Spektakuläre Weltraummission Raumlabor "Philae" auf Kurs - "einfach erstaunlich, wunderbar"

Köln · Das etwa kühlschrankgroße Himmelslabor "Philae" sinkt wie geplant in Richtung des Kometen. Gegen 17 Uhr soll es auf dem Kometen "Tschuri" landen. Die Weltraumforscher sind voller Hoffnung. Sorge macht dem Kontrollzentrum ein defektes Landesystem. Das Weltraum-Spektakel lässt sich live im Internet verfolgen.

Die letzten Bilder der "Rosetta" vor der Landung
10 Bilder

Die letzten Bilder der "Rosetta" vor der Landung

10 Bilder
Foto: ap

In diesen Stunden können die Weltraum-Forscher nur zuschauen und hoffen, dass alles gut geht. Die Anspannung ist groß. Vor dem Start des Landemanövers hatte sich ein für die Landung wichtiges Bauteil verabschiedet. Das sogenannte Active Descent System sei ausgefallen, meldete die ESA.

Der Mechanismus bedient sich düsenähnlicher Schubkraft und sollte verhindern, dass das Landegerät nach dem Aufsetzen zurück ins All springt. Nun müsse man sich eben auf Eisschrauben und Harpunen verlassen, um das Landegerät auf dem Kometen zu fixieren, sagte der zuständige Ingenieur Stephan Ulamec. "Wir werden ein bisschen Glück brauchen, dass es nicht auf einem Felsbrocken oder einem steilen Hang landet."

Mehr als zehn Jahre haben die Wissenschaftler auf diesen Moment gewartet. Jetzt können sie nur noch hoffen, dass ihre Hoffnungen sich erfüllen. Sechs Milliarden Kilometer war die Raumsonde Rosetta bis zum Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko unterwegs. Das Schwierigste, nämlich die Landung, steht in wenigen Stunden bevor: Am Nachmittag wollen die Ingenieure der europäischen Raumfahrtagentur ESA das kleine Labor Philae auf dem Himmelskörper absetzen. Das wäre eine Premiere, die Weltraumforscher gern mit der Mondlandung vergleichen.

SEPARATION CONFIRMED! Safe journey @Philae2014! pic.twitter.com/dsM5Xaedzp

Der Reiz der Kometen liegt in ihrem Alter: 4,6 Milliarden Jahre. Kometen zählen zu den ältesten, weitgehend unveränderten Überbleibseln aus der Zeit, als das Sonnensystem entstand. Philae soll Löcher in den Kometen bohren, die Oberfläche untersuchen und Informationen über die Substanzen des Kometen liefern, den die Forscher "Tschuri" nennen.

Zwischen 8 und 9 Uhr morgens mussten die Ingenieure entscheiden, ob sie Philae von der Trägersonde Rosetta trennen wollen. In den letzten Stunden zuvor mussten sie die jüngsten Daten auswerten, die Rosetta über den Zustand der Sonde und des Landegeräts zur Erde funkte. Jetzt ist der riskante Landeversuch im vollen Gange. Das Manöver soll etwa sieben Stunden dauern. Im Internet lässt es sich live über einen Stream verfolgen.

Rosetta kreist in 22 Kilometer Entfernung um den Kometen. Nach dem Befehl zur Abkopplung von Philae hilft nur noch Warten. Das 110 Kilogramm schwere Labor soll sich möglichst langsam bewegen, damit es den Aufprall unbeschädigt übersteht. Nach der zehnjährigen Reise wird die Annäherung an den Kometen sieben quälende Stunden dauern. In den ersten zwei Stunden des Abstiegs werden die Techniker keinen Kontakt zu ihrem Schützling haben, erst dann wird Philae erste Signale senden. Es ist die letzte Chance, Einfluss zu nehmen, falls das Landegestell nicht ausgefahren oder die Harpunen nicht aktiviert wurden.

Dann soll Philae mit etwa 3,3 Stundenkilometer auf der Oberfläche aufsetzen. Nach dem Kontakt werden automatisch zwei Harpunen abgeschossen; an den Füßen drehen sich Schrauben in den Untergrund. Wenn Philae in der richtigen Position gelandet ist, werden sie die Sonde im Boden verankern. Um 16:34 Uhr soll das Labor das Landesignal senden, 28 Minuten später könnte es im Kontrollzentrum in Köln einen Riesenjubel auslösen. So ist es geplant.

 Ein Größenvergleich: Das Bild zeigt den Zielkometen Tschurjumow-Gerassimenko über einem Luftbild von Darmstadt.

Ein Größenvergleich: Das Bild zeigt den Zielkometen Tschurjumow-Gerassimenko über einem Luftbild von Darmstadt.

Foto: dpa, mro hpl

Doch die Liste der Unsicherheiten ist lang. Durch die große Entfernung zur Erde können die Ingenieure das kleine Landegerät nämlich nur mit einer Genauigkeit von 500 Metern steuern. Die Forscher benötigten also ein größeres Terrain, das die Hoffnung auf ein unfallfreies Aufsetzen verspricht. Trotz aller Untersuchungen können sie dabei nur spekulieren. Es kann sein, dass die Oberfläche des Kometen aus einer Art Staubschicht aus weichem Eis besteht. "Philae" würde dort versinken, die Harpunen könnten das Labor nicht sicher festzurren.

Oder das dreibeinige Landegerät stürzt auf einen Stein oder rollt umher: 93 solcher Stolperfallen haben die Forscher in der Terrassenstruktur des Landegebiets auf den HD-Fotos ausgemacht. Die Oberfläche des Kometens ist sehr uneinheitlich. Die Karte zeigt Steilhänge, Vertiefungen, Krater, Brocken oder parallel verlaufende Rillen, deren Herkunft niemand derzeit erklären kann. Mehr als 30 Grad Gefälle verträgt Philae nicht, dann kippt das Labor um. Ein weiteres Problem liegt in der Energieversorgung. Das Sonnenlicht muss nach der Landung die Solarzellen erreichen, sonst ist bald Funkstille.

Doch selbst, wenn Philae nicht mehr antwortet, bleibt die Rosetta-Mission ein Erfolg. Noch nie war ein vom Menschen ausgesandter Begleiter einem Kometen so nah. Rosetta wird "Tschuri" in jedem Fall noch 18 Monate begleiten. Der Komet nähert sich dabei der Sonne und wird aktiv. Denn ohne Lichteinfall sind diese Himmelskörper im kalten Weltall eine gefrorene Masse aus Wasser, Staub und Dreck. Die Wärme lässt das Eis verdampfen, der Kometenschweif entsteht.

Schon heute können die Forscher ausgeprägte Staubfontänen beobachten. Vermutlich wird "Tschuri" dabei auseinanderbrechen. Denn der Komet, der während der Beobachtung von der Erde noch wie eine Kartoffel erschien, besitzt bei näherer Betrachtung die Form eines Badeentchens mit Körper, dünnem Hals und Kopf.

Das müssen Sie zur "Rosetta"-Mission wissen
Infos

Das müssen Sie zur "Rosetta"-Mission wissen

Infos
Foto: dpa, mro hpl

Mit der Landung könnte Philae völlig neue wissenschaftliche Erkenntnisse liefern. Die Forscher vermuten, dass in den Kometen nicht nur große Mengen Wasser, sondern auch Aminosäuren existieren, jene Substanzen aus denen die DNA besteht. Nach der derzeitigen Theorie zur Entstehung des Sonnensystems prasselte in den ersten 700 Millionen Jahren auf die jungen Planeten ständig ein Regen aus Kometen nieder. Die Erde war bei ihrer Entstehung vermutlich ein heißer Ball, dessen Wasseranteil komplett verdampft sein müsste. Die Forscher vermuten, dass die Kometen mit dem gefrorenen Eis das Wasser zurückbrachten.

(RP AFP dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort