Düsseldorf Die längste Nacht und ihre hellen Sterne

Düsseldorf · Heute vollzieht sich am Himmel die Wintersonnenwende, die Tage werden länger. Astronomen warnen vor Lichtverschmutzung.

So wie die langen Sommertage uns zu Leichtsinn verführen, so warten die langen Winternächte mit Schwermut auf. Doch ab heute geht es wieder aufwärts. Wir atmen auf. Freuen uns. Die Nächte werden kürzer, die Tage länger, das Licht nimmt zu. Die Sonne hat ihren tiefsten Stand erreicht. Die Wintersonnenwende markiert den Beginn des astronomischen Winters. Viele Menschen kommen mit der Dunkelheit nicht gut zurecht, sie werden träge, mürrisch. Manche auch depressiv. Mit einer Urangst vor dem Dunkel ist der Mensch ausgestattet, das ist genetisch bedingt und tief im Unterbewusstsein verhaftet. Denn wo kein Licht und Leuchten ist, verliert er seine Orientierungsmarken, den Überblick.

Die Nacht wird indes nicht nur gefürchtet, sondern auch verehrt. Literatur und Kunst preisen vielstimmig und vielfarbig ihre Phänomene in Gedichten, Liedern und Bildern. Vor allem die leuchtenden Sterne, das unermessliche Firmament, das samtene Nachtblau des Himmels, das zur Winterszeit morgens oft in rosarote Wolkenaquarelle zerläuft.

Der Himmel ist als Projektionsfläche der Sitz des Göttlichen. Tausende Meisterwerke der Kunstgeschichte geben davon Zeugnis. Eines der berühmtesten und schönsten ist Michelangelos Deckenfresko "Die Erschaffung der Welt" in der Sixtinischen Kapelle in Rom. Neben den Alten Meistern interessieren sich auch zeitgenössische Künstler wie der Fotograf Wolfgang Tillmans für Himmel und Astronomie. Von Kind an, das erzählt er, ist er ein obsessiver Himmelsgucker, ohne dass ihn jemand auf das Thema gestoßen hatte. Zahlreiche Himmels- und Sternenbilder gehören zu seinem Oeuvre, in dem er über seinen Platz in der Welt nachdenkt und dafür visuelle "Übersetzungen" findet.

Die wahren Himmelsexperten aber sind die Astronomen, die eher nüchtern in den Himmel schauen, um ihn zu erforschen und zu vermessen. Von gewaltigen, unvorstellbaren Dimensionen künden ihre Berechnungen und von Geschwindigkeiten, die wir uns nicht vorstellen können.Sie gemahnen uns auch daran, dass Jahrmilliarden der Erdgeschichte davon geprägt sind, dass die Erde durch ihre rastlose Rotation in Verbindung mit dem lebensspendenden Sonnenlicht Helligkeit und Dunkelheit auf ihrer Oberfläche erzeugt. "Das tut sie auf höchst verlässliche und wunderbar rhythmische Weise", sagt der österreichische Astronom Thomas Posch von der Universität Wien. Das, was wir Tag und Nacht nennen, sei eine unzerstörbare Realität. Nur zu verständlich, dass sie dem Menschen, den Heraklit das lichtverwandte Wesen nannte, als heilig gelte.

"Der Tag-Nacht-Rhythmus ist eine prägende Gegebenheit", sagt Posch, "der sich das Leben fast aller Organismen anzupassen hatte und auch höchst erfolgreich angepasst hat. Es gibt Kröten, die im Licht der Sterne ihre Beute erlegen können. Viele Eulen sind in der Lage, 100-mal schwächere Lichtreize wahrzunehmen als das menschliche Auge. Posch folgert daraus: "Wenn es Eulen interessierte, könnten sie eine Million Sterne am Nachthimmel erblicken, während wir Menschen es auf höchstens 6000 Sterne bringen."

Heute, so die Astronomen, erleben wir ein gewaltiges Ausmaß an "Lichtverschmutzung". Seit vor etwa 100 Jahren in Europa die ersten Außenbeleuchtungsanlagen in Betrieb gegangen sind, versucht die Zivilisation zunehmend, die Nacht zum Tage zu machen: mit Nacht-Skipisten, taghell erleuchteten Fußballfeldern, gleißend hell beleuchteten Autobahnen und Werbetafeln. Das Immer-Grellen-Werden der Nacht führt zu einer hell ins All strahlenden Erde, wie wir es von Satellitenbildern her kennen, die wir faszinierend finden.

Hier auf Erden, wo wir wahrscheinlich nur noch zehn Prozent der Sterne mit dem Auge erkennen können, hat das katastrophale Folgen, denn Licht ist der Rhythmusgeber allen Lebens. Milliarden von Insekten gehen jährlich in tödliche Lichtfallen. Forscher stellen Desorientierung und gestörte Futtersuche im Tierreich fest, sprechen von veränderter Räuber-Beute-Beziehung und von gestörter sozialer Interaktion. Auch beim Menschen werden umweltassoziierte Gesundheitsstörungen wie Schlafprobleme und Energielosigkeit der erhellten Nacht angelastet. Bereits geringe Lichtintensitäten stören die Produktion des lebenswichtigen Hormons Melatonin, das der Körper während der Dunkelheit bildet. Mit Licht kann man Menschen foltern, zunehmend fühlen sich Bürger durch ein Übermaß an künstlicher Beleuchtung gestört, das ergab eine Studie.

Astronomen verteidigen die Dunkelheit, kämpfen gegen Lichtmüll und fordern, Kunstlicht vernünftiger einzusetzen. Sie fördern "Sterneparks", in denen ein unverstellter Blick zum Himmel möglich ist – in Deutschland ist das in der Eifel, der Rhön und in Westhavelland der Fall. Warum wir öfter des Nachts zur Milchstraße mit ihren Milliarden Sternen und zur glühenden Venus hinaufschauen sollten? Auch darin sind sich Wissenschaft und Kunst einig: Wir fühlen uns im Dunkel der Nacht geborgen. Und wir erkennen, dass wir nur ein winzig kleiner Teil des Weltgeschehens sind.

(RP)
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