf begegneten, mussten den Mann für einen verirrten Wanderer halten. Einen, der sich 500 Kilometer verirrt hatte. Er trug einen großen Rucksack und Wanderschuhe. Doch es war wahr. Ich wollte hier wandern, ich wollte hoch auf 55 Meter über dem Meeresspiegel.

Was hatte ich mich amüsiert über die Idee. Einen Wanderführer für den Niederrhein hatte ein Verlag veröffentlicht, Rother, sonst zuständig fürs Gebirge, 50 Touren zu Fuß, nicht auf dem Rad. Ich bin dort aufgewachsen. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dort zu wandern. Über welche Berge denn? Sonntags waren wir manchmal spazieren gewesen. Wir zogen nicht mal andere Schuhe an.

Für das Buch hatte der Autor Roland Föll auch eine Strecke ausgearbeitet, die am Rande meiner alten Heimat verlief, dem Uedemer Hochwald. Den kannte ich wohl, gewesen war ich dort aber nur ein einziges Mal. Meistens war ich bloß auf der Straße gefahren, die den nicht einmal zehn Quadratkilometer großen Wald teilte, durch das Dorf Marienbaum, das zu Xanten gehört, und weiter nach Vynen, zur Rockdisco am Deich.

13 Kilometer und 90 Höhenmeter

An einem Dienstagmorgen im April brach ich vom Parkplatz der Marienbaumer Kirche auf, um der Frage nachzugehen, ob ich 20 Jahre in einer Wanderregion gelebt hatte, ohne es zu merken. 22 Meter über Null. Vor mir 13 Kilometer und 90 Höhenmeter. Die Temperatur war angenehm, aber in den Bergen schlägt das Wetter schnell um.

Am Ortsausgang hatten sie Infotafeln angebracht. Auf einer stand: "Sie haben sich für eines der schönsten Wandergebiete am unteren Niederrhein entschieden." Kurz dahinter führte die Straße steil bergauf in den Wald. Jedenfalls führte sie bergauf. Am Waldrand bog ich rechts ab. Wald war schon die richtige Bezeichnung, da standen Bäume. Aber es war kein Wald, bei dem ich zu befürchten hatte, nie wieder herauszufinden. Die Laubbäume trugen noch kein Laub, sie hielten Abstand zueinander, 2007 hatte Kyrill einiges niedergefegt. Auf dem Weg zeichneten sich Autoreifen ab.

Das könnte jetzt so weitergehen. Ich durch den Wald, herumkrittelnd, dass es doch eher ein "Wald" sei, Bäume ohne Instagram-Wert, bisweilen Schotter auf dem Weg. Aber dann passierten Dinge mit mir. Ich war keine halbe Stunde gelaufen, als ich nach rechts sah, aus dem Wald hinaus. Ein Feldweg führte hinab zwischen Wiese und Acker, dahinter noch mehr Wiese und Acker, ein Trecker, Windräder, beinahe der Blick in ein Tal. Und später dann, als der Weg von 33 auf 55 Meter anstieg, am Rand immer wieder Stapel von Baumstämmen, kamen die sanften Wegwellen, hoch und runter, und in der Entfernung sah ich die Gegensteigungen, diese Scheinriesen.

Freude wie jemand, der vom anderen Ende Deutschlands angereist war

An der Villa Reichswald dann, ein Ausflugslokal — das Wort schon! — an der Villa Reichswald also sah ich in ein beinahe schon echtes Tal. Darin standen einige Höfe, am Horizont der Xantener Dom und rechts davon ein noch viel höherer Berg als der, auf dem ich stand. Ein paar Kilometer von meinem Kinderzimmer entfernt hatte es also schon immer diese Aussicht gegeben und ich erfreute mich an ihr wie jemand, der vom anderen Ende Deutschlands angereist war.

Das war zwar nicht einmal im Ansatz mit der Eifel oder auch nur der Voreifel vergleichbar, doch genau das war der Trick: Es nicht mit der Eifel zu vergleichen, sondern mit der Gegend, von der ich umgeben war. Wenn ich bei 22 Metern anfange, sind 55 Meter mehr als doppelt so hoch. Als ich später die letzten Kilometer über einen Reitweg lief, hinunter ins Tal, da war es mir nach den breiten geraden Wegen fast so, als würde ich einen Geheimpfad gehen.

Urlaub in der Heimat

Doch die größte Überraschung war nicht, dass ich am Niederrhein wandern konnte, die größte war: Ich konnte in der Heimat Urlaub machen. Das hat auch mit dem Lebensraum Wald zu tun. Man unterschätzt, was ein bisschen bessere Luft, ein paar Bäume, Nadelholzgeruch und ein hämmernder Specht bewirken. Jeder kommt glücklicher aus dem Wald heraus, als er hineingegangen ist, und jeder schmiedet im Wald einmal Aussteigerpläne.

Doch viel wichtiger war: Ich hatte vergessen, dass ich überhaupt in der Heimat war. Mit dem Auto war ich schon in der Nähe gewesen, aber nicht zu Fuß, zu Fuß kennt man ja bloß die unmittelbare Umgebung. Urlaub heißt ja nicht, weit wegzufahren, sondern an einem schönen Ort zu sein, an dem man sich noch verlaufen kann.

Meine Wanderung endete nach dreieinhalb Stunden. Während für andere das Urlaubsgefühl am Check-In vor dem Rückflug endet, verstarb meines an der Landstraße. Die Autos, der Asphalt, 50 Meter entfernt im Tal begann Marienbaum, das Bekannte. Aber wenn ich will, kann ich fortan zu Fuß in den Urlaub gehen.

(seda)
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