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Informationsflut in Wirtschaft und Internet Das Mega-Geschäft mit den Daten

Düsseldorf · "Big Data" bilden das Geschäftsmodell der Zukunft. Aus der unübersichtlichen bestehenden Datenflut können Experten bisher unbekannte Zusammenhänge entdecken, um Werbung zu personalisieren und Voraussagen zu treffen. Datenschützer sind alarmiert.

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Foto: dapd, Clemens Bilan

Es war vor gut einem Monat, als der Postbote den amerikanischen Journalisten Alexis C. Madrigal in großes Erstaunen versetzte. Er übergab ihm einen Katalog für Babybedarf. Keine zufällige Sendung, sondern an ihn persönlich adressiert.

Madrigals Frau war im dritten Monat schwanger, aber bis dahin hatte das Ehepaar geglaubt, die Schwangerschaft sei noch geheim, denn die beiden hatten noch niemanden informiert, nicht einmal die eigenen Eltern. Trotzdem wusste das Versandunternehmen für Kinderausstattung schon Bescheid. Das Internet hatte die entscheidenden Hinweise geliefert, wie Madrigal auf der Computerseite seiner Zeitung erklärte.

Die Madrigals hatten sich beim Surfen im Internet verhalten wie typische werdende Eltern. Ihre Daten über die aufgerufenen Seiten und Suchbegriffe im Netz wurden zwar anonym gesammelt, aber das Profil passte genau in das Muster einer frischen Schwangerschaft. Die Experten für Datenauswertung mussten nur noch die Adresse herausfinden, um einen lukrativen Kontakt für die Babybranche verkaufen zu können.

In Deutschland wäre das Beispiel nicht möglich, aber in den USA gehört die Verwertung von anonymisierten Daten aus Suchmaschinen längst zum Alltag. Das Kollektiv der Internetnutzer liefert wertvolle Informationen, durchaus mit positivem Effekt. Wenn die scheinbar unübersichtliche Datenflut geordnet wird, zeigt sich, was sehr viele Menschen ganz aktuell beschäftigt, welche Interessen sie haben, zu Hause am Computer oder unterwegs mit dem Handy.

Google kann Grippewellen vorhersagen

Suchmaschinen-Marktführer Google konnte eine Grippe-Epidemie vorhersagen, weil im Web viel häufiger nach den Begriffen Fieber, Husten und Grippe gesucht wurde als üblich. Das Musik-Portal Spotify liefert die Daten seiner Nutzer an die Musikbranche, die Trends damit früher erkennen will und Bands in die Städte zum Live-Auftritt schickt, wo es die meisten Downloads oder Suchanfragen gegeben hat.

Was früher mühselig mit Meinungsumfragen erhoben werden musste, liefern die Internetnutzer Tag für Tag ganz freiwillig. Und nicht nur die. Ganz verschiedene Quellen liefern immer präzisere Daten: Navigationsgeräte wissen genau, welchen Weg viele Menschen nehmen und wie schnell sie dabei fahren.

Supermärkte registrieren penibel das Kaufverhalten der Besucher. Die Masse bestimmt, was im Regal liegt und was nicht mehr angeboten wird. Deshalb unterscheiden sich die Warensortimente in Städten und auf dem Land. Und wenn dieses Verbraucherverhalten mit der Wetterprognose und dem Ferienplan koordiniert werden kann, füllen sich die Regale computerunterstützt mit den richtigen Waren.

Es ist erschreckend, wie wenig Informationen Datenexperten benötigen, um relativ sichere Prognosen zu erstellen. Forscher der US-Universität in Cambridge untersuchten lediglich die "Likes", mit denen Facebook-Nutzer andere Einträge, Seiten oder Produkte mit "Gefällt mir" bewerten. Bei 58.000 Freiwilligen ermittelten sie mit einer Trefferquote von 88 Prozent, ob der Facebook-Nutzer homosexuell ist, fast immer konnten sie Einwanderer identifizieren.

"Big Data" heißt das Geschäftsmodell der Zukunft

Je billiger Speicherplatz für Daten wird und je schneller sie von Super-Computern ausgewertet werden können, desto größer werden die Anwendungsmöglichkeiten. "Big Data" heißt das Zauberwort für ein neues Geschäftsmodell der Datenbank-Spezialisten, das nach Branchenumfragen bis 2016 seinen Umsatz auf 16 Milliarden Euro weltweit verdreifachen soll und mehr als vier Millionen neue Jobs bringen wird. "Big Data" kombiniert die Informationen aus großen, schon bestehenden Datenmengen und sucht nach bisher unbekannten Zusammenhängen.

Für solche Projekte ist selbst das im internationalen Vergleich sehr strenge deutsche Datenschutzrecht nicht gerüstet. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) forderte zum "Safer Internet Day" im März, "klare Regeln und Grenzen für die Datennutzung zu definieren".

Die Selbstbestimmung der Betroffenen müsse durch "das Prinzip der aktiven Einwilligung" gewahrt werden. Nur wird es dadurch schwer möglich sein, die schwarzen Schafe von den für Verbraucher vorteilhaften Anwendungen der Datensammlung zu trennen. Zumal ein Großteil der Daten sehr bewusst und freiwillig zur Verfügung gestellt wird — das Thema Datenschutz spaltet Deutschland.

Milliardengeschäft mit Aktien und Zertifikaten

Der "Big Data"-Ansatz kombiniert die Entwicklungen aus zwei ganz verschiedenen Bereichen: die Datenflut der Wissenschaft und die Schnelligkeit der Börse. Im Milliardengeschäft mit Aktien und Zertifikaten können Sekunden über die Höhe des Gewinns entscheiden. Meist kleine, aber komplizierte Rechenprogramme versuchen Trends zu ermitteln, bevor der Wettbewerber sie kennt. Sie setzen auf hohe Rechenleistung von Super-Rechnern — je mehr Informationen sie verwenden können, desto besser werden sie.

Wer die Häufigkeit der Suchbegriffe im Imperium von Google in Börsenkurse umrechnet, wird in Sekundenschnelle und dauerhaft zum Milliardär. Die Großforschungseinrichtungen der Wissenschaft liefern das Know-how zum Umgang mit sehr schnell anwachsenden Datenmengen.

Im Teilchenbeschleuniger Cern in Genf wurden in den Experimenten bei der Suche nach dem Higgs-Teilchen so viel Daten gesammelt, dass mehr als 4000 Forscher sie in einem Jahr nicht werden auswerten können.

Noch größer ist der Aufwand in der Gentechnik, dem Gebiet, wo neue Therapien besonders große Erfolge versprechen. Das Projekt "Encode" verknüpft die Funktionen menschlicher Zellen mit der komplexen Struktur der drei Milliarden Einheiten unserer Erbinformationen und dem Auftreten von Krankheiten. Dagegen ist die Vorhersage der richtigen Menge an Bratwürstchen im Supermarktregal in der Grillsaison ein Kinderspiel.

(RP/felt/csr)
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