Frankfurter Buchmesse Die Bücherwelt von morgen ist digital

Frankfurt · Die große Frage der Buchmesse in Frankfurt: Wie groß wird der Marktanteil von E-Books noch werden? Zuletzt verdreifachte sich der Umsatz mit der digitalen Literatur. Zudem wächst der Internethandel mit Büchern.

Kein & Aber ist ein kleiner, aber doch feiner Literaturverlag mit Büchern von Woody Allen und Harry Rowohlt im Programm, Truman Capote und Arthur Conan Doyle. Und so sieht der Messestand in Frankfurt auch aus: mit Sofas und Sesseln vor Bücherwänden. Ein bisschen Wohnzimmeratmo inmitten der Kargheit von Halle 3.0. Doch so betulich sind die Schweizer gar nicht: Seit über einem Jahr gibt es zu jedem neuen Hardcover als Zugabe das E-Book. Also Schluss mit den Bibliothekswänden, hat sich Verleger Peter Haag gedacht und beschlossen, den gesamten Stand zum Messe-Ende zu verhökern. "Der neue Stand wird digitaler werden, quasi entmaterialisiert. Die Inhalte sollen noch mehr in den Vordergrund treten; damit reklamieren sie andere Präsentationsformen. Formen, die abbilden, wie die Leute in Zukunft lesen wollen", sagt Haag.

Sind das die Lesezeichen der Zeit? Vielleicht, genauer: wahrscheinlich. Die Branche hat sich zeitig mit dem Buch in seiner digitalisierten Verwandlung beschäftigt. Und doch ist sie jetzt von der Rasanz der Entwicklung überrascht worden. So hat sich der Umsatz von E-Books nach einer Studie der Beratungsgesellschaft PwC im Jahr 2012 verdreifacht und liegt bei 144 Millionen Euro. Erwartet wird in diesem Jahr ein Anstieg auf rund 286 Millionen Euro. Noch ist der Anteil des E-Book-Umsatzes am gesamten Publikumsmarkt überschaubar — er liegt bei knapp drei Prozent. Doch könnte noch in diesem Jahr die Fünf-Prozent-Hürde genommen werden. Und dass die Buchbranche insgesamt nach vorsichtigen Prognosen in den nächsten Jahren wieder dezent wachsen wird — so um die 0,7 Prozent —, verdankt sie vor allem dem E-Book. Die Verdrängung alter, in diesem Fall: gedruckter Medien wird sich danach in Grenzen halten.

Aber auch der digitalen Revolution wird nicht uferloses Glück beschert sein. In den USA, die beim E-Book weltweit Vorreiter sind, hat das Wachstum unlängst ein Päuschen eingelegt — bei einem Marktanteil von immerhin 25 Prozent. Dies scheint aber momentan eine Art Schallgrenze digitaler Expansion zu sein.

Irgendwo im Digitalen lauert also eine Zukunft, von der noch keiner weiß, wie sie aussehen wird. Darum gibt es momentan etliche Verlage, die die Zeit nutzen, um vieles auszuprobieren — wie Handy-Romane, Bücher mit QR-Code und sogenannte Social-Writing-Projekte. Zwangsläufig werde man dabei auch Fehler machen, räumt Thienemann-Verleger Klaus Willberg ein. Doch kommt es nach seinen Worten jetzt darauf an, die richtigen Fehler zu machen. "Nichts zu machen wäre allerdings ein unverzeihlich falscher Fehler", so Willberg.

Das hört sich zukunftsträchtiger an, als es für manche in der Branche tatsächlich sein wird. Denn die Umstellung aufs digitale Lesen wird ja nicht nur eine neue Kulturtechnik sein, es werden damit durch die Vertriebswege und die Lesegeräte auch neue Machtstrukturen geschaffen. Die Sorge um eine Marktbeherrschung der Buchhandelsketten wie Thalia oder die Mayersche ist nicht nur Schnee von gestern — die Riesen von einst sind längst mit dem Rückbau von Verkaufsflächen beschäftigt —, sondern war wohl auch ein Zwergenaufstand im Vergleich zur Gegenwart. Denn die neuen Kontrahenten der Branche heißen plötzlich Google und Apple und Amazon. Das seien zwar keine Verleger aus Leidenschaft, dafür aber "riesige Kundenbindungsmaschinen", "Wertschöpfungsmeister" und "Logistikzauberer". Zu diesem sorgenvollen Dreiklang ließ sich gestern Buchmessen-Direktor Juergen Boos hinreißen. Die Erfahrungen scheinen Boos recht zu geben. So hat der Börsenverein vor geraumer Zeit einen eigenen E-Book-Reader insbesondere als Angebot für die Buchhandlungen produziert. Der Erfolg war mäßig, weil schlichtweg die Werbewucht zur breiten Markteinführung fehlte. Jetzt hat der Börsenverein nur noch einen 32-seitigen Ratgeber für E-Book-Einsteiger veröffentlicht. Bedrohlich für die 6000 Buchhandlungen in Deutschland sind zudem die Vertriebswege: Um 3,7 Prozent sank bei den Händlern vor Ort der Umsatz in den vergangenen zehn Jahren; im Internet legte er um zehn Prozent zu.

Der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Gottfried Honnefelder, versuchte darum gestern noch vor Messebeginn, den stationären Händlern neues Selbstbewusstsein einzuimpfen, indem er ihren Wert mit der kuscheligen Kompetenz von Tante-Emma-Läden verglich. Man hätte ihm vielleicht vorher sagen sollen, dass die hoch gelobten und mancherorts gar vermissten Tante-Emma-Läden der neuen Konkurrenz nicht gewachsen waren und größtenteils dichtgemacht haben.

So viel steht fest: Auf der Messe wird viel in Bewegung sein. Es ist ja noch nicht einmal sicher, ob die elf brandneuen E-Book-Reader des Herbstes den Weg in die Zukunft weisen oder ob es nicht doch die Tablets sein werden. Sicher ist dann nur das Ende des gemütlichen Messestands des Verlages Kein & Aber. Das Mindestgebot samt Bibliotheksleiter liegt bei 2500 Euro. Aber ob das eine Investition in die Zukunft sein wird?

(RP)
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