Die meisten Arbeitslosen haben schwere Depressionen Arbeitslosigkeit - Katastrophe auch für die Psyche

Die Konsequenzen eines Jobverlusts sind nicht nur finanziell gravierend. Bereits Betroffene wissen meistens, dass Arbeitslosigkeit trotz ihrer stetigen Zunahme in der Gesellschaft zu einem Randgruppendasein führt, zu Depression und Minderwertigkeitskomplexen. RP Online hat mit Professor Dr. Michael Frese von der Uni Gießen über die psychologischen Folgen von Arbeitslosigkeit gesprochen.

<P>Die Konsequenzen eines Jobverlusts sind nicht nur finanziell gravierend. Bereits Betroffene wissen meistens, dass Arbeitslosigkeit trotz ihrer stetigen Zunahme in der Gesellschaft zu einem Randgruppendasein führt, zu Depression und Minderwertigkeitskomplexen. RP Online hat mit Professor Dr. Michael Frese von der Uni Gießen über die psychologischen Folgen von Arbeitslosigkeit gesprochen.

Wie identitätsstiftend der Beruf ist, merkt man oft erst, wenn er nicht mehr ausgeübt werden kann. "Wer arbeitslos wird, der leidet darunter", stellt der Arbeits- und Organisationspsychologe Frese sofort klar. Die Person habe das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, viele soziale Kontakte gingen verloren, die sich zuvor durch die Berufstätigkeit ergeben hätten, und nun habe man sich nicht mehr viel zu sagen. Auch innerhalb von Familien, deren Verhältnis schon vorher problematisch war, könne es durch die Arbeitslosigkeit zur Eskalation der Konflikte kommen.

Die Konsequenzen ergäben sich aber erst langsam. Frese unterscheidet verschiedene Phasen, die Arbeitlose durchlaufen. Die erste Reaktion auf die Kündigung sei natürlich Schock, dann folge jedoch oft eine Phase, in der der Arbeitslose findet, dass es ihm sehr gut gehe. Das sei der "Urlaubseffekt": "Schön, ich muss ja gar nicht arbeiten". Wenn der vorüber sei, werde einige Monate optimistisch gesucht, wobei finanzielle Not zwingend zu einer intensiveren Suche führe. Wer dann trotz aller Bemühungen immer noch arbeitslos sei, verfalle in Resignation. Diese gipfele schließlich in Depression und Apathie. In diesem Zusammenhang macht Frese deutlich, dass besonders viele Arbeitslose psychosomatische Beschwerden hätten.

"Es ist tatsächlich so, dass Leute in Arbeitslosigkeitsperioden häufiger zu Psychiatern gehen", stellt Frese die psychischen Beschwerden auch in den gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang. Ziel der Arbeitsagenturen müsse es aufgrund der beschriebenen Phasen vor allem sein, Arbeitslose schnell in neue Berufsverhältnisse zu vermitteln. Der Ablauf der Phasen ist von Nationalität zu Nationalität verschieden und endet meist zu dem Zeitpunkt, wo die Arbeitslosenhilfe ausgezahlt werde. "Wenn sich die Arbeitslosen selber sagen müssen, jetzt habe ich keine Chance mehr, dann brechen die Leute", so Frese.

Auswirkungen hängen stark von Selbstdefinition ab

Wie schlimm die Auswirkungen seien, hinge auch davon ab, wie jemand sich selbst definiere. "Je leichter Sie in eine andere Rolle hineinschlüpfen könne, die Arbeit nicht benötigt, desto besser geht es Ihnen", erklärt Frese. Das könne der Ausblick auf die Rente sein oder der Sportverein, dem man sich nun voll widmen könne. Unterschiede bestehen auch immer noch bei den Geschlechtern. "Frauen haben eine alternative Rolle — die Roller der Hausfrau", das gelte auch in der heutigen, modernen Gesellschaft noch, erklärt Frese. In den Fällen, wo das nicht gehe, zum Beispiel bei Alleinerziehenden oder Singlefrauen gälten jedoch die gleichen Mechanismen wie bei Männern.

Frese rät daher Arbeitslosen, aktiv zu werden, nicht nur bei der Arbeitssuche, sondern generell in ihrem Leben. Wer keinen Beruf mehr hat, sollte endlich all das umsetzen, was er schon immer einmal machen wollte. Auch wenn es sich zynisch anhöre, gehe es den Leuten, die diesen Rat befolgen, besser, weiß Frese aus der Praxis.

Natürlich seien dem Vergnügen Grenzen gesetzt, nämlich finanzielle. Darunter würden viele Kontakte leiden. Doch das soziale Netzwerk aufrecht zu halten, sei gerade während der Arbeitslosigkeit wichtig. Die meisten fänden einen Job über Bekannte und Freunde. Außerdem würden Freunde und Bekannte einen auffangen und "man fällt nicht ins Bodenlose", so Frese. Auch eine intakte Familienatmosphäre könne viel von dem Druck auffangen, der durch Arbeitslosigkeit verursacht wird.

Literaturtipp:

Rolf Merkle: Wenn das Leben zur Last wird. Mannheim: Pal Verlag, ISBN 3-923614-47-0, 12,80 Euro

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