Britische Forscher dürfen Embryonen verändern Auf der Zielgeraden zum Designer-Baby

London · Britische Wissenschaftler dürfen das Erbgut menschlicher Embryonen verändern - ausschließlich zu Forschungszwecken, heißt es.

 Ist der Weg zum Designerbaby nun frei?

Ist der Weg zum Designerbaby nun frei?

Foto: Shutterstock/Chris Harvey

Der Herbst 2016 wird in die Geschichtsbücher der Wissenschaft eingehen. In wenigen Monaten wird eine Gruppe britischer Forscher das Erbgut menschlicher Embryos für Forschungszwecke verändern. Die Wissenschaftler des Francis-Crick-Instituts haben dafür die Genehmigung der britischen Behörden erhalten. Ihr Projekt ist umstritten. Die Befürworter feiern die Experimente in London als Auftakt einer modernen Form der Evolution. Der Mensch ist die erste Spezies, die die Grundlage ihrer Existenz verstehen kann. Er nimmt sein Schicksal in die eigene Hand und beseitigt Schwächen und Krankheiten, die seinen Genen innewohnen. Die Gegner denken eher an Frankenstein. Für sie mutiert die Gentechnik im 21. Jahrhundert zum Werkzeug für die Erschaffung des Kunstmenschen - das unaufhaltsame Streben nach Perfektion, dem das Verständnis für Abweichungen fehlt.

Bisher blieb die Diskussion über den gentechnisch designten Menschen eine sehr theoretische Veranstaltung. Die Kenntnisse über das menschliche Erbgut waren dürftig, die Werkzeuge für Veränderungen in den Genen nur grobschlächtig. Doch die Situation hat sich verändert. Großrechner erweitern Schritt für Schritt das Verständnis um die Rolle einzelner Gene des Menschen.

Seit ein paar Jahren begeistert die Biologen ein mikrobiologisches Verfahren namens CRISPR/Cas9. Damit können die Genforscher einzelne Bausteine in der DNA so präzise bearbeiten, als tauschten sie mit einer Textverarbeitung in einem dicken Buch ein paar Buchstaben aus. Natürlich ist das Wissen um Gene und ihre Veränderung bei weitem nicht vollständig, vielleicht steckt es sogar noch in den Anfängen - aber die Kenntnisse reichen offenbar aus, dass die ersten seriösen Experimente Aussicht auf Erfolg versprechen.

Die britischen Forscher haben mit Frankensteins Ideen nichts am Hut. Kathy Niakan leitet das Projekt. Eine exzellente junge Wissenschaftlerin mit einem Bachelor in englischer Literatur, ausgebildet an den Elite-Universitäten der USA. Erst 2015 ging sie zum neugegründeten Francis-Crick-Institut. Diese Forschungseinrichtung - benannt nach dem Entdecker der Doppelhelix-Struktur der DNA - versteht sich als Platz für Weltklasse-Forschung. Kathy Niakan erforscht die Entwicklung eines Embryos. Das Ausgangsmaterial stammt aus Kliniken für künstliche Befruchtung; die Eltern wollten keinen weiteren Nachwuchs und gaben befruchtete Eizellen für die Wissenschaft frei. Sieben Tage will die Wissenschaftlerin ihre gentechnisch veränderten Studienobjekte im Reagenzglas wachsen lassen. Dann werden die Embryos zerstört. Ein Transfer in die Gebärmutter ist ausdrücklich verboten - er würde wissenschaftlich bei dem Stand der Forschung auch keinen Sinn ergeben.

Bis zum Abbruch des Experiments hat sich die befruchtete Eizelle in etwa 250 Zellen geteilt; Organe sind in diesem frühen Stadium noch nicht ausgebildet. Ein Teil der Zellen wird die Plazenta bilden, aus den anderen entwickelt sich der Fötus. Nach den vorliegenden Informationen des Instituts will Niakan in diesen Prozess eingreifen. Die Wissenschaftler vermuten, dass ein Wachstumsfaktor mit dem Namen OCT4 für die Entwicklung des Fötus von großer Bedeutung ist. In den ersten Experimenten soll das Gen ausgeschaltet werden, das für die Produktion von OCT4 zuständig ist. Vermutlich lassen sich damit Informationen über den Beginn der Embryo-Entwicklung gewinnen. Vereinfacht formuliert geht es um die Frage, warum viele Eizellen sich nicht in die Gebärmutter einnisten können und warum es in den ersten Wochen der Schwangerschaft zu Fehlgeburten kommt. Man wolle verstehen, welche Gene menschliche Embryonen brauchen, um sich erfolgreich zu entwickeln, sagte Niakan.

Mit der Produktion von Designer-Babys hat das nichts zu tun - das Projekt ist reine Grundlagenforschung. Doch in dieser Bewertung liegt kein ethischer Freispruch für das Ansinnen der Wissenschaftler. Verbrauchende Embryonenforschung ist in vielen Ländern aus guten Gründen verboten. Und natürlich wird die Londoner Arbeitsgruppe auch neue Erkenntnisse zur genetischen Manipulation von menschlicher DNA in Eizellen gewinnen. Mit jedem Versuch wird die Technik ein bisschen besser werden. Niakan wird Fehlerquellen aufspüren, und andere Forscher werden davon profitieren. Das liegt im Wesen der Wissenschaft.

Es könnte durchaus sein, dass andere Forscher diesen Fortschritt nutzen. Den Tabubruch gab es schon. Im Frühjahr 2015 versuchte eine chinesische Gruppe eine genetisch bedingte Blutkrankheit durch den Einsatz von CRISPR-Cas9 zu heilen. Das Ergebnis war blamabel, die Zellen starben schnell ab. Nur bei einem Drittel der Embryos war die Genmanipulation überhaupt erfolgreich, aber die Chinesen hatten die DNA zusätzlich an mehreren Stellen unkontrolliert verändert. Viele Forscher wollten danach ein Moratorium, darunter auch die Erfinderin von CRISPR-Cas9, Emmanuelle Charpentier. Diese Debatte um eine freiwillige Selbstbeschränkung ist nicht einmal ein Jahr alt geworden.

Geht es nach den Befürwortern, dann erfreuen sich die ersten Menschen, deren DNA bearbeitet wurde, nicht über Olympische Medaillen als Super-Sportler, sondern über ihre Gesundheit. Bei manchen Krankheiten, die vererbt werden, könnte die Veränderung des Erbguts der einzige Weg für eine Heilung sein. Das ethische Universum dieser Argumentation kennt vor allem eine Einschränkung. Bevor mit menschlichen Zellen gearbeitet werden dürfe, sollten die Verfahren gesichert getestet sein, sagt beispielsweise Shoukhrat Mitalipov. Auf jeden Fall dann, wenn der Embryo später in die Gebärmutter eingenistet werde.

Mitalipov hat eine Therapie entwickelt, die Frauen mit schadhafter DNA in den Mitochondrien, dem Energiekraftwerk der Eizelle, helfen soll. Mitalipov kann die DNA gegen ein Stück einer gesunden Frau austauschen, das wird vermutlich die Überlebenschancen ihrer Kinder verbessern. Seit Oktober 2015 ist die Therapie in Großbritannien gesetzlich geregelt. Es gehe um "sehr begründete Einzelfallentscheidungen", sagt er. Die ersten Kinder könnten in diesem Jahr geboren werden. Sie besitzen ein kleines Stückchen DNA, das nicht von ihren biologischen Eltern stammt.

(rai)
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