Wie Jugendliche reden Türkendeutsch als Szenesprache

Berlin/Hannover (RP). Die deutsche Sprache verändert sich durch den Einfluss der in Deutschland lebenden Migranten. Das behauptet Norbert Dittmar, Sprachwissenschaftler an der Freien Universität in Berlin. Denn die so genannte "Kanak-Sprak", wie türkisch-stämmige Jugendliche ihren Sprachmischmasch selbstbewusst nennen, beeinflusse zunehmend die Ausdrucksweise mancher deutscher Jugendlicher.

Während eines Feriencamps haben Dittmar und seine Mitarbeiter Berliner Jugendlichen ganz genau zugehört - und etwa 200 Stunden ihrer Gespräche auf Band festgehalten. 200 Stunden, in denen die Jugendlichen diskutieren, angeben, witzeln und klönen - ganz authentisch.

Das Ergebnis der Auswertung: Nicht nur einzelne Vokabeln wie etwa das türkische "Lan" für "Ey, Mann" schleichen sich in die Gespräche der Jugendlichen ein. Sie übernehmen auch die vereinfachte Grammatik, welche die "Kanak-Sprak" auszeichnet. Besonders Präpositionen und Artikel werden in der verkürzten Ausdrucksweise überflüssig. Aus dem Satz "Ich gehe in die Schule" wird so etwa das knappere: "Ich gehe Schule".

Ob dieser Veränderung der Sprechgewohnheiten nur auf Großstädte beschränkt ist, in denen Heranwachsende häufigen Kontakt zu Ausländern haben, kann Dittmar nicht sagen. Untersuchungen in ländlichen Regionen gebe es nicht. Peter Schlobinski, Sprachwissenschaftler an der Universität Hannover und Experte für Jugendsprache, vermutet aber, dass das Phänomen regional und sozial stark begrenzt ist. Dass die Berliner Kiezsprache etwa in die bayerische oder rheinische Umgangssprache eindringt, kann er sich kaum vorstellen.

Auch Schlobinski beobachtet jedoch, dass manche Gruppen von Jugendlichen das "Türkendeutsch", dass sie aus Filmen und Comedy-Sendungen wie "Erkan und Stefan" oder "Was guckst Du?" kennen, zum Teil übernehmen. Die geschehe aber häufig im Scherz und mit ironischem Unterton. Diese Jugendlichen könnten klar zwischen der "Kanak-Sprak" und dem "normalen" Deutsch unterscheiden.

Dass Jugendliche einzelne Elemente aus ihrer "Szene-Sprache" auch im Erwachsenenalter beibehalten, sei unüblich, so Schlobinski. Seltene Gegenbeispiele stellen etwa die Wörter "cool" oder "geil" dar. An eine dauerhafte Verarmung der gesprochenen Sprache in Deutschland glaubt der Wissenschaftler deshalb nicht. Im Gegenteil.

Wenn ein Jugendlicher auf dem Schulhof in seiner Kiezsprache über den Lehrer lästern, im Unterricht aber einen ordentlichen Aufsatz formulieren könne, sei das eher ein Zeichen sprachlichen Reichtums.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort