"The Voice of Germany" Buhlen statt Bohlen

Düsseldorf · Es bleibt dabei: Das Schönste an dieser Gesangssendung ist das Hauen und Stechen unter den Jurymitgliedern. Mehr Inszenierung braucht dann aber bitte kein Mensch.

Die Erleichterung kommt, als Smudo Andreas Bourani knutscht: Yepp, das nervt zum Glück immer noch nicht. Auch in der sechsten Staffel dieser erwachsensten, unpeinlichsten aller Gesangscastingshows sieht man noch gerne zu, wenn die vier Coaches um Ausnahmetalente kämpfen, sich diebisch freuen, wenn sie den anderen eine besondere Stimme, eine schillernde Type vor der Nase wegschnappen.

Buhlen statt Bohlen, das ist noch immer das längst nicht mehr so geheime Geheimerfolgsrezept von TVOG: Statt zu beurteilender Prüflinge, deren Wohl und Wehe in den Händen der gestrengen, mächtigen Jury liegt, sind die Vorsänger und Vorsängerinnen hier emanzipierte Selbstentscheider. Klar, zunächst müssen sie die Jury bei den gerade gestarteten Blind Auditions für sich überzeugen, doch dann sind sie keine unmündige Schacherware, sondern eigenverantwortliche Künstler.

The Voice of Germany - Alle Jurymitglieder der vorherigen Staffeln
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Das ist die Jury von „The Voice of Germany“

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Foto: dpa/Andre Kowalski

Besonders viel Spaß macht das Zuschauen dabei natürlich, wenn Andreas Bourani, Smudo und Michi Beck, die neu dazu gestoßene Yvonne Catterfeld und Wiederkehrer Samu Haber allesamt einen Kandidaten oder eine Kandidatin in ihrem Team haben möchten. So wie bei der 17-jährigen Matthea, die Bourani erst mit großzügig abgewickeltem Absperrband für sich beanspruchen wollte, und der dann jeder der Coaches nacheinander ein Bezirzungs-Ständchen sang — vom Fanta-Blues ("Ich bin Smudo, das ist Michi / und wir diggen deine Kunst") bis zur Haberschen "Umbrella"-Variante.

Man kann diese Faxen entspannt anschauen, weil sie das einzige alberne Element bei TVOG sind — die Kandidaten sind ausnahmslos sehr gut, nach wie vor wird auf billige Belustigungs-Bewerber verzichtet. Alle können singen, auch, wenn sie mitunter so unterhaltsam irre sind wie Georg Stengel, der brandenburgische Behäbigtänzer, der zum zweiten Mal antrat und die Coaches dieses Mal mit "Pocahontas" von Annenmaykantereit überzeugen konnte.

In der letzten Staffel war ihm sein später Auftrittszeitpunkt zum Verhängnis geworden, als die Teams schon fast voll und die Teamchefs extra-wählerisch waren. Wenn hier eine röhrende Rockabilly-Frau oder ein blumenbebluster Zappelfrisör auftritt, werden diese äußerlichen Charakteristika nie zum Selbstzweck ausgestellt, das ist immer noch eine ungewohnte, schöne Abwechslung.

Nur eine echte Schluchzstory leistet sich auch TVOG beim zweiten Vorsingen: Der 26-jährige Stas aus Lettland gewann schon eine ukrainische Talentshow, wurde dort zum Star — und verlor alles, als er vor dem Krieg nach Deutschland floh, wo er nun in einem pfälzischen Dorf als Briefträger arbeitet. Die deutsche Casting-Show sei nun seine "letzte Chance", endlich wieder "etwas Gutes" in seinem Leben zu haben", und auch wenn die Botschaft hinter seiner Geschichte erzählenswert ist, braucht es diese Überdramatisierung nicht, weil seine Stimme am Ende auch ohne sie mühelos alle vier Coaches überzeugt.

Andreas Bourani – Auf uns, Sänger, "The Voice of Germany"-Juror
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Das ist Andreas Bourani

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Foto: dpa, dna

Eine schöne Geste der Jury war beim zweiten Vorsingen ihr dramaturgischer Ungehorsam: Eine Neuerung im Ablauf sieht vor, dass Talente, für die sich keiner der Coaches umdreht, dann auch grußlos und ohne Jury-Kommentar von der Bühne gehen, die Juroren sollen diese Kandidaten gar nicht erst zu Gesicht bekommen. Bei "Pigs can't fly", einem Männertrio zwischen 49 und 57 Jahren, widersetzen sich alle vier dieser unnötig schroffen Idee, linsten hinter ihren Stühlen hervor und zollten so den angebrachten Respekt vor Mut und Leistung.

In ein Team schafften es die älteren Herren zwar nicht, dafür durften sie ein zweites Lied ansingen — kein schlechter Ertrag für eine Bewerbung im Weinsuff.

(rütz)
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