Analyse einer Weltreligion Der Islam braucht Reformen

Düsseldorf · Der Islam ist eine rückwärtsgewandte, gewaltverherrlichende Religion, sagt der Publizist Hamed Abdel-Samad. Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide widerspricht. Doch beide sind sich einig: Es bedarf Veränderungen.

Analyse einer Weltreligion: Der Islam braucht Reformen
Foto: ferl

Islamistische Terroranschläge haben die jüngste monotheistische Religion unter Generalverdacht gestellt: Gewalt, Verachtung und Ignoranz dominiere im Innern des Islam, der deshalb nicht in der Lage sei, sich der Moderne anzupassen. Ist der Islam noch zu retten?

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Zwei der bedeutendsten Islamkenner Deutschlands haben diese Frage ins Zentrum und auf den Titel ihres neuen Buches gestellt, das am Dienstag erscheint. Der eine Autor ist Hamed Abdel-Samad, deutsch-ägyptischer Publizist, der hierzulande vor allem für seine islamkritischen Werke bekannt ist. Der zweite Autor ist Mouhanad Khorchide, Islamwissenschaftler an der Universität Münster und dort Leiter des Zentrums für islamische Theologie. In 95 Thesen (Luther lässt grüßen) streiten die beiden Experten in ihrem Buch über die Zukunft des Islam, seine Reformierbarkeit, über den Koran und Mohammed, über Frauenrechte und ein mögliches Islamgesetz. Es ist eine Streitschrift, die von Anfang an klarmacht: Der Islam lässt sich in keine Form gießen.

Für Khorchide ist der Islam, gerade weil er universell sein will, auf Reformen angewiesen, wenn er im Leben der Muslime aktuell bleiben will. Abdel-Samad kritisiert derweil, der Islam habe sich mit mehreren Mauern vor Reformversuchen abgeschottet. Eine dieser Mauern sei der Koran. Er sei ein offener Supermarkt, in dem für jeden etwas dabei sei. Damit spricht Abdel-Samad einen wichtigen Punkt an: Der Koran ist zwar formal das Wort Gottes, aber erst in der Lesart der Menschen entfaltet er diese Kraft - oder eben auch nicht.

Die Auslegung ist der Knackpunkt

Es gibt Kapitel (Suren) im Koran, die davon sprechen, Ungläubige zu maßregeln, notfalls mit Gewalt. Gleichzeitig ist die heilige Schrift aber geprägt von der Barmherzigkeit. Man müsse den Koran eben nicht als unantastbar lesen, wie es die Fundamentalisten tun, meint Khorchide. Er nennt es das "Ping-Pong-Problem": Jene, die den Islam verteidigen, sein Gutes offenbaren wollen, beziehen sich oft nur auf die friedlichen und poetischen Suren im Koran. Kritiker picken sich stattdessen das Böse heraus, das sie in der Schrift finden. Die Islamisten rechtfertigen so sogar ihren heiligen Krieg, ihren "Dschihad".

Egal wie man den Koran auslegt, man muss stets seine Entstehungsgeschichte berücksichtigen, denn die heilige islamische Schrift ist nicht an einem Tag geschrieben worden. Der Koran entstand über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten (610-632). Mohammed, der Prophet, dem Gott den gesamten Text offenbart haben soll, durchlitt in jener Zeit Höhen und Tiefen. Er war nicht nur Prophet, sondern später auch politischer Führer in der arabischen Stadt Medina. "Alle Suren, die Krieg und Gewalt verherrlichen und dazu aufrufen, gegen die Ungläubigen vorzugehen, stammen aus dieser Zeit", schreibt Abdel-Samad. Der Koran zeugt damit auch von der inneren Zerrissenheit Mohammeds. Dementsprechend finden sich zahlreiche einander widersprechende Verse.

Viele Verse widersprechen sich

Die politische Medina-Phase darf aber nicht als Rechtfertigung dafür herangezogen werden, den Islam auch politisch in die Welt zu tragen. Leider erleben wir genau das täglich: Das von Mohammed geschaffene arabisch-islamische Staatsgebilde gilt bis heute für viele Muslime als Idealbild eines islamischen Staats, der mit der vom Westen bevorzugten Demokratie allerdings nicht in Einklang zu bringen ist. "Wer zu Reformen im Islam auffordert, will nur dem Westen gefallen", sei das Hauptargument vieler Reformverweigerer, sagt Khorchide. Er macht eine "Westophobie" unter den konservativen Muslimen aus. Abdel-Samad meint dazu: "Letztlich spielt der Westen heute die Rolle, die die Muslime vor 1000 Jahren gespielt haben. Er ist immer mächtiger geworden und hat - nach muslimischer Lesart - dadurch die erfolgreiche Fortsetzung des göttlichen Plans von einem Sieg des Islam über alle Kulturen vereitelt." Reformen werden also nicht als Möglichkeit zur Veränderung wahrgenommen, sondern als Verschwörung.

Die Folge: Viele Muslime, vor allem jene in der Diaspora, bleiben unter sich. Sie grenzen sich von der nicht-islamischen Gesellschaft ab. In der Fremde beharrten die Muslime häufig auf alten Traditionen und lebten in einer anderen Zeitdimension als die Menschen in ihrem Gastland, schreibt Khorchide. Das Phänomen ist hierzulande unter Deutschtürken zu beobachten, von denen einige beim jüngsten Referendum in der Türkei für Erdogans Präsidialsystem gestimmt haben.

"Deutschland braucht ein Islamgesetz"

Letzten Endes dürften Muslime nicht vor die Wahl gestellt werden, entweder Muslime oder Deutsche beziehungsweise Europäer zu sein, findet Khorchide: "Ein Sowohl-als-auch muss das anzustrebende Ziel sein." Während der Theologe die Gesellschaft und die Muslime in die Pflicht nimmt, Reformen anzustoßen, sollte laut Abdel-Samad vielmehr der Staat eingreifen. Dieser dürfe nicht darauf warten, bis Muslime miteinander eine Lösung für das Radikalisierungsproblem und den Umgang mit Frauen, Säkularismus und Demokratie gefunden haben. Deutschland brauche ein Islamgesetz - nach dem Vorbild Österreichs, nur mutiger.

Welche Sicht ist nun zielführend? Den islamischen Gläubigen bewusst machen, was wirklich zum Praktizieren eines modernen Islam gehört? Oder den Islam und den Koran, auf dem er fußt, politisch entmachten? Beides zugleich sind ehrgeizige Unterfangen. Beide sind notwendig. In jedem Fall muss es einen neuen Diskurs über den Islam geben - ohne Vorurteile. Die 95 Thesen von Khorchide und Abdel-Samad sind ein wichtiger Schritt dorthin. Es bräuchte jetzt noch einen Luther, der sie an eine Moscheetür schlägt.

Hamed Abdel-Samad, Mouhanad Khorchide: Ist der Islam noch zu retten?: Eine Streitschrift in 95 Thesen, Droemer, 304 S., 19,99 Euro.

(jaco)
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