Ferdinand Von Schirach im Interview "Schreiben kann süchtig machen"

Im Interview erklärt der Bestsellerautor, dass man an Gerechtigkeit nicht glauben, sondern sie lediglich anstreben könne. Außerdem schildert er, warum er sich als Erben von Helmut Schmidt versteht.

 Mit dem Rauchen will er es wie Altkanzler Schmidt halten: Ferdinand von Schirach, Jurist und Bestsellerautor.

Mit dem Rauchen will er es wie Altkanzler Schmidt halten: Ferdinand von Schirach, Jurist und Bestsellerautor.

Foto: Paul Schirnhofer

Er ist Strafverteidiger und Schriftsteller, auf beiden Feldern höchst erfolgreich. Seit er 2009 sein erstes Buch "Verbrechen" veröffentlichte, produziert Ferdinand von Schirach Bestseller am laufenden Band. Und er trägt einen berühmten Namen, bei dem man freilich zuerst an seinen Großvater, den NS-Reichsjugendführer Baldur von Schirach, denkt. Doch ist der Enkel ein scheuer Mensch, der über Persönliches nicht viel preisgeben möchte. Im Vorfeld seiner Lesung aus dem Band "Die Würde ist antastbar" in Düsseldorf am 8. Oktober gab es Gelegenheit zu einem Gespräch.

Herr von Schirach, nach dem Lesen Ihrer Bücher ist man neugierig auf den Mensch. Als sie neulich in einer Talkshow zu erleben waren, bei Bettina Böttinger im WDR, haben Sie kaum etwas gesagt. Gehen Sie in Talk-Shows, obwohl Sie es nicht gerne tun?

Schirach Natürlich sind Talkshows künstlich. Alle dort tun so, als würden sie sich wirklich unterhalten. Die Gäste wissen, dass das nicht stimmt, die Redakteure wissen es und die Zuschauer wissen es auch. Trotzdem gelingen sie manchmal, ein oder zwei Sätze bleiben dann hängen, über die man nachdenken kann. Talkshows haben für die meisten Menschen längst das Feuilleton ersetzt, was wichtig ist kommt im Fernsehen oder steht im Internet. Man braucht das nicht für eine Errungenschaft halten, aber man muss es akzeptieren. Die Dinge sind nun mal, wie sie sind. Und was die Länge meiner Redebeiträge betrifft: Ich mag anderen Menschen nicht ins Wort fallen, und ich rede einfach nicht weiter, wenn das jemand bei mir tut. Vielleicht ist das ja falsch, vielleicht ist mehr gefordert, eine aggressivere Diskussionshaltung, ein lauteres Auftreten. Aber ich bin kein Politiker, mir ist das zu anstrengend — und, offen gesagt, zu blöd.

Als ich Ihren Roman "Tabu" gelesen habe, hatte ich den Eindruck, dass Sebastian von Eschburg, Züge des Autors tragen könnte. Ist es so?

Schirach Sie haben recht, ich bin in einer ähnlichen Umgebung aufgewachsen. In jeder Figur eines Schriftstellers ist immer auch er selbst — Gottseidank wissen Sie nicht, welche Anteile das sind.

Nun ist Ihr neues Buch herausgekommen, das kein Roman, sondern eine Sammlung von Essays ist, die bereits einmal im "Spiegel" veröffentlicht worden. Ist Ihnen der Romanstoff ausgegangen?

Schirach In den letzten Monaten habe ich ein Theaterstück geschrieben, damit war ich beschäftigt genug— und nebenbei einen Roman schreiben, das kann ich nicht. Wir verhandeln jetzt gerade über die Uraufführungs- und Filmrechte des Stückes. Inzwischen schreibe ich an etwas Neuem, aber es ist zu früh, darüber zu sprechen.

Die Themen in dieser Sammlung sind weitgefasst, mit rationaler Kühle bewertet. Erstmals haben Sie sich über Ihren Großvater Baldur von Schirach geäußert. Mussten Sie das tun, weil Sie diesen Namen tragen?

Schirach Verzeihen Sie bitte, aber ich habe in dem Essay ja ausführlich beschrieben, warum ich keine Fragen mehr dazu beantworte. Es war das erste Mal, dass ich über ihn geschrieben habe, und es wird das letzte Mal sein.

Die Bundeskanzlerin wird gleich im Leit-Essay von Ihnen angegriffen. Nach der Tötung des Terroristen Osama Bin Laden hat Angela Merkel öffentlich erklärt: "Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten." Durfte sie das nicht sagen?

Schirach Ich schätze die Bundeskanzlerin. Stellen Sie sich nur einmal vor, Herr Steinbrück mit seiner Unbeherrschtheit wäre gerade Bundeskanzler — ich bin froh, nicht erleben zu müssen, wie er mit der Krise in der Ukraine umgehen würde. Umso mehr hat mich die Reaktion von Frau Merkel auf die Tötung des Terroristen verwundert. Ihre Freude war nicht nur unbedacht, sie war falsch, weil sie eine Missachtung der Prinzipien unserer Rechtsordnung bedeutet. Niemand — auch keine Regierung — darf als Ankläger, Verteidiger und Richter in einer Person entscheiden, einen Menschen zu töten. Und wenn sich die Bundeskanzlerin darüber freut, bedeutet das letztlich, dass sie diesem Rechtsbruch zustimmt.

Leben lassen sich nicht gegeneinander aufrechnen, sagen Sie. Geschieht das allzu oft, ohne dass einer die Stimme erhebt?

Schirach Vor ein paar Jahren erließ der Bundestag ein interessantes Gesetz: Darin stand, dass ein von Terroristen entführtes Passagierflugzeug, das als Waffe benutzt wird — zum Beispiel, weil die Terroristen es über Berlin abstürzen lassen wollen — dürfe abgeschossen werden. Dem Gesetz ging im Bundestag eine lange Diskussion voraus, die Abgeordneten wussten genau, worüber sie entscheiden. Am Ende war eine Mehrheit der Ansicht, in diesem Fall dürfe Leben gegen Leben abgewogen werden — also das Leben der Passagiere im Flugzeug gegen das Leben der Menschen am Boden. Das Gesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Die Richter sagten, unser Grundgesetz verbiete so eine Abwägung. Tatsächlich erklärte aber der Verteidigungsminister noch nach dem Urteil, er würde die Maschine trotzdem abschießen lassen. Es gibt viele Juristen — und noch mehr Politiker — die ihm zustimmen. Auch bei anderen Fragen gibt es diese Stimmung. Es wird ernsthaft diskutiert, dass wir sogar das Strafrecht teilen sollten: in ein Bürgerstrafrecht und ein Feindstrafrecht. Die Bürger sollen so behandelt werden wie bisher. Aber die Feinde der Verfassung sollen nicht die gleichen Rechte haben. Im Mittelalter nannte man sie Vogelfreie. Der Staat müsse sich selbst schützen und diese Menschen hätten ihre Recht verwirkt, weil sie sich außerhalb der Gesellschaft stellen. Noch lehnt die Mehrheit das ab, aber es sind nicht wenige — tatsächlich nicht die Dümmsten — die solche Theorien interessant finden.

Glauben Sie an Gerechtigkeit?

Schirach Wichtiger als der ,Glaube' an Gerechtigkeit ist vielleicht, sich klarzumachen, wie sie entsteht. Sie ist ein Ziel, so wie ,Glück' oder ,Liebe' ein Ziel ist. Wir streben danach, es ist unsere Natur, das zu tun. Aber wir erreichen unsere Ziele nicht immer. Gerechtigkeit entsteht nicht durch Sentimentalität, nicht durch Gutmenschentum, nicht durch Wut, Rache oder Angst. Gerechtigkeit im Strafrecht ist etwas ganz anderes, es ist mühsam, langsam und anstrengend. Am Ende ist Gerechtigkeit die Folge der Anwendung der Strafprozessordnung. Es gibt viele Gerichte, in denen irgendwo der Satz steht: Durch Recht zur Gerechtigkeit. Ich weiß, so ein Satz klingt abstrakt, wir wünschen uns einfachere Antworten. Aber die gibt es nur im Märchen oder im Tatort nach 85 Minuten. Stellen Sie sich Folgendes vor: Ein Mann wird freigesprochen, weil ein bestimmtes Beweismittel nicht verwertet werden darf. Wir alle halten den Mann für den Mörder, wir glauben zu wissen, dass er seine Frau umgebracht hat. Die Prozessordnung lässt aber nicht zu, dass er verurteilt werden kann. Das ist schwer erträglich. Es erscheint uns ungerecht, wir sind empört. Die Boulevardpresse wünscht sich dann einen Richter, der endlich mal auf den Tisch haut und sagt, dass er in diesem Fall über den lächerlichen Formfehler hinweggeht, dass er die Prozessordnung und die Regeln für die Beweiserhebung nicht anwenden wird. Tatsächlich aber müssen wir solche Freisprüche ertragen, nur so entsteht Gerechtigkeit. Nicht in diesem Einzelfall vielleicht, aber in der Gesamtheit.

In Ihrem Stück "Verstehen sie das alles noch?" geben Sie preis, wie schwer aktuell unsere Welt zu verstehen ist. Was läuft falsch, dass es soweit kommt?

Schirach Ich kann es Ihnen nicht sagen. Vielleicht liegt es daran, dass wir alle ein wenig überfordert sind. Wir können nicht erklären, was der Euribor ist, wir verstehen nicht, wie die IS entstanden ist, warum es plötzlich wie im 6. Jahrhundert populär ist, anderen die Köpfe abzuschneiden oder was die Finanzkrise wirklich ist. Im “Wilhelm Meister„ schreibt Goethe: ,Der Mensch ist zu einer beschränkten Lage geboren; einfache, nahe, bestimmte Zwecke vermag er einzusehen … sobald er aber ins Weite kommt, weiß er weder, was er will noch was er soll.' Das scheint zu stimmen, jedenfalls für mich.

Auch Ihr Stück über das Schreiben legt Spuren zu Ihnen als Mensch und Schriftsteller. Über Ihre Anfänge berichten Sie, über Rausch und Sucht, über Ihre erste Lesung und Ihren ersten Zusammenbruch in einer Hotellobby …Was bedeutet das Schreiben für Ihr Leben — absorbiert es Sie ganz? Hat es Sie aus Ihrem Anwaltdasein herausgerissen oder befreit?

Schirach Ich musste den Anwaltsberuf nicht ganz aufgeben. Aber Sie haben recht, zur Zeit schreibe ich lieber. Ich berate noch in einigen Mandaten, aber trete nicht vor Gericht auf. Im Gegensatz zu unseren Eltern haben wir heute doch die Möglichkeit, mehrere Berufe zu haben. Wir machen mal das eine, mal das andere. Das kann ein Geschenk sein. Wenn ich den Anwaltsberuf ganz aufgeben müsste, wenn ich wüsste, dass ich nie wieder die Robe anziehen und einen Gerichtssaal betreten dürfte, dann wäre ich unglücklich. Es ist also keine ,Befreiung', es ist etwas anderes. Und was das Schreiben bedeutet? Sie haben es schon gesagt — es kann, trotz aller Anstrengungen, süchtig machen. Die Figuren entstehen im Kopf, lange Zeit ist man mit ihnen alleine, die Geschichte gehört noch niemanden anders. Man lebt mit diesen Figuren, man denkt an den Text, der am Schreibtisch wartet. Und obwohl Verteidigen ein sozialer Beruf ist und das Schreiben nur in Einsamkeit geht, ähnelt sich vieles. Der Anwalt und der Schriftsteller erzählen Geschichten, vor Gericht und in Büchern werden Menschen beschrieben.

Amüsiert las ich die Geschichte über die Art von einer neuen deutschen Feminismusdebatte. Sie schlagen sich auf Alice Schwarzers Seite und finden Kristina Schröder schlimm. Ist der Feminismus, wie Schwarzer ihn verstand und erkämpfte, nur noch eine historische Fußnote?

Schirach Am Ende ist doch alles nur noch eine historische Fußnote — es kommt nur darauf an, wie viel Zeit vergeht. Es ist deshalb für einen halbwegs vernünftigen Menschen sowieso schwer, sich allzu ernst zu nehmen. Alice Schwarzer hat vieles erreicht, das ist doch offensichtlich. Momentan demontiert sie sich allerdings selbst, es ist scheußlich, sich das ansehen zu müssen. Dennoch: für junge Frauen ist vieles selbstverständlich geworden, wofür Alice Schwarzer gekämpft hat.

Das Straßburger Urteil zur Sicherheitsverwahrung kommentieren Sie eindeutig, aber sie lassen einen Fall offen; was ist zu tun, wenn ein rückfallverdächtiger Kindermörder frei kommt und wenn das Dorf, in das er zieht, zur Lynchjustiz aufbricht?

Schirach Das ist eine interessante Frage. Tatsächlich ist es so, dass — jedenfalls soweit ich weiß — keiner von den Sicherheitsverwahrten, die nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte freigelassen werden mussten, rückfällig geworden ist. Es gab kurz eine Hysterie, ausgelöst durch — wie ich finde — unvorsichtige Journalisten. Aber tatsächlich passiert ist gar nichts.

Amüsiert nehme ich zur Kenntnis, dass Sie gerne rauchen. Wie managen Sie das in unserer überregulierten Gesellschaft, in der der Raucher am Pranger steht?

Schirach Ganz einfach: ich beerbe Helmut Schmidt.

(RP)
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