Pressestimmen zum Referendum "Eine Ohrfeige für Deutschland und den harten Euro-Kern"
Das Referendum in Griechenland ist in deutschen und internationalen Zeitungen reichlich kommentiert worden. Ein Überblick.
Rheinische Post: "Das 'Ochi' der Griechen ist deshalb mehr als eine Abstimmung gegen Renten-Reformen oder Privatisierungspläne. Es ist ein Votum gegen ein Europa, das sich als politischer Ort gemeinsamer Werte und Regeln zum größtmöglichen Nutzen aller versteht. Als Ort der Verhandlungen und des Kompromisses. Alexis Tsipras hat das Referendum ja gegen den Willen der Partner aus dem Hut gezaubert. Er hat gezockt, gepokert – und gewonnen. Aber müssen deswegen Europas Staatschefs ein neues Spiel mit ihm eingehen?"
Bild: "Als ich vor fünf Jahren das erste Mal für BILD nach Athen kam, gingen die Menschen gegen die sogenannten Rettungs-Pakete auf die Straße. Heute stehen die Bürger hier in Schlangen vor Banken und horten Lebensmittel – in Panik. Aus Griechenland ist ein Pulverfass geworden, das nach dem Referendum jederzeit explodieren kann. Ein gespaltenes Land! Schuld daran ist die verfehlte Rettungs-Politik, die zwar Politik, aber keine Rettung war. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung konnte nie verstehen, warum sie für unfähige griechische Regierungen zahlen sollten. Die Reformen ankündigten und doch nicht umsetzten. Die die Reeder des Landes ungeschoren ließen. Und die vor allem daran interessiert waren, sich und seinesgleichen zu versorgen. Griechenland braucht endlich einen echten Neuanfang. Der Austritt aus der Währungsunion ist überfällig."
Die Welt: "Der Frieden in Europa kann ohne den Euro nur schwer gewahrt werden. Die vergangenen Jahrzehnte bieten genug Beispiele dafür, was die Existenz der gemeinsamen Währung an Konflikten verhindert hat. Das Ziel muss sein, Euro-Europa so stabil zu machen, dass es für die Stabilität der Währung gleichgültig ist, ob Syriza Kopfstand macht."
Leipziger Volkszeitung: "Nun geht der Poker um die Zukunft Griechenlands also weiter – und er wird durch das Votum eher komplizierter. Athen geht zwar gestärkt in neue Verhandlungen um einen Schuldenschnitt, die Neigung der EU-Staaten, sich nachgiebig zu zeigen, wird sich aber nach den verbalen Attacken in den letzten Tagen in engen Grenzen halten. Es wäre an Angela Merkel, diese Mechanismen aus politischer Staatsraison zu durchbrechen. Griechenland braucht vernünftige Strukturreformen, aber auch Wirtschaftsaufbauhilfe – und auf absehbare Zeit einem Schuldenschnitt. Das würde die deutschen Steuerzahler viel kosten. Die Alternative allerdings wäre nicht nur der Verlust der Hilfsmilliarden. Es wäre das Scheitern der europäischen Idee."
Hannoversche Allgemeine Zeitung: "Tsipras hat viel riskiert – und gesiegt. Gewonnen hat er damit noch nichts. Der Poker um die Zukunft Griechenlands geht weiter – und er wird durch das Votum eher komplizierter. Griechenland braucht vernünftige Strukturreformen, aber auch Wirtschaftsaufbauhilfe – und auf absehbare Zeit einen Schuldenschnitt. Das kostete die deutschen Steuerzahler viel Geld – und die Kanzlerin viel politisches Kapital. Die Alternative allerdings wäre nicht nur der Verlust der Hilfsmilliarden. Es wäre das Scheitern der europäischen Idee.
Neue Osnabrücker Zeitung: "Die Antwort lautet nein. Die Griechen zeigen Europa, dass ihnen der Reformdruck, die Sparauflagen, die Fremdbestimmung und die eigene Ohnmacht unerträglich geworden sind. Ihr Ärger über die vermeintliche Gängelung der Gläubiger wiegt schwerer als die Angst vor der Ungewissheit. Sicher, es wird neue Verhandlungen mit den Geldgebern geben, doch Griechenland ist der Staatspleite näher denn je. Was passiert nun? Am härtesten wird es die Bevölkerung und die mittelständischen Unternehmen treffen. Die Kapitalkontrollen der Geschäftsbanken werden bleiben oder noch verschärft. Es drohen Engpässe beim Import von Lebensmitteln und Medikamenten."
Allgemeine Zeitung (Mainz): "Jetzt hilft – wie auf der Theaterbühne – nur noch der deus ex machina, der aus der Kulisse tretende Gott, der alles regelt: Entweder gibt es eine große Geste, oder Griechenland verlässt den Euro. Ist Angela Merkel die Staatsfrau, die die Macht für eine solche Geste hat? Die Europa von der Intensivstation holt? Wenn ja, sollte sie sie einsetzen. Nicht zuletzt wegen ihres eigenen, deutschen Publikums. Das darf zwar nicht abstimmen. Aber es ist es gründlich leid, denen helfen zu müssen, die sich nicht helfen lassen wollen, und sich dafür auch noch beschimpfen zu lassen."
Nürnberger Nachrichten: "Einen Ausweg weist das Ergebnis nicht. Die linke Syriza-Regierung unter Premier Tsipras muss nun nicht zurücktreten. Doch ob ihr Kalkül aufgeht, dass sie mehr Druck auf die Europartner ausüben und diese mit dem Referendum im Rücken 'erpressen' kann, wie einer ihrer Abgeordneten das ausdrückte? Das ist doch sehr fraglich. Schon die nächste Woche könnte fürchterlich bitter werden. Ohne die milliardenschweren Notkredite der Europäischen Zentralbank kann Griechenland im Prinzip ab sofort seine Beamten nicht mehr bezahlen."
Stuttgarter Nachrichten:" Auf Europa warten schwere Tage. Und harte Entscheidungen. Die Hilfsmilliarden für Griechenland sind verfallen. Und frisches Geld in ein Land zu pumpen, das sich überheblich entschieden hat, die Bedingungen dafür selbst zu bestimmen – wer kann das hinnehmen? Und so wird man, vom klaren Nein der Griechen gestützt, in Brüssel und anderen Euro-Hauptstädten kühl darüber nachdenken, ob man ein Land – auch wenn sich seine Bürger bereitwillig von ihrer Regierung haben belügen lassen – wirklich um jeden Preis in der Währungsunion halten soll. Einen Pleite-Staat, dessen Bürger ihrer radikallinken Führungsclique einen Persilschein zum Scheitern ausgestellt haben. Ein Volk, das nach einem alten Sprichwort gehandelt hat: Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz."
Darmstädter Echo: "Angela Merkel, Jean-Claude Juncker und viele andere müssen sich vorwerfen lassen, dass sie das Geld der Steuerzahler veruntreut haben. Die Forderungen gegenüber Griechenland sind verloren und die Probleme der Eurozone sind jeden Tag, an dem man in sträflicher Naivität mit den Ministern der Syriza verhandelt hat, größer geworden. Ein 'Weiter so' ist nach dem Votum der Griechen nicht mehr möglich."
Münchner Merkur: "Alexis Tsipras und seine Regierung der Links- und Rechtsradikalen haben beim großen griechischen Roulette alles auf Rot gesetzt – und gewonnen. Aber es ist ein verfluchter Sieg. Wenn sich der Freudentaumel in Athen gelegt hat und die Propagandalügen der Regierung verwelken, werden die Griechen realisieren, dass sie sich an diesem Sonntag auf einen langen und entbehrungsreichen Weg begeben haben. Der führt nicht ins versprochene sozialistische Paradies. Sondern zurück zur Drachme – und das, so ist wegen der Unfähigkeit dieser Regierung zu befürchten, auf der Schotterpiste eines gänzlich ungeordneten Grexits. Spätestens dann schlägt auch dem Spieler Tsipras die Stunde."
Nordwest-Zeitung: "Geben die Gläubiger dem dreisten Ansinnen nach, die aufgehäuften Milliarden-Schulden ohne nennenswerte Reformen zu streichen – so wie es die in Finanzfragen ja so erfahrene und erfolgreiche deutsche Linkspartei fordert –, dann kollabiert das europäische Rettungssystem, das auf Leistung und Gegenleistung baut. Die Akzeptanz des Euro würde auch in Deutschland einen Tiefpunkt erreichen. Zwar dürften die seit Jahren auf dem Silbertablett nach Athen gereichten Milliarden auf unabsehbare Zeit nicht einzutreiben sein, nun aber ein drittes Hilfspaket zu schnüren, wäre nicht nur unverantwortlich, sondern würde den Tatbestand der Untreue gegenüber den Steuerzahlern in der Euro-Zone erfüllen."
Mitteldeutsche Zeitung: "Eine Vereinbarung mit den Geldgebern wird nun noch schwieriger, weil die Regierung von Alexis Tsipras mit dem Selbstbewusstsein, einen Sieg errungen zu haben, glaubt, noch entschiedener Auflagen für Hilfen zurückweisen zu können. Das ist ein Irrtum – nicht nur wegen geltender Verträge, sondern weil Griechenland Geld haben will, das von den Steuerzahlern der übrigen Mitgliedstaaten stammt. Als die Rettungsschirme über den Hellenen aufgespannt wurden, wollte man genau diese Situation vermeiden, die nun eingetreten ist: Geldspritzen ohne Gegenleistungen, das Alimentieren aus europäischen Fördertöpfen. Das wird nicht funktionieren. Dennoch muss etwas passieren. Der Euro-Raum wird nicht zusehen, wie ein Mitgliedsland und seine Menschen langsam aber sicher ins Aus rutschen. Denn aller Propaganda zum Trotz: Dies war keine Abstimmung über die Zugehörigkeit Athens zum Euro und zur EU. Wer auch immer das Gegenteil behauptet hat, wird eine Wende vollziehen müssen."
Kölner Stadtanzeiger: "Politisch bleibt der Euro ein kippeliges Gebilde. Ökonomisch gilt dies ohnehin. Vorgaben aus Brüssel, das hat die Debatte mit Athen gezeigt, werden im Süden als Euro-Kolonialismus empfunden. Aber eine Transferunion, also gegenseitige Hilfen nach Art des deutschen Länderfinanzausgleichs, sind im Norden - und Osten - der EU nicht zu vermitteln. Schon Bayern und Hessen wollen nicht für das Saarland oder Berlin zahlen. Warum dann für Athen oder Porto? Die Wahrheit aber ist: Dem Währungsraum krankt nicht nur an Produktivitätsdifferenzen, fehlenden soliden Finanzen und Reformen sondern auch an einem Härten ausgleichenden Transfersystem. Aber niemand mag für Athen einstehen. Jeder zahlt für sich allein. Solidarität kennt Grenzen."
Badische Zeitung: "Tatsache ist, dass die griechische Regierung selbst die Verhandlungen über Hilfen im Gegenzug für Reformen scheitern ließ und damit das Auslaufen der gültigen Programme provozierte. Das Referendum ändert daran nichts. Im Gegenteil. Es bestärkt diejenigen, die schon länger glauben, dass Griechenland aufgrund seines maroden Staats- und Verwaltungswesens schlicht nicht in die Eurogruppe gehört. Vermutlich wird, wer so denkt, das in den nächsten Tagen noch nicht allzu laut sagen. Denn wer will schon dastehen als jemand, der ein Volk für ein Votum bestraft? Eben dies würden Tsipras und Co. im Gegenzug behaupten. Aber nach einer Schamfrist dürfte der Abschied der Griechen vom Euro offiziell auf der Tagesordnung stehen. Übrigens: Wer sich von all seinen Partnern nur terrorisiert fühlt, sollte sein Heil ohnehin im Alleingang suchen."
Schwäbische Zeitung: "Europa steht am Tiefpunkt. Die Grundlage europäischer Politik, nämlich der Kompromiss zwischen engverbundenen Staaten, wurde von Griechenlands Regierung als Erpressung zurückgewiesen. Diese Sichtweise verfing bei einer überraschend großen Mehrheit der Griechen. Europa kann dieses eindeutige Ergebnis aber nicht ignorieren und muss mit der erstarkten griechischen Regierung zurück an den Verhandlungstisch. Tsipras befindet sich in einer gar nicht mal so schlechten Verhandlungsposition. Nach dem faktischen Nichtbedienen der IWF-Kredite müssen die Gläubiger mit den Griechen über ihre Schuldenlast sprechen. Das haben sie bislang gescheut wie der Teufel das Weihwasser. Seit Sonntag kann dieses Thema nun nicht mehr verleugnet werden."
Flensburger Tageblatt: "Es gibt kein Exit-Szenario für den Grexit. Die Strategie der griechischen Regierung war, dass sich international verflochtene Institutionen auf ein solches Abenteuer nicht einlassen würden und die Eurogruppe vorher die Nerven verlieren würde. Mit brachialer Rhetorik hat es die Regierung Tsipras aber geschafft, dass die Europäer bislang geschlossen sind und sich nicht erpressen lassen wollen. Auf einem anderen Blatt stehen strategische Sorgen der Nato. Griechenland könnte, das ist Tsipras und seiner Abenteurertruppe zuzutrauen, sich noch mehr nach Moskau orientieren. Das wäre, mitten in der Nato, eine ernsthaft bedrohliche Lage. Wenn diese Frage die der Schuldenkrise übertreffen sollte, hätte Tsipras tatsächlich gewonnen."
Braunschweiger Zeitung: "Für Griechenlands Euro-Partner und die Gläubiger-Institutionen ist es eine krachende Niederlage. Es rächen sich die Überbetonung der Sparphilosophie in den Hilfsprogrammen, die Vernachlässigung der politischen Dimension. Sie werden es in Athen weiter mit einer Regierung zu tun haben, die ihrerseits aus der Malaise die falschen Folgerungen zieht und sich mehr denn je berufen fühlt, die ganze Eurozone auf neuen Kurs zu bringen, statt die dramatischen Strukturschwächen des eigenen Gemeinwesens zu reparieren."
Pforzheimer Zeitung: "Gestern Abend hat Griechenland gejubelt. Doch wie lange hält die Siegesstimmung vor? Die Frage ist, ob diejenigen, die das Nein zum Spardiktat gestern rund um den Syntagma-Platz feierten, sich der Konsequenzen vollauf bewusst sind. Fakt ist: Ohne frisches Geld aus der EU geht gar nichts, wenn schon in der nächsten Woche wieder eine Zahlung an den IWF fällig ist. Oder auch nur, wenn Rentner, Polizisten und andere Staatsbedienstete in Zukunft noch mit Geld versorgt werden sollen. Auch wenn die Mehrheit der Griechen das vermutlich nicht so gemeint hat – das Nein zum Sparpaket ist schon fast ein Nein zum Euro. Mit all den schwierigen Folgen für Land und Leute, deren Not – auch ohne Sparpaket – dann noch viel größer werden dürfte."
Westfalen-Blatt: "Die Griechen haben 'Nein' gesagt. Deutlich und unüberhörbar. Und nun? Vorerst geht das Ringen weiter – auch wenn die Verhandlungen immer schwieriger werden und man nie weiter von einer Lösung entfernt war. Doch so sehr man sich über die Hasardeure in der hellenischen Regierung ärgern muss, so wenig kann Griechenland seine Probleme per Volksabstimmung lösen."
Diethmarscher Landeszeitung: "Nun wird es für die Griechen noch viel schlimmer kommen. Nur mit Schuldscheinen beziehungsweise einer Parallelwährung kann Athen weiterarbeiten – Hyperinflation, leere Geschäfte, noch mehr Entlassungen und Armut drohen. Die ausgestreckte Hand Europas haben die Radikalinskis in Athen weggeschlagen. Sie haben Abreden gebrochen, Termine platzen lassen, ihre Verhandlungspartner als Terroristen und Vampire beschimpft und das Volk gegen Reformen aufgehetzt. Tsipras und Konsorten können nicht erwarten, nun umso schneller Schulden und eigene Anstrengungen erlassen zu bekommen. Ihr Kalkül, Europa richtig viel Zeit und Geld zu kosten, damit EU und EZB einknicken, darf nicht aufgehen. Sonst mutiert Euroland zu einer schwachen Transferunion, in der Schulden einfach vergemeinschaftet werden."
Neue Zürcher Zeitung: "Ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion kann nicht erzwungen werden, ist aber die logische Konsequenz aus dem Volksnein. Die Syriza-Truppe soll ohne den "reichen Onkel" aus Brüssel ihre Wege suchen müssen, um Einnahmen und Ausgaben in Einklang zu bringen. Auch die Griechen dürften dabei früher oder später erkennen, dass nichts daran vorbeiführt, wirtschaftlich wettbewerbsfähiger zu werden. Mit einem Grexit wird dies eher zu bewerkstelligen sein. Regionalpolitische und humanitäre Hilfen für das EU-Mitgliedsland mögen dazu beitragen, dass es nicht im Chaos versinkt. Aber Athen muss jetzt seinen eigenen, schwierigen Weg gehen – je konsequenter, desto besser. Europa wird das nicht schaden."
The Times (Großbritannien): "Athen stehen chaotische Tage bevor. Die Länder, die sich für einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone eingesetzt haben, müssen sich jetzt dringend mit dieser großen politischen Herausforderung befassen. Sie müssen entscheiden, ob die Regeln falsch waren, oder ob die griechischen Banken eingebrochen sind, weil man gegen die Regeln verstoßen hat. Die Euro-Idealisten, besonders die in Deutschland, könnten selbst jetzt immer noch darauf bestehen, Griechenland zu retten. Doch die Euro-Verbraucher, in erster Linie die deutschen Wähler, werden wohl nicht mehr damit einverstanden sein."
El Mundo (Spanien): "Der Sieg von (Ministerpräsident Alexis) Tsipras ist eine Ohrfeige für Deutschland und für den harten Euro-Kern. Diese werden den Druck der öffentlichen Meinung, die gegen weitere Hilfen für die Griechen ist, kaum in Einklang bringen können mit den Forderungen der Regierung in Athen, die sich zum Beispiel weigert, das Rentenalter zu erhöhen, obwohl das derzeitige System aus finanzieller Sicht unhaltbar ist (...) Griechenland ist für die Europäische Union zu einem Riesenproblem geworden."
De Standaard (Belgien): "Ministerpräsident Alexis Tsipras hat sein gewagtes Spiel gewonnen. Aber ein Grund zur Freude ist das nicht, denn der Preis dafür ist schrecklich hoch. Wie hoch genau, weiß bislang noch niemand genau. Für die Eurozone und die gesamte Europäische Union ist dies ein dramatischer Schlag. Wenn ein Mitgliedstaat lieber untergeht, als sich einer Politik zu beugen, die er als aussichtslos erachtet, wird dem europäischen Projekt damit das moralische Fundament entzogen. Juristisch gesehen kann nun nichts mehr verhindern, dass die Gläubiger der griechischen Nation den Gerichtsvollzieher schicken und sie damit an den Bettelstab bringen. Das ist ihr Recht, denn so sind die Regeln. Doch wenn dies das Ergebnis dieses Kräftemessens ist, hat niemand etwas davon. Griechenland nicht, die Gläubiger nicht und Europa erst recht nicht."
Tageblatt (Luxemburg): "Europa wird den mutigen Griechen noch einmal dankbar sein –und zwar für ein Umdenken in der Union hin zu einem weniger liberalen, dafür umso sozialeren Verbund. Was jetzt her muss, ist ein Schuldenschnitt. Auch Berlin wird sich diesem Szenario nicht in alle Ewigkeit verweigern können. Und Europa wird so wieder gleicher werden. Einen Primus inter Pares braucht es nicht in der EU. Das war nie der Fall und wird es auch nie sein."
Guardian (Großbritannien): "Europäische Regierungschefs, die sich daran gewöhnt haben, sich durchzusetzen, werden in Zukunft nicht mehr davon ausgehen können. Sie müssen sich in Bescheidenheit üben und ein Ohr für das griechische Volk haben, das zu diesem Sprung ins Ungewisse angetrieben wurde. Unmittelbar müssen die Politiker so ehrlich sein und zugeben, dass die Schulden der Griechen nicht vollständig zurückgezahlt werden. Sie müssen jetzt die Bereitschaft zeigen, eine realistische Vereinbarung auszuhandeln."
De Telegraaf (Niederlande): "Das Referendum ist ein Wendepunkt. Zum ersten Mal hat die Bevölkerung eines Landes sich gegen die Währung gewandt, die viele europäische Staaten miteinander verbindet. So eine Verbindung kann nur Bestand haben, wenn sich alle an Absprachen für gesunde Staatsfinanzen halten und für eine Volkswirtschaft arbeiten, die in der Lage ist, ausreichend Geld zur Begleichung von Schulden zu generieren. (.) Deshalb ist ein Austritt aus der Eurozone für das Land das beste Szenario. Das ist schmerzlich für Griechenlands Gläubiger. Der Prozess des Austretens muss dennoch so flexibel gestaltet werden, dass Griechenland Teil Europas bleibt und nicht anderen Mächten in die Arme getrieben wird. Ruhe an Europas Ostgrenze ist ein wichtiges Gut."
"Politiken" (Dänemark): "Die großen internen Konflikte und die fehlgeschlagenen Versuche, Griechenland vor dem Bankrott zu retten, haben einen Mangel an gemeinsamer politischer Führung offenbart, der droht, der Glaubwürdigkeit der Euro-Zusammenarbeit einen bleibenden Schaden zuzufügen. Das griechische Nein ist ein soziales Aufbegehren gegen die Sparpolitik, das sich auf Spanien, Italien und selbst EU-Kernländer wie Frankreich ausbreiten kann. Das wirft die Währungsunion und die EU als Ganzes in unbekanntes Fahrwasser, das in keinen Verträgen oder Abkommen vorhergesehen wurde."
Die Presse (Österreich): "Kann man nichts machen, des Griechen Wille ist sein Himmelreich. Die Frage ist jetzt, wie die Eurozone und die EZB darauf reagieren. Eine Zeit lang werden diverse Hilfen auch ohne offizielles Rettungsschirmprogramm noch weitergehen, das ist klar. Man hat ja auch die Kapitalflucht aus Griechenland abseits der traditionellen Programme mit Hilfskrediten finanziert. Aber irgendwann muss Schluss sein: Entweder die Griechen setzen jetzt im eigenen Land strukturelle Schritte, die vermuten lassen, dass sie mittelfristig wieder auf eigenen Beinen stehen können. Oder die Eurozone muss zusehen, wie sie möglichst rasch und unter Schadensminimierung aus der Sache herauskommt."
Le Figaro (Frankreich): "(Ministerpräsident) Alexis Tsipras fordert einen Verbleib seines Landes im Euro. Er hat den Griechen allerdings nicht gesagt, dass ihm die Mittel dazu fehlen. Von einem verpassten Zahlungstermin zum anderen wird sich ein schrecklicher finanzieller Schraubstock um Griechenland schließen. Und wenn kein Wunder passiert, wird der so gefürchtete Grexit ganz von allein seinen Lauf nehmen - nicht weil die Europäer das gewollt haben, denn sie haben alles unternommen, um den Grexit zu verhindern, sondern weil die Wahl des griechischen Volkes eine Dynamik in Gang gesetzt hat, die wohl nicht aufzuhalten ist."
Gazeta Wyborcza (Polen): "Schulden müssen eingeholt werden, aber nicht so, dass eine Gesellschaft in Verzweiflung getrieben und unberechenbar gemacht wird. Und das mit großem Risiko für die gesamte Union. In dem griechischen Thriller, den wir erleben, können am meisten nicht nur die Griechen verlieren, sondern auch die, deren Weg ein einiges und vereintes Europa ist. Wir erleben gerade seine beispiellose Krise, die entstanden ist als Ergebnis von Egoismus der Entscheider, Mangel an Mut und Vorstellungskraft und fehlerhafter Kalkulation. Seitens der Union und Griechenlands."
Libération (Frankreich): "Kurz vor diesem Bruch zwischen Griechenland und der Europäischen Union waren die Positionen nicht so weit voneinander entfernt. Die Europäer können endlich anerkennen, dass die dem ganzen Kontinent aufgezwungene brutale Sparpolitik katastrophale politische Folgen gehabt hat, von denen das Nein der Griechen nur ein Beispiel ist. Die Europäer können nun die Schulden verringern, von denen selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) sagt, sie könnten unmöglich zurückgezahlt werden. Unter diesen Voraussetzungen ist eine Einigung möglich. Werden die europäischen Politiker Europa retten?"
Rossijskaja Gaseta (Russland): "Mit 61 Prozent Nein-Stimmen hat Regierungschef Alexis Tsipras nicht nur die griechische Opposition, sondern auch den Internationalen Währungsfonds sowie die EU und die EZB in die Schranken gewiesen. Das kleine, aber stolze südeuropäische Land hat in dem Referendum sowohl über seine nahe Zukunft als auch über das Schicksal der ganzen Eurozone entschieden. Zwar hatte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz die Wähler noch einmal unter Druck gesetzt. Aber Tsipras und der Großteil der Bevölkerung folgten ihm nicht. Und doch: Falls die wirtschaftlichen Probleme des Landes nach dem Referendum bleiben, können die Sympathiewerte der Regierung Tsipras schnell fallen."
Les Echos (Frankreich): "Die Eurozone erlebt heute die tiefste Krise ihrer kurzen Geschichte. Daraus wird sie entweder gestärkt hervorgehen – was allerdings ein außergewöhnliches Leadership der politisch Verantwortlichen in der EU voraussetzt, was bisher völlig gefehlt hat. Oder aber sie wird durch die Krise zutiefst geschwächt. Später, wenn wir eines Tages die Geschichte analysieren, werden wir sagen, dass Europa noch nicht reif war für dieses 'Experiment' der Gemeinschaftswährung."