Analyse My home is my office

Düsseldorf · Einer aktuellen Studie zufolge könnten 40 Prozent der Arbeitnehmer zumindest einen Teil ihrer Arbeitszeit zu Hause verbringen. Die SPD-Fraktion fordert sogar ein Recht auf das Büro in den eigenen vier Wänden.

Am Laptop in der gemütlichen Atmosphäre des heimischen Büros arbeiten, in Arbeitspausen einen Milchkaffee aus dem vertrauten Vollautomaten ziehen und sich zum Telefonieren aufs Sofa fläzen - im Homeoffice zu arbeiten kann angenehmer sein als im Großraumbüro. Vor allem aber macht es Menschen flexibler. So wie den Ort können Menschen, die von zu Hause aus arbeiten, meist auch ihre Arbeitszeit eigenständig bestimmen und Beruf und Privatleben dadurch besser in Einklang bringen. Wenn die "Nine-to-five"-Präsenzzeit im Büro wegfällt, zählt das Ergebnis.

Einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge, werden die Möglichkeiten des Homeoffices in Deutschland nicht ausgeschöpft: Nur zwölf Prozent der Angestellten arbeiten zumindest teilweise von zu Hause aus. Die Zahl ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Dabei wäre es bei 40 Prozent der Arbeitsplätze theoretisch möglich. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit zurück: Vor allem in Skandinavien und Westeuropa arbeitet ein weit größerer Anteil hauptsächlich oder hin und wieder von zu Hause aus. Anja Karlshaus, Professorin an der Cologne Business School und Expertin für Personalmanagement, sieht vor allem ein kulturelles Problem: "Die Präsenzkultur ist in deutschen Unternehmen immer noch sehr stark verankert. Karriere wird im Büro gemacht, Präsenz mit Leistung gleichgesetzt." Der Führungsstil sei außerdem vergleichsweise stark durch Kontrolle geprägt.

In den Niederlanden haben Erwerbstätige seit Januar einen neuen Rechtsanspruch: Wer von zu Hause aus arbeiten möchte, darf es, vorausgesetzt der Arbeitgeber bewilligt den Antrag. Tut er das nicht, braucht er gute Argumente. Das solle vor allem Müttern helfen, Arbeit und Familie besser zu vereinen, sagt Ivar Noordenbos, Sprecher des niederländischen Arbeitsministeriums. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert nun auch in Deutschland einen gesetzlichen Anspruch auf ein Mindestmaß an mobiler Arbeit, um "Arbeitnehmern mehr Orts- und Zeitsouveränität bei ihrer Arbeit zu ermöglichen", heißt es. "Praxisfern und kontraproduktiv" nennt das die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Ein Sprecher fordert: "Statt eines gesetzlichen Anspruchs auf ein Homeoffice brauchen wir unbürokratische Regelungen im Arbeitsschutz und Arbeitsrecht, um den Beschäftigten die gewünschte Flexibilität bieten zu können."

Vodafone Deutschland macht mit ergebnisorientierten Arbeitsmodellen schon lange gute Erfahrungen: Alle Mitarbeiter haben einen Anspruch darauf, bis zu 50 Prozent ihrer Arbeitszeit zu Hause zu verbringen. Am Standort Düsseldorf nutzen 74 Prozent der 5000 Arbeitnehmer diese Möglichkeit, davon sind zwei Drittel Männer. "Durch die flexiblen Arbeitszeitmodelle entsteht eine Win-win-Situation - auch das Unternehmen profitiert von zufriedenen, engagierten Mitarbeitern", sagt Sprecherin Tanja Vogt.

Personalmanagement-Expertin Anja Karlshaus bestätigt: "Flexible Arbeitsmodelle können dazu führen, dass Arbeitnehmer einen höheren Grad an Motivation und Zufriedenheit aufweisen. Teilweise kann zu Hause konzentrierter und kreativer gearbeitet werden." Auch Pendelzeiten entfallen, dadurch bleibt mehr Zeit, entsteht weniger Stress. Doch nicht jeder sei der Typ dafür - das Arbeiten im Homeoffice braucht auch ein gutes Selbstmanagement, denn zu Hause entfällt die soziale Kontrolle: "Wenn der Arbeitnehmer sich leicht ablenken lässt, zwischendurch noch eben die Blumen gießt, die Spülmaschine ausräumt oder privat im Internet surft, funktioniert es nicht", so Karlshaus. Die Angst, dass Arbeitnehmer zu Hause weniger arbeiten als im Büro, ist laut DIW-Forscher Karl Brenke jedoch unbegründet: "Heimarbeiter kommen oft auf weit überdurchschnittlich lange Arbeitszeiten, und nicht selten leisten sie unbezahlte Mehrarbeit." Sie fühlen sich in der Pflicht zu beweisen, dass sie zu Hause viel geschafft haben. Und wenn Arbeitsunterlagen zu Hause rumliegen und Dienstanrufe über den ganzen Tag verteilt eingehen, kann es schwer sein, abzuschalten. Auch dass zu Hause die spontane Abstimmung mit den Kollegen entfällt, kann ein Nachteil sein. Es gilt, das richtige Maß an Präsenzzeit und Homeoffice zu finden.

Natürlich eignet sich nicht jeder Job: Verkäufer im Einzelhandel müssen im Laden anwesend sein, in der Gastronomie und im Handwerk ist Präsenz gefragt. Doch besonders im Dienstleistungssektor, etwa bei Banken, Versicherungen und in der öffentlichen Verwaltung besteht der DIW-Studie zufolge die Möglichkeit zur Arbeit im Homeoffice häufig. Sie komme vor allem für gut- und hochqualifizierte Angestellte, für Führungspersonal sowie für Beamte ab dem gehobenen Dienst infrage. Von den Arbeitnehmern, deren Tätigkeit Homeoffice erlauben würde und die bisher nicht zu Hause arbeiten, würde lediglich ein Drittel ein entsprechendes Angebot ihres Arbeitgebers ablehnen.

Laut einer repräsentativen Befragung des Deutschen Digitalverbands (Bitkom) im Jahr 2015 von 1500 Geschäftsführern und Personalleitern geht jedes vierte Unternehmen davon aus, dass der klassische Büroarbeitsplatz mit Anwesenheitspflicht künftig an Bedeutung verlieren wird. Grund dafür ist die Digitalisierung der Arbeitswelt. Immer mehr Unternehmen nutzen Videokonferenzen zur Zusammenarbeit in virtuellen Teams. Der damalige Bitkom-Präsident Dieter Kempf prophezeite: "Viele Unternehmen werden sich umstellen müssen. Das flexible Arbeiten, auch von zu Hause aus, ist etwas, das vor allem gut ausgebildete Hochschulabsolventen erwarten." Unternehmen, die sich künftig gegen diese Entwicklung sträuben, büßen Attraktivität für qualifizierte Arbeitskräfte ein.

(tak)
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