Interview mit Professor Michael Stoffel "Vom Tod bis zur Erholung ist alles möglich"

Krefeld · Michael Schumacher liegt nach seinem schweren Ski-Unfall weiter im Koma. Die Ärzte in Grenoble wagen keine Prognose. Der Aufprall war so hart, dass der Helm des 44-Jährigen zerbrach. Professor Michael Stoffel, Direktor der Neurochirurgie am Helios Klinikum Krefeld, sprach mit unserer Redaktion über die Behandlung von schweren Schädel-Hirn-Traumata.

 Professor Michael Stoffel, Direktor der Neurochirurgie am Helios Klinikum Krefeld.

Professor Michael Stoffel, Direktor der Neurochirurgie am Helios Klinikum Krefeld.

Foto: helios

Wie oft erlebt ein Neurochirurg ein derart massives Schädel-Hirn-Trauma, wie es sich Michael Schumacher offenbar zugezogen hat?

Stoffel Leider oft. Bis ins junge Erwachsenenalter — also bis 45 Jahre — ist es die häufigste Todesursache in Deutschland. Früher waren es Autounfälle, jetzt haben wir immer mehr Fußgänger und Radfahrer. Wir im Helios Klinikum Krefeld haben stets mehrere Patienten zeitgleich auf der Intensivstation.

Schumachers Fall wurde als schweres Schädel-Hirn-Trauma eingestuft. Wie misst man das?

Stoffel Schumacher war direkt nach dem Unfall offenbar nicht adäquat ansprechbar und konnte nur diffus reagieren. Dann ist er von sich aus ins Koma gefallen, das Gehirn konnte das Wachsein nicht mehr selbst leisten. Das bedeutet auf der Glasgower Koma-Skala einen Wert von unter 9 und somit ein schweres Schädel-Hirn-Trauma.

Was bedeutet das für das Vorgehen der Ärzte?

Stoffel Die Behandlung von Schädel-Hirn-Traumata ist ziemlich standardisiert, auch die Kollegen auf der Skipiste werden das Gleiche wie wir gemacht haben. Vor Ort werden die Notärzte auf einen stabilen Blutdruck und eine ausreichende Sauerstoffzufuhr geachtet haben.

Und in der Uniklinik Grenoble?

Stoffel Die Ärzte haben sich mit Auskünften zurückgehalten. Wir können also nur die Theorie bemühen. Gewiss haben die Kollegen die erste Diagnostik erweitert, auch um bildgebende Verfahren; üblicherweise ist das eine Computer-Tomografie. Eine Möglichkeit bei raumfordernden Blutungen ist, sie operativ zu entfernen. In jedem Fall müssen Mediziner versuchen, den Druck, der durch die massiven Blutungen im Gehirn angestiegen ist, zu entlasten und das Gehirn selbst abschwellen zu lassen. Diesen Druck misst man mit einer Drucksonde im Gehirn.

Das Schädeldach wird angebohrt?

Stoffel Ja, man kann mehrere Löcher bohren, mit einer Stichsäge verbinden und dieses Schädelstück dann abnehmen. Das entlastet den Druck, weil das Gehirn auch weiter anschwellen kann. In jedem Fall ist der Patient ins künstliche Koma verlegt worden, in dem alle Wahrnehmung ausgeschaltet ist. Außerdem hat man ihn auf eine deutlich niedrigere Körpertemperatur heruntergekühlt. Das nennt man Hypothermie.

Wozu?

Stoffel Um den Stoffwechsel zu verlangsamen und den Sauerstoffverbrauch im Gehirn zu verringern.

Wie schätzen Sie die Heilungs- und Überlebensraten Schumachers ein?

Stoffel Diese Frage kann und möchte ich nicht beantworten.

Bei einem schweren Schädel-Hirn-Trauma liegt trotz frühzeitiger und optimaler Behandlung die Sterberate statistisch bei circa 30 Prozent. Gilt das auch bei Schumacher?

Stoffel Vom Tod bis zur kompletten Erholung ist alles möglich. Ich habe das alles schon erlebt.

Hat Schumacher Glück gehabt, dass er so früh versorgt wurde?

Stoffel Hier sind sich die Experten uneins. Einige sprechen von der "goldenen Stunde", andere bezweifeln sie, weil es keine zuverlässigen Daten gibt.

Sollte Michael Schumacher diese Tage in Grenoble überleben, wäre eine Rehabilitation aber unumgänglich?

Stoffel Allerdings. Eine neurologische Frührehabilitation ist auch deswegen wichtig, weil das Gehirn sich fortwährend plastisch verändert; geschädigte Bereiche können in ihrer Funktion von anderen Bereichen übernommen werden.

(RP)
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