Neue Christus-Biographie Peter Seewald auf den Spuren Jesus

Düsseldorf (RP). Die intensiven Begegnungen mit dem damaligen Kardinal Ratzinger haben den Menschen und Journalisten Peter Seewald gewandelt: vom Kommunisten zum Katholiken. Und zwei Jahre nach dem Jesus-Buch des heutigen Papst Benedikt XVI. hat Seewald eine eigene, persönliche Jesus-Biografie verfasst.

 Begegnung mit Joseph Kardinal Ratzinger: Peter Seewald stellt im Jahr 2000 das Buch "Gott und die Welt" vor, das er mit dem späteren Papst verfasst hat. Für sein neues Buch durfte Seewald den Papst viele Stunden lang befragen.

Begegnung mit Joseph Kardinal Ratzinger: Peter Seewald stellt im Jahr 2000 das Buch "Gott und die Welt" vor, das er mit dem späteren Papst verfasst hat. Für sein neues Buch durfte Seewald den Papst viele Stunden lang befragen.

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Nur das Straßenschild über der Toilettentür zeugt noch von seiner "tiefroten" Vergangenheit: Auf dem Stück blauen Blechs, das der junge Peter Seewald einst in Passau klaute, wird der "Residenzplatz" angezeigt. Der Diebstahl als subversive Tat im Lausbubenformat. Es waren bewegte, wilde Zeiten damals, Ende der 60er, in denen Ortsmarken wie "Residenzplatz" ein Dorn im Fleisch der jungen Revolutionäre waren.

 Peter Seewald: Jesus Christus — die Biografie, Pattloch Verlag, 24,95 ­

Peter Seewald: Jesus Christus — die Biografie, Pattloch Verlag, 24,95 ­

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Also weg mit dem Kram, dachte sich der Maoist Seewald. Auch sein Austritt aus der katholischen Kirche mit 18 schien ein notwendiger Schritt zur bereinigten Biografie zu sein. Schließlich, dachte der junge Mann, werde die Gesellschaft erst dann zur Freiheit gelangen können, wenn auch die Fesseln der Kirche abgefallen sind.

 Im Jahr 2004 arbeitete Seewald mit Fürstin Gloria von Thurn und Taxis zusammen.

Im Jahr 2004 arbeitete Seewald mit Fürstin Gloria von Thurn und Taxis zusammen.

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Doch statt der Freiheit war plötzlich nur noch eine große Leere da, ein komisches, manchmal beängstigendes Vakuum. Eine Gesellschaft, so musste es Seewald lernen, verliert mit der Entgeistlichung jeden Halt.

Geheimer Liebhaber der Kirche

Der Weg zurück zum Glauben und zur Kirche kann trotz dieser Erkenntnis unerhört weit werden. Also ist der heute 55-jährige Schriftsteller zunächst nur eine Art geheimer Liebhaber der Kirche geworden, der in München unter der Woche die Gottesdienste besuchte und es aufregend fand, mit nur einem Schritt aus dem Trubel der Stadt in eine völlig andere Welt zu gelangen. "Kirchenfenster leuchten halt nur von innen", sagt Seewald.

Doch wieder eingetreten ist er — ganz stiekum — erst 1996. Ausgerechnet wegen Joseph Ratzinger. Der war damals Präfekt der Glaubenskongregation, also oberster Wächter der kirchlichen Lehre, mit so furchterregenden Spitznamen wie "Panzerkardinal" und "Großinquisitor". Aber genau ihn hatte Seewald unter anderem in der berühmten Benediktinerabtei Montecassino für mehrere Tage interviewen können.

Es ist kein Streitgespräch geworden zwischen dem höchsten Glaubenshüter und einem Ungläubigen. Vielmehr befragt der eine unverblümt und geradeheraus Kernthemen der Kirche; und sein Gegenüber gibt ebenso offen Auskunft. Noch sind sie nicht Lehrer und Schüler, doch ihre Unterredung verbindet beide zunehmend miteinander. Sie wächst zu einer Kommunikation in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes — zu einer Communio, einer Gemeinschaft.

Werke in zwanzig Sprachen übersetzt

Entstanden sind daraus zwei große Interviewbände: "Salz der Erde" und "Gott und die Welt", die viele tausend Mal verkauft und in über 20 Sprachen übersetzt wurden. Sie markieren überdies eine verblüffende Karriere: Aus dem früheren Maoisten Seewald ist im Gespräch mit Kardinal Ratzinger ein gläubiger Katholik und einer der erfolgreichsten Autoren religiöser Bücher geworden.

Peter Seewald ist einer, der vom Glauben kein zweites Mal so einfach loslassen wird; und der mutig genug ist, eine dicke Biografie über Gottes Sohn zu schreiben. Nur zwei Jahre, nachdem Papst Bendikt XVI. sein Werk "Jesus von Nazareth" veröffentlichte, folgte jetzt Seewald mit "Jesus Christus — Die Biografie". Übermut? Gar Hochmut? Oder wenigstens ein Wagnis? Vielleicht eher ein publizistisches Himmelfahrtskommando. Denn was der Papst aus Deutschland theologisch leistete, wird vom Journalisten aus München nie und nimmer zu erfüllen sein. Schon vor dem ersten Wort ist seine Jesus-Biografie also ein unvollständiges, lückenhaftes Werk.

Seewald kümmert das wenig. Denn vieles sei so tot, was über Jesus von den Kanzeln gepredigt und so nüchtern von den Schriftgelehrten vermittelt wird, sagt er. Dabei sei Gottes Sohn doch ein "Naturereignis", ein Sturm. Wären die Evangelisten Theologen und nicht Schriftsteller gewesen, die Sache um das Erbe Jesu stünde seiner Meinung nach nicht zum Besten.

Also ist auch er eine Art Evangelist? Das nun wieder nicht; aber sich in einer Reihe derer zu sehen, die das Leben und Wirken Jesu in zeitgemäßer Sprache weitergeben, scheint ihm zu gefallen. Jedenfalls verneint er das nicht.

Verwunderung über Propagandafeldzug

Natürlich ist Seewalds Werk ein anderes Buch als jenes von Benedikt: ein journalistisches und sehr persönliches, das nicht vom Wunder Jesus ausgeht, sondern von der Verwunderung darüber, wie die Menschen des 20. Jahrhunderts in einem "kolossalen Propagandafeldzug" Jesus auseinandergenommen und seine historische Realität immer wieder bezweifelt haben.

Das neue Jesus-Buch ist auch ein Buch über seinen Chronisten geworden. Seewald beschreibt die eigenen Reisen ins Heilige Land, stellt sich bewusst in die 2000 Jahre währende Geschichte. Seine Eindrücke und Erlebnisse an den Stätten der biblischen Überlieferung werden so Teil einer modernen, gegenwärtigen Überlieferung. Vieles davon ist nicht gar so neu; ohnehin lassen sich biblische Expeditionen heute problemlos über jedes Reisebüro buchen.

Aber der gläubige Journalist ist ein Pilger, kein Reisender, der sich mit einem gerüttelt Maß an Selbstbewusstsein zum Zeitzeugen ernennt. Und der in dieser Rolle einiges riskiert — von Anfang an. Wer nur die ersten Sätze des Buches liest, wird sich verwundert die Augen reiben:

"Auf dem Gipfelpunkt seines Lebens, am Kreuz von Golgatha, schaut Jesus über seine Stadt. Yerushalayim, die Friedliche, die Heilige. Die Stadt Gottes seit 5000 Jahren. Rechts der Schiloach-Teich, das Gewerbeviertel mit den Parfümfabriken. Daneben das Hippodrom des Herodes, das Theater, schließlich die Synagoge der freigelassenen Sklaven. Er kann sogar das Grab Davids erkennen . . ."

Darf man das? Wer genau liest, wird in diesem Panoramablick nur eine Perspektive erkennen können: Es ist die von Gottes Sohn, von Jesus Christus während seines Martyriums. Folglich muss der, der Jerusalem von dieser erhöhten Warte aus beschreibt, mit aufs Kreuz gestiegen sein. Der Chronist schaut quasi über die Schulter des Gekreuzigten. Und das ist mehr als nur der Versuch, sehr anschaulich und im wahrsten Sinne begreifbar die große alte Geschichte erlebbar zu mache, mehr als eine populäre Chronik im Stile von "Götter, Gräber und Gelehrte".

Das Risiko lohnt sich

Seewald sucht eine Nähe zu Jesus, die vielleicht seine eigene Auseinandersetzung mit dem Glauben spiegelt. Ob man das auf diese Art darf und ob das in der Chronik immer so gelingt, sind keine Fragen, die ihn wirklich bedrängen. Er riskiert es eben — sehr oft mit Erfolg.

Drei Jahre lang hat er ausschließlich dieser Biografie gewidmet, die ihn — wahrscheinlich doch etwas zu kokett gesprochen — finanziell fast ruiniert habe. Dennoch, so sagt es Seewald, mussten diese 700 Seiten sein, dieses Buch, von dem man keine "Enthüllungsgeschichte aus eigener Genialität" erwarten darf. "Ich hänge mich an die alte Geschichte dran" — und er bezeichnet es als völlig undenkbar, das alles ohne Gebete zu machen. Es gehe nicht so sehr um ein Wissen, sondern um ein Hineingehen. Die Botschaft wird zum Heilmittel und Jesus Christus im wahrsten Verständnis des Wortes zum Heiland.

Auf dem Schreibtisch des Heiligen Vaters

Natürlich hat er sein Buch auch dem Papst geschickt. Im Vatikan soll es sogar auf dem Schreibtisch jenes Mannes liegen, den Seewald als "großen spirituellen Lehrer" schätzt, der das Wirken Jesu in einer Brillanz erkläre, die unvergleichlich sei. "Benedikt XVI. zeigt mit seiner Person, wie das Evangelium einen Menschen bildet", sagt er. Seewald muss nicht betonen, wie sehr der deutsche Pontifex ihm zum Vorbild geworden ist. Und dass sein persönliches Jesus-Buch vielleicht auch deshalb geschrieben werden musste, weil Benedikt das spirituelle Jesus-Buch ihm quasi vorgelegt hat. Als sei damit ein Arbeitsauftrag ausgerechnet an ihn ergangen, den Münchner Journalisten.

Die erschriebene Nähe zu Jesus hat Ähnlichkeit mit der empfundenen Nähe zu Papst Benedikt. "Widerständig" ist er, lobt Seewald. Und: "Das Geheimnis des Mannes ist seine Empfänglichkeit." Auch darum leidet er so unter der Kritik, die dem deutschen Papst ausgerechnet aus seiner Heimat immer wieder entgegen schägt. Eine Schande sei es, wie wir mit dem Papst hierzulande umgingen. Und wie ideologisch man in dieser Kritik ist, dokumentiert die "typisch deutsche, fast krankhafte Geschichte".

Auch das Schild vom "Residenzplatz" bezeugt die Ideologie vergangener Tage; platziert im Halbdunkel der Münchner Wohnung. Im lichten Wohnzimmer dagegen residiert eine farbenfrohe Holzskulptur von Benedikt XVI. Das Geschenk eines Freundes und das Produkt eines Südtiroler Holzschnitzers.

Vom kleinen Balkon fällt der Blick in einen freundlichen Innenhof. Doch Seewald lenkt die Sicht lieber über die Dächer des Viertels hinweg: Das sind die Türme von St. Anna, sagt er, und weiter hinten sieht man noch die Frauenkirche.

Die Welt und ihre Geheimnisse — vieles eine Frage der Perspektive.

(RP)
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