Analyse Eine Zensur findet nicht statt

Düsseldorf · Die Pressefreiheit steht unter Beschuss – durch Autokraten und Autoritäre, Populisten und Propaganda im Netz. Dabei sind gerade die unruhigen Zeiten besonders gute Zeiten für guten Journalismus.

 Facebook-Logo auf Smartphone. (Symbolbild)

Facebook-Logo auf Smartphone. (Symbolbild)

Foto: dpa

Die Pressefreiheit steht unter Beschuss — durch Autokraten und Autoritäre, Populisten und Propaganda im Netz. Dabei sind gerade die unruhigen Zeiten besonders gute Zeiten für guten Journalismus.

"Der lügt ja wie gedruckt." Ein altes Sprichwort. Es stammt aus einer Zeit, in der Druckerzeugnissen, bei deren Überbringung der Verfasser nicht anwesend war, nicht vertraut wurde. Der Ausspruch ist rund 500 Jahre alt. Doch auch heute glauben noch (zu viele) Menschen, dass Zeitungen, ob gedruckt oder digital, nicht die Wahrheit sagen, Fakten verschweigen.

Mit der Elitenverdrossenheit kam die Frage der Glaubwürdigkeit der Medien auf. Lügenpresse, schreien die Rechten. "Die da oben stecken alle unter einer Decke", heißt es auch im Bürgertum, wenn gegen ein diffuses Sammelsurium aus Journalisten, Politikern und Wirtschaftsführern gewettert wird. Manch einer wendet sich ab, nutzt Facebook & Co. als einzig relevante Medien. Aufklärung per Algorithmus. Das muss reichen.

Eine gefährliche Entwicklung. Regionale Tageszeitungen wie die Rheinische Post landen in den Ranglisten der vertrauenswürdigen Medien zwar noch weit oben. Laut einer aktuellen Infratest-Umfrage halten 65 Prozent der Befragten die Tageszeitung für glaubwürdig. Aber was sagen die 35 Prozent? Laut einer Studie der Universität Mainz hat jeder fünfte Deutsche gar kein Vertrauen mehr in die Medien, 13 Prozentpunkte mehr als im Jahr 1999.

Eine gesunde Skepsis gegenüber Politik und Medien sei in einer Demokratie wünschenswert, sagt Studienleiter Oliver Quiring. Doch bereitet ihm die Polarisierung Sorgen. Heikel sei, dass einige wenige "das System" nicht nur hinterfragten, sondern grundsätzlich infrage stellten. Wer aber die Systemfrage stellt, legt die Axt an die Demokratie. Presse- und Meinungsfreiheit sind das Lebenselixier einer freien Gesellschaft.

Wer das nicht im Grundgesetz nachlesen will, kann dieses Zitat des französischen Journalisten Alain Peyrefitte nehmen: "Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen, damit gewisse Leute nicht die Freiheit haben, alles zu tun." Medien kontrollieren die Mächtigen. Im Idealfall. Wenn aber das Vertrauen in die Medien sinkt, erlahmt auch diese Kontrollfunktion.

Kritik an den Medien gab es natürlich schon immer. Teils zu Recht. Überheblichkeit und ein Mangel an Selbstkritik von Journalisten dürften das Misstrauen verschärft haben. Lückenhafte Recherche, ideologisch gefärbte Berichterstattung oder der fehlende Mut, sich zu korrigieren, wirken fatal. Heute geht es aber um mehr.

Die Glaubwürdigkeitsdebatte fällt in eine Zeit, in der die Presse härter bekämpft wird als je zuvor. Nach Angaben der Organisation "Reporter ohne Grenzen" hat sich die Situation für Journalisten in 120 von 180 Ländern verschlechtert, auch in Demokratien. Eine Zensur findet längst statt, in direkter Nachbarschaft. Ungarn und Polen schränken die Pressefreiheit ein. Der US-Präsident, der selbst ernannte Führer der freien Welt, zieht gegen Journalisten als "Feinde der Nation" zu Felde und posaunt über den Nachrichtendienst Twitter "alternative Fakten" in die Welt. Das Nato-Mitglied Türkei gilt als größtes Gefängnis für Journalisten. Und in Deutschland steigt die Zahl der Angriffe auf Journalisten, viele Bürger lässt das eher kalt.

All das sind keine Kleinigkeiten. Jeder Versuch der Diskreditierung, jede Form der Einschränkung, ist ein Angriff auf die Demokratie. Autokraten versuchen gezielt, ihren Gesellschaften den Sauerstoff Pressefreiheit zu entziehen. Erst werden Arbeitsbedingungen erschwert und Zugänge verweigert, dann Gesetze angepasst, Ermittlungen angestoßen. Kein Big Bang, aber die Temperatur steigt stetig.

Meist ist der Kampf gegen den Terrorismus das Vehikel, um missliebige Journalisten loszuwerden. Wenn ein Reporter im terrornahen Milieu recherchiert, heißt es: Unterstützung des Terrorismus. "Öffentliche Kritik schafft Kontrolle über die kritisierten Zustände", hat Bundespräsident Joachim Gauck gesagt. Autokraten hassen nichts mehr als (öffentliche) Kritik. Ist die Lage also hoffnungslos? Nein. Es sind eigentlich gute Zeiten für Journalismus.

Zunächst hat die digitale Vielfalt der Verbreitungswege die Relevanz und die Reichweite der Medien erhöht. Der Journalismus hat sich breit gemacht. Er kommt live oder als Video daher, er liest sich gut auf dem Smartphone und auf Papier. Hinzu kommt: die Polarisierung und Politisierung erhöhen den Informationsbedarf. Während sich die einen in ihrer Filterblase einnisten, sehnen sich andere nach Einordnung und Erklärung. Gerade weil die Welt verrückt spielt. Seit Trump US-Präsident ist, haben die beiden großen Zeitungen des Landes, die "New York Times" und die "Washington Post", Hunderttausende neuer Abonnenten gewonnen.

Sie investieren nun in die Redaktionen, verstehen sich als Bollwerk gegen Missstände. Ihr Slogan: "Die Demokratie stirbt im Dunkeln." Die freien Medien als Lichtmacher, die mit ihren grellen Scheinwerfern die Verhältnisse auf der politischen Bühne ausleuchten. Je mehr auch hierzulande in sozialen Netzwerken Hass und Halbwahrheiten verbreitet werden, desto größer ist der Wunsch nach Differenzierung. Eine große Chance für Journalismus! Im aufgewühlten Informationsmeer ist guter Journalismus die Insel der Reflexion. Warum passiert etwas? Wie war es wirklich? Statt nur "Wer ist schuld?".

Voraussetzung ist, dass wir Medien nicht selbst das Vertrauen der Leser beschädigen. Zwei wichtige Grundsätze müssen in den Fokus. Erstens: Die Presse muss frei sein, aber vor allem auch fair. Zweitens: Wir wissen nicht alles und liegen auch falsch. Aber wir recherchieren nach bestem Wissen und Gewissen. Und wir korrigieren uns, wenn wir falsch liegen. Sprechen wir mit allen Beteiligten.

Hören wir denen zu, die nicht bei Facebook als Freunde vorgeschlagen oder schon immer unsere Ansprechpartner waren. Verlassen wir unsere publizistischen Vorgärten. Bringen wir Themen auf die Agenda, die nichts mit unserem sozialen Umfeld oder persönlichen Wünschen für die Welt zu tun haben. Dann wird unser Journalismus nicht nur besser, sondern auch glaubwürdiger. Lassen wir den Blick hinter die Kulissen zu, berichten wir, wie wir recherchiert haben.

Und: Kritisieren wir, aber lassen wir die Kampagne sein. Zugegeben, all das gelingt nicht immer. Es muss aber der Anspruch bleiben. Denn der beste Journalismus ist unparteiisch und unverdächtig. Die Mainzer Studie hält als Hinweis für Medienmacher die Begriffe Geduld und Erklärungswille parat. Denn der Wert von Informationen, die überprüft sind, steigt angesichts der Flut von Neuigkeiten, die verzerrt, einseitig oder gar absichtlich verfälscht im Internet kursieren.

Fazit: Die Pressefreiheit ist unter Beschuss. Aber wenn wir unseren Job gut machen, sind es gute Zeiten für den Journalismus. Und für die Demokratie. Es gibt ja nicht nur das eingangs zitierte Sprichwort mit der Lüge, sondern auch noch eine Redensart im Alltag, die für eine wahre Begebenheit steht: "Das stand in der Zeitung." Unser Ziel muss sein, dass dieser Satz wieder öfter fällt.

(brö / kes)
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