Hünxe Erhaben, ergreifend, geradezu himmlisch

Hünxe · Anna Gourari gibt ein winterliches Sonderkonzert des Klavier Festivals Ruhr in der Alten Rentei von Schloss Gartrop. Das Publikum bedankt sich mit Bravo-Rufen und wird mit zwei Zugaben belohnt.

 Eine, die jedem einzelnen Ton der Musik nachspürt: Anna Gourari im Weihnachtskonzert in der Alten Rentei von Schloss Gartrop, ihrem insgesamt siebten Konzert im Rahmen des Klavier Festivals Ruhr.

Eine, die jedem einzelnen Ton der Musik nachspürt: Anna Gourari im Weihnachtskonzert in der Alten Rentei von Schloss Gartrop, ihrem insgesamt siebten Konzert im Rahmen des Klavier Festivals Ruhr.

Foto: Jochen EmdE

Ein scharfer dissonanter Akkord, gefolgt von einer Stille, die den Nachhall hörbar macht. Wenn eine Klangsuchende wie Anna Gourari ein Weihnachtskonzert gibt, lernt man, das scheinbar Altvertraute völlig neu zu erleben. Und so müssen sich die Besucher des winterlichen Sonderkonzertes des Klavier Festivals Ruhr in der Alten Rentei von Schloss Gartrop zunächst auf zeitgenössische Klänge einlassen, bevor sich, auf besonderen Wunsch des Festivalintendanten Prof. Franz Xaver Ohnsorg, Bachkantaten in Klavierbearbeitungen in das weihnachtliche Ambiente der Schlossanlage einfügen. Dazu gehören übrigens auch die Lichterketten in den Bäumen vor der Alten Rentei.

Und weil Weihnachten eben untrennbar mit Licht verbunden ist, begann Anna Gourari das Weihnachtskonzert mit Jörg Widmanns Lichtstudie II von 2002. Konsonanz und Dissonanz, Stille und Nachklang. Das Stück fokussiert allein auf diese Kontraste. Lässt man sich darauf ein, schärft es durch seine Konzentration auf wesentliches musikalisches Hören den Sinn. Wie zielgerichtet Anna Gourari das von einer Lichtinstallation von James Turrell inspirierte Stück an den Anfang des Konzertes setzt, offenbart sich in dem Moment, in dem sich aus den einzelnen Tönen und Akkorden eine metrisch gebundene Struktur formt: Mit dem Choralvorspiel "Nun komm' der Heiden Heiland" schreitet Bach gleichsam durch den festlich erleuchteten Saal.

Erhaben, ergreifend, geradezu himmlisch. Das ist nicht länger der geniale, aber doch richtig menschliche Thomaskantor, sondern der Bach, den die Genies in seiner Nahfolge auf den Thron gehoben haben. Die Klavierbearbeitung stammt von Ferrucio Busoni, auf dem ein Festivalschwerpunkt im Sommer lag. Im zweiten Teil des Weihnachtskonzertes wird Gourari seine Bearbeitung des Choralvorspiels "Ich ruf zu Dir, Herr Jesu Christ" spielen, ebenso wie "Schafe können sicher weiden" in der Klavierbearbeitung von Dinu Lipatti, "Jesus bleibet meine Freude" in der Version von Myra Hess und das Siciliano aus der Flötensonate Es-Dur, bearbeitet von Wilhelm Kempf. Barockmusik? Nicht länger. Anna Gourari verzögert die Tempi, phrasiert in großen Spannungsbögen mit viel dynamischem Spiel: So klingt die Romantik. Und diese freie Bach-Interpretation fügt sich wiederum zu dem Teil des Programmes, den sie selbst gewählt hat: Vier Klavierstücke op. 119 von Johannes Brahms, sein letztes Klavierwerk, sowie 4 Mazurken op. posth. 68 und das Scherzo Nr. 1 h-moll op. 20 von Frederic Chopin.

Selten liegt eine Interpretationsvorgabe der Stimmung eines Stückes so deutlich vor wie für das op. 119. "Jeder Takt, jede Note muss wie ein Ritardando klingen, als ob man Melancholie aus jeder einzelnen saugen wollte, mit Wollust und Behagen aus besagten Dissonanzen", schrieb Brahms an Clara Schumann. Die vier kleinen Charakterstücke changieren zwischen (Selbst-)Reminiszenz und lebendiger musikalischer Gegenwart, ein perfektes Werk für Anna Gouraris leicht mystischen, manchmal entrückten Stil. Doch auch das ist Anna Gourari: Die beiden Dissonanzen, mit denen Chopin das Scherzo Nr. 1 beginnt, schließen den Kreis zur Lichtstudie II. Aber danach stürmt und tobt Gourari über die Tasten. Bravorufe und zwei weitere Mazurken von Chopin als Zugaben.

(RP)
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