Baustelle Sekundarschule

Nach den Sommerferien bekommt NRW eine neue Schulform. So sieht es der "Schulfrieden" vor. Den stellt im Kern auch niemand infrage – Stolpersteine bei der Umstellung gibt es trotzdem reichlich.

Düsseldorf Knapp fünf Wochen noch – dann startet Nordrhein-Westfalen in ein neues schulpolitisches Zeitalter. Mit dem Unterrichtsbeginn im Schuljahr 2012/13 nehmen 42 Sekundarschulen ihre Tätigkeit auf. In den Sekundarschulen wird länger – mindestens bis zur sechsten Klasse – gemeinsam gelernt; danach kann nach Bildungsgängen differenziert werden. Sekundarschulen haben keine Oberstufe; sie kooperieren allerdings fest mit einem Gymnasium, einem Berufskolleg oder einer Gesamtschule.

Zunächst werden rund 4000 Schüler an den neuen Schulen unterrichtet, allesamt Fünftklässler. Andere Stufen gibt es noch nicht, weil die Schulen schrittweise aufgebaut werden. Kein Schüler aus höheren Klassen wechselt also zum Sommer an eine Sekundarschule.

Der Kern des 2011er "Schulfriedens" von Rot-Grün und CDU – Einführung der Sekundarschule, faktisches Aus der Hauptschule, dafür Ausweitung der Garantie des gegliederten Schulsystems und zwölf Jahre lang keine Änderungen an der Schulstruktur – ist weiter intakt. Stolpersteine gibt es trotzdem. Fünf Beispiele.

Kosten Auf viele Kommunen kommen Um-, An- und Neubauten zu. "Größter Kostenpunkt ist meist der Ganztag", sagt Ina Zagatowski vom Städte- und Gemeindebund NRW – die Sekundarschulen sollen grundsätzlich als Ganztagsschulen geführt werden. Aber auch pädagogische Konzepte, etwa Unterricht in Kleingruppen, fordern mehr Raum.

In Dinslaken etwa startet zum neuen Schuljahr eine vierzügige Sekundarschule. Rund sieben Millionen Euro hat die Stadt dafür an Kosten avisiert – allerdings über mehrere Jahre verteilt. Nicht alle können sich solche Investitionen leisten. Wermelskirchen zum Beispiel, das für 2013 eine Sekundarschule plant, geht davon aus, dass die nötigen Umbauten rund 15 Millionen Euro kosten würden. Ein Neubau wird mit dem Doppelten veranschlagt. Das aber geht nicht so einfach – Wermelskirchen muss sich, wie jede dritte Kommune in NRW, wegen maroder Finanzen ein "Haushaltssicherungskonzept" genehmigen lassen. Eine Lösung gibt es noch nicht.

Lehrerfortbildung In der neuen Schule sind die Lerngruppen in sich sehr unterschiedlich. Schließlich lernen alle zunächst gemeinsam, und die meisten Sekundarschulen wollen das nach Klasse 6 fortsetzen. Das bedeutet neue Herausforderungen für die mehreren Hundert Lehrer. Allerdings: "Die Fortbildung ist immer noch eine Baustelle", sagt Michael Schulte von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. "Nicht alle Sekundarschul-Lehrer werden mit Unterrichtsbeginn eine Fortbildung erhalten haben." Das sei freilich auch noch nicht unbedingt erforderlich. Schultes Forderung lautet aber: "Im ersten Jahr muss noch was kommen."

Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) hatte im März ein "maßgeschneidertes Fortbildungspaket" versprochen, "damit die Einführung der neuen Schulform gelingt". Bis zu den Sommerferien sollten die Kollegen vorbereitet werden. Zahlen zur Durchführung lägen noch nicht vor, heißt es derzeit im Ministerium.

Personalvertretung Das Ministerium hat die Personalvertretung für Sekundarschulen den Gesamtschul-Personalräten zugewiesen. "Es gibt viele Gemeinsamkeiten, weil es sich um Schulformen des längeren gemeinsamen Lernens handelt", begründet Löhrmann. Daher habe man die Aufsicht – und damit die Personalvertretung – bei den Gesamtschulen angesiedelt.

Dem Verband Lehrer NRW, der vor allem Realschulkollegen vertritt, geht das gegen den Strich. Die Vorsitzende Brigitte Balbach hätte Haupt- und Realschulen gern beteiligt gesehen. "So ist es ein deutliches Zeichen, dass man die integrierten Systeme bevorzugt", sagt Balbach. Die Ansiedlung bei den Gesamtschulen sei vorläufig, sagt Löhrmann: "Vor einer abschließenden Entscheidung werden wir den Entwicklungsprozess der Sekundarschulen abwarten."

Unterrichtsform Sekundarschulen können kooperativ, also mit getrennten Bildungsgängen, oder integriert, mit gemeinsamem Unterricht auch nach Klasse 6, geführt werden. Auch ein teilintegriertes Modell mit Differenzierung nur in Hauptfächern ist möglich. Nur zwei der 42 neuen Schulen starten allerdings kooperativ, alle anderen teil- oder vollintegriert. "Wir müssen aufpassen, dass aus den Sekundarschulen nicht Gesamtschulen light werden", sagt deshalb Balbach. Die Berater, die sich die Kommunen ins Haus holten, seien oft voreingenommen. "Unfair" nennt die Ministerin diese Klage: "Der Vorwurf ist aus der Luft gegriffen und soll nur davon ablenken, dass die Sekundarschule ein Erfolgsmodell ist. Die Beratung erfolgt unvoreingenommen und objektiv." Zudem seien viele Schulen für kooperative Modelle zu klein.

Das Übergewicht der integrierten Variante macht auch Peter Silbernagel Sorgen. Der Chef des Philologenverbands NRW sagt: "Der kooperative Weg wird oft nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Stattdessen lassen sich viele Kommunalpolitiker vom Schlagwort des längeren gemeinsamen Lernens beeindrucken." Silbernagel fordert mehr "Steuerung im richtigen Sinne" durch das Ministerium. Dort freilich steht man auf dem Standpunkt, die Kommunen selbst und den Markt, also das Elternwahlverhalten, über die Ausgestaltung vor Ort entscheiden zu lassen.

Gründungsboom Das Ministerium rechnet bis 2015 mit 200 Sekundarschulen in NRW. Silbernagel sieht darin ein Problem: "Ohne pädagogische Veranlassung machen viele Kommunen auch stabilen Haupt- und Realschulen den Garaus. Das ist unverantwortlich." Silbernagel spricht von "Panik" der Kommunen, die ihren Nachbargemeinden nicht hinterherhinken wollten: "Das geht mir viel zu schnell." Beim Städte- und Gemeindebund stößt der Vorwurf freilich auf Unverständnis: "Warum sollten sich Kommunen diese ganze Arbeit machen, wenn sie nicht nötig wäre?", fragt Zagatowski. "Die meisten haben wirklich andere Sorgen."

(RP)
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