Verschwundene Orte Der letzte "Riese" fiel in sieben Sekunden

Moers · Sie prägten für Jahre das Stadtbild Kamp-Lintforts. Am Anfang standen die drei Hochhäuser für modernes Wohnen, doch im Laufe der Jahre verschlechterte sich ihr Zustand rapide. Am 19. Dezember 2010 wurde der letzte Wohnturm gesprengt.

 Heute steht dort, wo einst die Weißen Riesen ihren Standort hatten, das Einkaufszentrum Drei Eichen, kurz Ek3.

Heute steht dort, wo einst die Weißen Riesen ihren Standort hatten, das Einkaufszentrum Drei Eichen, kurz Ek3.

Foto: Dieker, Klaus (kdi)

Es war ein Spektakel, als am 19. Dezember 2010 der letzte der drei Weißen Riesen fiel. Im Umkreis von 200 Metern war das Gelände abgesperrt. Die Menschen wurden evakuiert. Am Rande des Kreises fanden sich mehrere Tausend Zuschauer ein, die sehen wollten, wie der letzte Weiße Riese weißer Staub und Schutt wird. Die meisten kamen aus Kamp-Lintfort und der näheren Umgebung. Einige Spreng-Fans reisten aber auch mehrere 100 Kilometer an, um den Fall zu filmen.

Denn dass Wohntürme in einer Innenstadt gesprengt werden, ist bundesweit äußerst selten. Um 11 Uhr gab Sprengmeister Rainer Fränkel das Kommando. Sieben Sekunden dauerte es, bis nach einem Knall das 17-stöckige Gebäude in sich zusammengebrochen war. Eine Staubwolke blieb noch einige Minuten dort, wo der letzte Weiße Riese nahe der Ecke von Moerser Straße und Friedrichstraße gestanden hatte. Darunter befand sich der Schutt eines einstigen Aushängeschildes der Bergbaustadt. Die Zuschauer jubelten.

Ursprünglich hatte der letzte Weiße Riese schon am 1. November 2010 fallen sollen. Doch der Termin musste verschoben werden, weil die oberen Etagen des letzten Weißen Riesen nicht aus Stahlbeton gebaut worden waren, wie es nach den Statik-Plänen vorgeschrieben war. Das Sprengverhalten war neu zu berechnen, die 20 000 Bohrungen anders zu setzen und die 230 Kilogramm Sprengstoff anders zu platzieren.

Weil der Termin mehrere Wochen vorher angekündigt gewesen war, hatten nicht wenige zu Feiern eingeladen, die am Rande des evakuierten Kreises einen Balkon, einen Garten oder eine Dachterrasse hatten, von denen aus das Spektakel beobachtete werden konnten. Zum Teil überschrieben die Kamp-Lintforter diese Feiern mit originellen Zitaten wie "Das Neue fällt, das Alte bricht sich Bahn" in Anspielung auf eine städtische Broschüre aus dem Jahr 1975, als die drei Weißen Riesen gerade bezogen waren. In dieser war der Satz zu finden gewesen: "Das Alte fällt, das Neue bricht sich Bahn."

Die drei Weißen Riesen hatten seinerzeit für gehobene Wohnqualität gestanden, als sie 1972 (Nummer 276) und 1973 (Nummer 278) fertig gestellt wurden. "Die Wohnungen waren funktional geschnitten", sagt Wolfgang Roth. "Sie waren lichtdurchflutet, hatten Toilette und Bad, was vor vier Jahrzehnten für Gebäude nicht selbstverständlich war." Er zog zusammen mit seiner späteren Ehefrau Monika im Januar 1979 in eine Wohnung in dem Weißen Riesen ein, der als letzter gesprengt wurde und die Nummer Moerser Straße 274 trug. "Wir haben uns dort sehr wohl gefühlt. Die Wohnung lag im fünften Stock, hatte 70 Quadratmeter und war modern geschnitten", blickt der 64-Jährige zurück. "Sie hatte ein großes Wohnzimmer, ein Schlafzimmer sowie Küche und Badezimmer. In der Küche gab es einen Müllschlucker."

Die Lage änderte sich in den 1980er Jahren. Immer öfter fanden Wohnungen keine Nachmieter mehr. Dazu wechselten mehrfach die Eigentümer. Als Landesmittel flossen, konnte der Rückbau der Drei Weißen Riesen beginnen. Im Oktober 2009 wurden die Hochhäuser Moerser Straße 276 und 278 von Spezialbaggern "abgeknabbert". 2010 wurde dann das Gebäude Moerser Straße 274 gesprengt. "Die Hochhäuser waren schon eine Besonderheit, selbst wenn sie nicht schön waren", sagt Wolfgang Roth. "Sie waren ein markanter Punkt."

(got)
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