Nürnberg Neue Methoden bei Mandel-OP

Nürnberg · Gaumenmandeln entzünden sich oder sind zu groß – die HNO-Chirurgie hat neue Antworten.

Die moderne Medizin ist bisweilen genötigt, ihr Können für sich zu behalten. Neuerdings werden manche Engstellen in Herzkranzgefäßen nicht aufgedehnt, obwohl sie früher suspekt erschienen. Nein, sagt der Kardiologe: Wenn die Enge für den Blutfluss keine Bedeutung hat, lass ich sie lieber in Ruhe. Oder ein Krebs – etwa in der Prostata des älteren Mannes – wächst so langsam, dass der Urologe ihn in Frieden lässt und nur beobachtet.

So ähnlich geht es den Gaumenmandeln, denen mancher HNO-Arzt jahrzehntelang schon bei einmaliger Entzündung (Tonsillitis) die Entfernung verordnete. Tonsillektomie (TE) – Entfernung der Gaumenmandeln – stand auf dem Einweisungsschein, und ein Kliniker schnitt die Dinger raus. Meist ging das gut, Nachblutungen waren aber gefürchtet.

Eine einfache OP? Professor Jochen Windfuhr aus Mönchengladbach ist ein zurückhaltender Operateur und gilt als Experte für das Gebiet. Sein Bekenntnis ist lapidar: "Man braucht mehr operative Erfahrung, als viele glauben, um Gaumenmandeln schonend zu entfernen." Windfuhr operiert mit dem OP-Mikroskop: "Da erkenne ich genau die Feinheiten der Anatomie und kann außerdem das Mikroskop perfekt bei der Ausbildung der Assistenzärzte nutzen." In der kommenden Woche wird Windfuhr, HNO-Chefarzt an den Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach, beim HNO-Kongress in Nürnberg über das Thema sprechen – über Schwierigkeiten und Gefahren der TE.

Die Gaumenmandeln sind bei Kindern für das Immunsystem überaus nützlich, ihnen obliegt eine Wächterfunktion; im Kampf gegen Keime sind sie eine erste Barriere. Andererseits kann eine von etlichen Streptokokken-Infektionen zerkraterte Mandel ihre Funktion nicht mehr richtig ausüben und selbst zum Keimherd werden. "Aber bevor sie wirklich heraus müssen, sollte man sich den Schritt zum Schnitt reiflich überlegen", rät Windfuhr. Zuweilen ist es sinnvoller, die konservative Therapie auszureizen, denn manche Frage ist vor einer OP zu klären: Hat das Kind je ein Antibiotikum bekommen? Hat es die Tabletten oder den Saft regelmäßig und lange genug genommen? Und hat es überhaupt eine behandlungsbedürftige Tonsillitis gehabt?

Auch bei Erwachsenen kommt es vor, dass ihnen die Mandeln entfernt werden müssen. "Die haben im Gegensatz zu Kindern den Vorteil, dass sie ihren Leidensdruck besser artikulieren und ihren Erkrankungsweg genauer skizzieren können", berichtet Windfuhr. Bei Kindern hingegen seien es nicht selten die besorgten Mütter, die die Unterschiede zwischen heftigen Infektionen und leichtem Kratzen im Hals nicht so leicht auseinanderhalten können. "Die rufen dann aus verständlicher Sorge nach der Entfernung des Keimherds. Oft kann ich sie überzeugen, dass erst andere Therapiemöglichkeiten genutzt werden sollten ."

Windfuhr stellt auch fest, dass Gaumenmandeln nicht immer sofort entfernt werden müssen. "Diese Einstellung stammt aus einer Zeit, als es noch keine Antibiotika gab und die Folgen ständiger Mandelentzündungen wie Herzklappenschäden und rheumatische und Nierenkrankheiten gefürchtet waren." Heute spielen diese Folgekrankheiten kaum noch eine Rolle. "Viele HNO-Chirurgen sind längst zurückhaltender geworden, wenn es um die TE geht. Die Operationszahlen gehen in Deutschland eindeutig zurück", sagt Windfuhr.

Dies liegt auch daran, dass immer häufiger eine andere Operationstechnik angewandt wird, bei der die Mandeln nur teilweise entfernt werden. Dieser Teilschnitt heißt Tonsillotomie – sie ist ein gravierendes Thema für HNO-Ärzte von heute. Zu den Auswüchsen der Moderne zählt nämlich, dass immer mehr Kinder stark vergrößerte Mandeln im Rachen tragen, die sie tagsüber, aber vor allem nachts in der Atmung behindern. "Diese Kinder schnarchen nachts, sind tagsüber müde – und wenn man ihnen in den Hals guckt, sieht man riesige Gaumenmandeln", sagt Windfuhr. Da sei es medizinisch notwendig, den Eltern eine Teilentfernung vorzuschlagen. In Schweden sei man damit seit dem Jahr 2000 europaweit führend, "aber auch in Deutschland nimmt die Zahl der Tonsillotomien zu", so Windfuhr.

"Hier überwinden wir allmählich eine vererbte, aber irrige Theorie, dass ein Schnitt durch die Mandel oft Abszesse produziert. Das stimmt gar nicht", weiß Windfuhr. "Der Vorteil der Tonsillotomie ist, dass die Kapsel stehen bleibt, mit der die Mandel an der Gaumenwandmuskulatur anliegt. Ihr Verbleiben gewährt Schutz vor Schmerz und Schutz vor Blutung." Windfuhr operiert übrigens lieber mit der Präzisions-Schere als mit dem Laser: "Mit dieser Technik haben wir ausgezeichnete Erfahrungen machen können und sehen keine Nachteile für die Patienten. Es gibt nun mal verschiedene Wege zum Erfolg."

(RP)
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