Interview mit Berti Vogts Favre und Eberl — "ein optimales Miteinander"

Mönchengladbach · Der Ur-Borusse Berti Vogts sagt, was sich für Borussia nach dem dritten Platz der Vorsaison ändern wird, warum er den "jungen Weg" für den richtigen hält, worauf es in der Champions League ankommt und warum er Granit Xhaka für einen der besten Spieler der Bundesliga hält.

Interview mit Berti Vogts: Favre und Eberl — "ein optimales Miteinander"
Foto: Dieter Wiechmann

Herr Vogts, vor der abgelaufenen Saison haben Sie vorhergesagt, dass Borussia einen Europapokalplatz schaffen könne. Das war prophetisch. Gladbach wurde Dritter. Was hat das Team ausgezeichnet?

Vogts In der Mannschaft ist viel Qualität. Und Trainer Lucien Favre weiß, was in diesem Team steckt und holt es heraus. Er hat sein System den Spielern über Jahre angepasst. Es wurden nur Spieler geholt, die in dieses System passen. Die Mannschaft war schon vor einem Jahr in sich gefestigt, darum war mir klar, dass Gladbach zu den besten vier Teams in Deutschland gehören kann.

Wird es schwer, das zu bestätigen?

Vogts Die Problematik ist jetzt eine andere. Das hat weniger mit dem Geschehen auf dem Rasen zu tun, sondern vielmehr damit, wie die Spieler mit der neuen Situation mit der Champions League umgehen. Es ist eine Sache des Kopfes. Alle Spieler sind heute physisch optimal präpariert, und man wird entsprechend das Training anpassen. Doch das Verkraften der Reisestrapazen und der Erlebnisse in der Champions League ist ebenfalls entscheidend. Viele Spieler sind daran noch nicht gewöhnt. Der eine kommt besser damit zurecht als der andere. Aber wir sprechen über Profis, sie müssen das hinbekommen. Die Champions League muss auch ein Ansporn für die Bundesliga sein.

Geht Borussia als Vorjahresdritter mit einem anderen Status in die Saison als vor einem Jahr?

Vogts Gladbach wird jetzt nicht mehr als normaler Bundesligist gesehen, sondern als Spitzenmannschaft. Das war schon in der Endphase der vergangenen Saison zu beobachten. Die Gegner haben sich taktisch darauf eingestellt, sie haben viel defensiver agiert, wenn sie im Borussia-Park angetreten sind. Das galt sogar für die Teams aus den oberen Tabellenregionen. Aber Lucien Favre wird darauf eine Antwort haben, da bin ich mir sicher.

Er lässt grundsätzlich ein 4-4-2-System spielen. Hat sich die taktische Palette durch die Zugänge erweitert?

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Foto: Dieter Wiechmann

Vogts Lucien Favre ist nach Hennes Weisweiler der beste Taktiker, den Borussia je hatte. Er weiß, was er tut. Die Zugänge passen ins Team. Bei Lars Stindl zum Beispiel hat man das Gefühl, er habe schon immer für Gladbach gespielt. Er kann viele Positionen besetzen und bringt fußballtechnisch eine ganz neue Qualität ein. Josip Drmic kenne ich noch zu wenig. Ich habe ihn mal beim Spiel der USA gegen die Schweiz in Zürich gesehen, da hat er mich nicht überzeugt. Bei Leverkusen hat er den Durchbruch nicht geschafft, aber das kann passieren. Lucien Favre kennt ihn als Schweizer in- und auswendig. Er weiß, wie er ihn anzupacken hat. Das kann Drmic helfen.

Borussia hat viel von dem Geld, das durch die Qualifikation für die Champions League reingekommen ist, in Talente investiert. Ist das der richtige Weg?

Vogts Ich freue mich, dass die Vereinsführung wieder diesen Weg gewählt hat. Das erinnert mich an die Vergangenheit. Auch da wurde mit jungen und hungrigen Spielern ein Team aufgebaut. Es gilt, diese Spieler auf ein neues Level zu bringen. Doch es wurden ja nicht nur formbare Talente geholt, sondern auch Qualitätsspieler, die den Klub auf das nächste Level heben können. Dahinter steckt ein Plan, der mir gefällt.

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Mit Blick auf die Champions League: Reichen da die jungen Spieler, oder wird es da besonders auf Routiniers wie Martin Stranzl und Raffael ankommen?

Vogts Natürlich sind erfahrene Spieler wie Stranzl und Raffael sehr wichtig als Korsettstangen. Aber für mich ist auch Granit Xhaka ein erfahrener Spieler. Viele meckern über ihn, aber ich mag ihn. Er hat sich zum Führungsspieler entwickelt und ist temperamentvoll. Er muss nur ein wenig aufpassen, denn gerade international kassiert man schnell Karten, wenn man sich nicht unter Kontrolle hat. Aber er wird noch ruhiger und erfahrener werden. Xhaka ist für mich einer der besten Spieler der Bundesliga. Er braucht sich hinter einem Kevin de Bruyne nicht verstecken.

Xhaka ist somit ein gutes Beispiel für die Entwicklung Borussias insgesamt: Man lässt die Talente mit Geduld reifen, und Lucien Favre arbeitet ihre Stärken immer mehr heraus.

Vogts Das ist so. Das gilt nicht nur für Xhaka, sondern gerade auch für Spieler wie Tony Jantschke und Patrick Herrmann, die aus der eigenen Jugendakademie gekommen sind. Dass Herrmann jetzt seine ersten Länderspiele gemacht und großartig gespielt hat, belegt das. Ich hoffe für ihn, dass sein Traum von der Teilnahme an der EM im nächsten Jahr in Erfüllung geht. Das wäre auch eine Auszeichnung für Borussia. Aber das erste Ziel muss für ihn sein, in Gladbach weiter Topleistungen zu bringen. Sonst hat er bei Joachim Löw keine Chance.

Welche Chance wird Borussia in der Champions League haben? Günter Netzer traut dem Team zu, sich für die nächste Runde zu qualifizieren. Sie auch?

Vogts Es ist schwer, das jetzt schon zu sagen. Das hängt ja auch von der Gruppenauslosung ab. Aber eines ist sicher: Borussia hat einen guten Namen im europäischen Fußball. Das hat mit den Teams von früher zu tun. Gladbacher Mannschaften werden in Europa immer mit viel Respekt gesehen. Borussia muss aber in den Spielen entsprechend selbstbewusst auftreten und, auch wenn es ein wenig überzogen klingt, ein bisschen arrogant sein. Sie muss dem Gegner zeigen: Hey, was wollt ihr, wir sind Gladbach und wollen gewinnen. Auf keinen Fall darf die Mannschaft zu ehrfürchtig sein, egal wie groß die Namen der Gegner sind. Borussia muss frech, voller Dynamik und Elan in die Gruppenspiele reingehen. Dann glaube ich, dass sie eine Runde weiterkommen kann.

Bayer Leverkusen und Schalke haben in den vergangenen Jahren in der Champions League teilweise derbe Klatschen kassiert. Muss sich Borussia auf solche Erfahrungen einstellen?

Vogts Ich glaube nicht, dass einem Lucien so etwas passieren wird. Dafür ist er zu clever und gewieft.

In der vergangenen Saison hatte Borussia die zweitbeste Defensive der Bundesliga. Freut Sie das besonders als früheren Weltklasse-Verteidiger? Und ist es ein Hinweis darauf, dass Lucien Favres Grundprinzip eher defensiv ist?

Vogts Das hat nichts mit einer defensiven Ausrichtung zu tun. Die Abwehrarbeit beginnt ganz vorn, schon wenn der Stürmer den Ball verliert. Entscheidend sind die Umschaltbewegung und das Spiel gegen den Ball. Das ist bei Borussia sehr ausgereift und hat in der vergangenen Saison perfekt funktioniert

Ist Borussia schon ein Bayern-Jäger?

Vogts Nein. Es wäre schön, aber jetzt davon zu sprechen, wäre unseriös. Klubs wie Wolfsburg, Leverkusen oder Dortmund, die ganz andere finanzielle Mittel haben, sind wirkliche Bayern-Jäger. Borussia soll weiter in aller Bescheidenheit arbeiten und sorgfältig ihre Spiele gewinnen. Dann sehen wir weiter.

Wird das Umfeld realistisch bleiben. Der Niederrheiner an sich meckert ja gern.

Vogts (grinst) Ich habe meinem Sohn schon oft erzählt, dass früher gleich gepfiffen wurde, wenn es 2:0 stand und wir nicht auf das dritte oder vierte Tor gespielt haben. Wie das Publikum heute im Borussia- Park agiert, finde ich unglaublich. Die Atmosphäre ist klasse. Es ist eine große Begeisterung da, die Leute freuen sich darüber, wie ihre Borussia spielt, das spürt man. Es ist alles in sich gewachsen, und ich glaube, dass der Gladbacher wieder sehr stolz auf sein Team ist.

Lucien Favre ist die Symbolfigur für den Aufstieg vom Fast-Absteiger zum Champions-League-Teilnehmer. Wo würden Sie ihn im Trainer-Kanon Borussias einordnen?

Vogts Er ist ein ganz großer Trainer. Das hat er aber nicht erst in Gladbach nachgewiesen, sondern auch bei seinen anderen Stationen. In Berlin sagt jeder, mit dem man über ihn spricht: Wäre er doch noch hier. Ich hoffe, dass er noch viele Jahre bei Borussia bleibt. Aber es ist ja nicht nur Lucien Favre, der den Erfolg zu verantworten hat. Da muss man auch Max Eberl nennen. Beide zusammen haben das aufgebaut — das ist ein optimales Miteinander.

KARSTEN KELLERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH

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