Zwei Jahrzehnte sind vergangen, seit 1986 der Reaktor 4 des ukrainischen Atomkraftwerks Tschernobyl explodierte und die dabei freigesetzte radioaktive Wolke weite Teile Europas in Schrecken versetzte. Doch während in Deutschland der Schrecken mittlerweile kaum mehr als eine ferne Erinnerung ist, hat das Leiden der Menschen in den atomar verseuchten Gebieten in der Ukraine, Russland und Weißrussland noch lange kein Ende gefunden.
Wie viele der Menschen, die nach dem Atomunfall in Tschernobyl bei Aufräumarbeiten halfen, gestorben sind, weiß keiner.
Die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) kam zu dem Ergebnis, dass zwischen 50.000 und 100.000 Aufräumarbeiter gestorben sind.
540.000 bis 900.000 seien Invaliden geworden.
Hier trauern Männer, die ebenfalls an den aufräumarbeiten beteiligt waren, um ihre Kameraden. "Viele von meinen Freunden sind schon tot", erzählt beispielsweise der 64-jährige Piotr.
Nur vier Kilometer vom Reaktor entfernt lebten in der Industriestadt Pripjat rund 50.000 Menschen.
Am Mittag des 27. April befahlen die Behörden die Evakuierung von Pripjat - als reine Vorsichtsmaßnahme und lediglich für drei Tage, hieß es zunächst. Was in der Nacht geschehen war, erfuhren sie nicht. Sie kehrten nie wieder in ihre Wohnungen zurück: Die radioaktive Strahlung ist zu hoch, als dass dort noch jemand leben könnte. Schritt für Schritt werden später alle Anwohner im Umkreis von 30 Kilometern in Sicherheit gebracht.
Nach dem Unglück wurde der Reaktorblock Nummer 4 in einen so genannten Sarkophag aus Beton eingeschlossen. Im Vordergrund sind Wohnhäuser der nur rund drei Kilometer entfernten ehemaligen Arbeiterwohnstadt Pripyat zu sehen.
Die Häuser des Ortes Tschernobyl, etwa 12 Kilometer vom Kernkraftwerk entfernt, sind verfallen.
Doch obwohl die Zone immer noch stark radioaktiv verseucht ist, haben sich über 300 vor allem ältere Menschen wieder dort angesiedelt.
Sie leben wie die 71-jährige Maria Urupova illegal in der Nähe des Atomkraftwerks und bauen in ihren Gärten Lebensmittel an.
Ebenso wie Maria Urupova sind auch Maria Semenyuk und ihr Mann Iwan zurückgekehrt.
Sie ernähren sich unter anderem von den Kartoffeln, die sie selbst anbauen - auf dem wohl meist verseuchten Boden der Welt.
Besonders betroffen von der Katastrophe sind auch 20 Jahre nach dem GAU die Kinder. Der Caritasverband für das Bistum Münster spricht von Millionen Opfern unter Minderjährigen. "Auch nach 20 Jahren treten plötzlich Krankheiten wie Nierenkrebs oder Grüner Star auf", erzählt Chefarzt Anatoly Proschin.
Zu den gesundheitlichen Folgen zählten Tumoren, Erkrankungen des Magen-Darm-Trakt und der Atemwege. Schilddrüsenkrebs sei die häufigste Tumorerkrankung unter den Minderjährigen. Darüber hinaus leiden 70 Prozent der Kinder in der Ukraine laut Caritas unter chronischer Immunschwäche.
Viele Mütter verbringen einen Großteil ihrer Zeit mit ihren Kindern in Krankenhäusern.
Allein in der Region um Tschernobyl wurden zehntausende Kinder mit genetischen Schäden geboren. Wegen Erbgutveränderungen sind die Folgen für die kommenden Generationen noch nicht absehbar.
Die siebenjährige Maria hat Krebs...
... sie sitzt auf ihrem Bett im Kinderkrankenhaus in Kiew.
Viele Menschen, die in Tschernobyl leben oder lebten, sind von Schilddrüsenkrebs betroffen, ebenso von Leukämie und Lungenkrebs. Hinzu kommen schwere Erkrankungen ohne bösartige Tumoren.
In der Ukraine ist die Lebenserwartung seit der Katastrophe bei Männern um vier Prozent, bei Frauen um eineinhalb Prozent gesunken, sagt der ehemalige ukrainische Gesundheitsminister Anatoly Romanenko. Männer werden hier im Schnitt nur noch 65 Jahre alt, Frauen 69.