Porträt Kanye West Mit dem Ego in der Größe eines Wals

Kaum ein Künstler produziert sich derzeit so wie Kanye West. Fassungslos sieht man ihm beim exzessiven Ausleben seines gigantischen Egos zu. Doch können seine Musik und das neue Album "The Life of Pablo" mit dem Wahnsinn Schritt halten?

Um angemessen über Kanye West zu berichten, muss man mit dem Wahnsinn beginnen. Und sich danach allmählich steigern. Denn wäre das Ego eines Menschen ein Tier, dann wäre West ein Wal. Nur drei Beispiele: Während einer Preisverleihung stürmte er die Bühne und beschimpfte Taylor Swift. Er verglich sich mit Da Vinci, Walt Disney und Jesus. Und jüngst bat er in einem Tweet Mark Zuckerberg um eine Milliarde Dollar. Vor den Augen der Welt zelebriert West so eine maßlose Selbstüberschätzung. Vielleicht ja, weil West wie kaum ein anderer - außer Donald Trump - erkannt hat, dass Unberechenbarkeit und Irrationalität ein Maximum an Aufmerksamkeit bringen.

Die spannende Frage jedoch ist, ob Kanye West jenseits der medialen Übersteigerung seiner Selbst auch Substanzielles zu bieten hat. Sein Talent als Rapper ist überschaubar. Seine Texte kreisen vornehmlich um sein wichtigstes Thema: Kanye West. Doch hat er eben ein hervorragendes Gespür für Samples und Produktion. Er ist ein Perfektionist, ein Dirigent kreativer Prozesse, der dabei kein Maß kennt - weder in seinem öffentlich geführten Leben noch in der Musik, in der er scheinbar Unvereinbares in aufsehenerregender Weise zu etwas Neuem zusammenführt.

Dieser Wesenszug erklärt sich nicht zuletzt durch seine Biografie. Er wuchs in behüteten Verhältnissen auf, seine Mutter war Professorin für Anglistik. West besuchte Universitäten und Kunsthochschulen. So ist für ihn von Kindheit an das Interesse an einer kulturellen Vielfalt selbstverständlich. Das könnte die ungewöhnliche breite Palette seiner Samples erklären. Seine ersten Schritte im Musikgeschäft machte er nicht als Rapper, sondern galt anfangs mehr als ein Produzenten-Wunderkind. Seinen Durchbruch feierte er mit Jay Z, zu dessen Klassiker "The Blueprint" er etliche Lieder beisteuerte. Nach weiteren erfolgreichen Produktionen für Ludacris, Jamie Foxx und Alicia Keys erschien 2004 sein Debüt "The College Dropout", das ihm mehrere Grammys bescherte. Der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte: ein permanenter Wechsel zwischen den Extremen. Einerseits der exzessive Narzissmus. Andererseits seine Pionierleistungen als Musiker, die außergewöhnliche Alben wie "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" hervorbrachten. Und er ist ein Mensch, der George W. Bush nach dem Hurrikan Katrina Rassismus vorwarf, was Bush später als den Tiefpunkt seiner Amtszeit bezeichnete.

Für sein neues Album "The Life of Pablo" holte sich West die Unterstützung von Rihanna, The Weeknd, Frank Ocean, Kid Cudi und Kendrick Lamar. 18 Songs sind entstanden, in denen er das Genre über Grenzen treibt: Noch mehr Samples, noch mehr Brüche, noch mehr Kombinationen unterschiedlicher Elemente, diesmal mit einem besonderen Fokus auf Gospel. Gerade deshalb passt diese Platte zum widersprüchlichen Gesamtbild Wests. In "Famous", dem vielleicht zugänglichsten Track, gibt es eine wunderbare Stelle, in der Rihanna über ein Sample von Sister Nancy singt. Und als ob diese Schönheit nicht für sich stehen könnte, muss West im gleichen Lied den Streit mit Taylor Swift aufwärmen und auf plumpe Weise verkünden, dass er sie erst berühmt gemacht habe, eine ebenso unsouveräne wie dumme Behauptung.

Auch die Präsentation des Albums inszenierte West als ein bizarres Spektakel. Auf seinem Laptop spielte er 20.000 Gästen im ausverkauften Madison Square Garden "The Life of Pablo" vor. Mehrfach stürzte der Computer dabei ab, einmal ertönte gar das typische Signal für den Empfang einer Mail. Währenddessen saßen hundert Models wie Naomi Campbell in futuristischen Blaxploitationkostümen auf der Bühne und weinten. Neben der Musik stellte West noch ein Videospiel zu Ehren seiner verstorbenen Mutter vor. All das wurde zeitgleich in 700 Kinos übertragen. Wenige Tage später zog West das Album zurück, um die Songs, die er so aufwendig der Welt vorgeführt hatte, noch einmal zu überarbeiten. Zu hören gibt es "The Life of Pablo" momentan überhaupt nur auf Jay Zs Musikplattform Tidal.

So bleibt die Vermutung, dass dieses Nebeneinander von Chaos und Innovation, von Musik und Irrsinn kein Zufall sein kann. Ohne einen Kanye West, der sich mit Jesus vergleicht, eben auch kein Lied wie "Jesus Walks". "Name one genius that ain't crazy" rappt er auf seinem neuen Album. Und liefert damit möglicherweise eine Erklärung für seine Kunst und sein Leben. Was man bei ihm als Einheit vermuten muss.

(RP)
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