Mettmann Wenn Arbeit das Leben beherrscht

Düsseldorf · Ein Gespräch mit Burnout- und Stress-Expertin Heike Schneidereit-Mauth. Wer zu viel arbeitet, verdrängt damit oft wichtige Lebensfragen, sagt sie. Und er vernachlässigt Familie und Freunde.

Die Zahl der Krankenstände wegen psychischer Probleme – meist durch den Job hervorgerufen – steigt. Das heißt, Mobbing und Überforderung machen immer mehr Menschen krank. Wir sprachen mit der Therapeutin Heike Schneidereit-Mauth über das Thema.

Frau Schneidereit-Mauth, was sind die ersten Alarmzeichen vor dem endgültigen Burnout?

Schneidereit-Mauth Burnout vollzieht sich als ein schleichender Prozess. Daher ist es wichtig, dem fließenden Übergang von der normalen Erschöpfung zu einem beginnenden Burnout Aufmerksamkeit zu schenken. Häufig beginnt ein Burnout mit dem Gefühl von Unentbehrlichkeit. Enthusiasmus verwandelt sich in extremes Engagement. Der Beruf wird zum einzigen Lebensmittelpunkt, und Interessen und private Beziehungen werden vernachlässigt. Es folgen Schlafstörungen, chronische Müdigkeit, Gereiztheit, Unzufriedenheit.

Wie kann man die Überarbeitung oder Überforderung stoppen?

Schneidereit-Mauth Übersteigertes berufliches Engagement ist eine gesellschaftlich anerkannte Form der Verdrängung wichtiger Lebensfragen. Daher beginnt alles mit einem ehrlichen Blick auf sich selbst. Wem die Arbeit nicht mehr aus dem Kopf geht, muss sich fragen, wofür die eigene Überlastung steht. Was will ich vermeiden oder nicht wahrnehmen? Welches Lebensthema müsste ich eigentlich angehen, wenn ich nicht so gestresst wäre? Wenn die Betroffenen zum Beispiel ihre Beziehungsprobleme klären, schaffen sie es plötzlich, sich wieder beruflich abzugrenzen. Oder wenn sie für sich herausgefunden haben, woher die Sehnsucht nach Anerkennung kommt, ergibt sich ein realistischer Blick auf die eigene Leistungsbereitschaft.

Welches sind die besten Möglichkeiten, nach der Arbeit zu entspannen?

Schneidereit-Mauth Entspannungsmethoden gibt es so viele, wie es Menschen gibt. Eine besonders effektive Form von Stressabbau ist wissenschaftlich erwiesen jede Form von moderatem Ausdauersport. Jeder und jede ist aufgefordert, für sich die eigene und stimmige Form der Entspannung zu finden, denn wir Menschen setzen Dinge nur um, wenn wir sie mit einem guten Gefühl verbinden. Nur wer einen emotionalen Gewinn erwartet, ist motiviert, neue Wege der Entspannung zu erproben. Das bedeutet aber auch, dass wir uns mit der gleichen Sorgfalt, mit der wir den nächsten Karriereschritt planen, unserer körperlichen und seelischen Gesundheit widmen. Dazu gehören das regelmäßige Abschalten des Handys, Mailabfrage zu festgelegten Bürozeiten, regelmäßige Mahlzeiten, Einhaltung von Pausen, arbeitsfreie Tage, Pflege des sozialen Netzwerkes. Nur wer achtsam auch auf Körper und Seele hört, wird langfristig psychisch und physisch gesund bleiben. Den Job können wir notfalls wechseln, den Körper nicht.

Welche Hürden muss man überwinden, um sich von beruflichen Belastungen freizuschaufeln?

Schneidereit-Mauth Berufliche Belastung bis zur Grenze wird meist mit Erfolg, Einfluss und Wichtigkeit gleichgesetzt und erfährt gesellschaftliche Anerkennung. Wer sich die Begrenztheit der eigenen Leistungsfähigkeit eingesteht, wer anfängt, im Berufsalltag nicht jede Herausforderung anzunehmen, wer eine gesunde Distanz zu beruflichen Erfolgen einnimmt und sich für ersetzbar hält, ist auf dem richtigen Weg. Wer weiß, was ihn als Person und Mensch jenseits von Beruf und Karriere ausmacht, wer sein außerberufliches Leben im Grundsatz als sinnvoll erlebt, ist gut gewappnet gegen Burnout.

Was raten Sie Menschen, die offensichtlich ein Burnout haben?

Schneidereit-Mauth Ein Zustand echter körperlicher und seelischer Erschöpfung verschwindet nicht einfach. Wer ein offensichtliches Burnout hat, braucht Hilfe und professionelle Anleitung, um die eigenen Kraftquellen neu zu entdecken. Mit einem gebrochenen Bein gehen wir zum Arzt. Mit einer gebrochenen Seele warten wir manchmal, bis das Leid unerträglich wird. Dabei gibt es auch für seelisches Leid therapeutische Hilfe. Burnout übernimmt eine wichtige Schutzfunktion, denn Körper und Seele wehren sich gegen Überforderung und Überlastung, aber auch gegen Verdrängung und Vermeidung. Daher ist die Frage wichtig: Welche Chance liegt in der Krise?

Isabel Klaas stellte die Fragen

(RP)
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